Wenn heute die Länderchefs und die Bundeskanzlerin virtuell zusammenkommen, um über die Corona-Politik zu sprechen, wird es natürlich auch um Verschärfungen gehen. Die Infektionszahlen steigen ja und alle sind besorgt. Angela Merkel sieht sogar das Weihnachtsfest in Gefahr und der Bayern-Trump, in dessen Land sich die Neuinfektionen weiter häufen, wie sonst nirgendwo, fordert „drastische Maßnahmen“ und will unbedingt eine Corona-Warnampel schalten. Diese Dramatik ist aus Imagegründen notwendig, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einheitlicher Regelungen zu überzeugen, die auch dieses Mal nicht kommen werden, weil es schlicht keinen Anlass dafür gibt.
Einige Länderchefs werden folglich wieder als Corona-Leugner-Deppen durch die Medien gereicht, wie zuletzt Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt, der es gewagt hatte, ein 50 Euro Bußgeld für Maskenverweigerer abzulehnen. Die Frau Bundeskanzlerin und ihr „Stiefellecker“ aus Bayern, was ich hier gar nicht schreiben würde, wenn es der Herr Söder kürzlich nicht extra groß erwähnt hätte, werden wieder als die verhinderten Helden gefeiert. Apropos Feiern: Die sind wirklich ein Problem. Das Virus breitet sich vor allem im privaten Umfeld aus. Das ist eine gesicherte Erkenntnis, weshalb jetzt auch ein Alkoholverbot und eine Maskenpflicht auf belebten öffentlichen Plätzen zwischen 9 und 23 Uhr eingeführt werden muss. Ordnung muss sein und an Zeiten, die der Amtsschimmel vorgibt, hat sich auch das immer noch „neuartige Coronavirus“ zu halten, wenn es schon die in Bayern so beliebten Obergrenzen bei den Infektionszahlen ignoriert.
Man könnte natürlich auch, was sinnvoller erscheint, private Feiern und Zusammenkünfte einschränken, also das tun, was nachweislich wirkt. Kontaktbeschränkungen sind das einzig brauchbare Mittel gegen die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Die Grippe war dieses Jahr plötzlich weg, aber nicht, weil ein Impfstoff so gut wirkte, sondern weil die Menschen Distanz zu einander wahrten. Nun ist es in einer Gesellschaft, wie der unsrigen aber so, dass man Kontaktbeschränkungen nicht auf Dauer anordnen und durchhalten kann, auch nicht als hippe Lebenseinstellung unter der Lifestyle-Formulierung Social Distancing. Wenn man sich also wieder näher kommt, also das tut, was normal ist, wäre es wiederum gänzlich anormal, wenn sich keine Infektionskrankheiten mehr verbreiten würden. Dazu zählt nun einmal auch das Coronavirus. Helfen nun die Masken? Natürlich, wenn sie denn auch da getragen würden, wo es nachweislich zu Infektionen kommt. Und das ist eben nicht um 18.30 Uhr auf dem Odeonsplatz.
Mal Hand hoch: Wer trägt einen Mund-Nasen-Schutz bei der Geburtstagsfeier von Oma Erna, die ihre gesamte buckelige Verwandtschaft zu sich nach Hause eingeladen hat, und das auch nur, weil man es ihr krumm nehmen würde, wenn sie ihren zweiten Sohn Markus, der mit seinen politischen Ansichten zwar als Dorfdepp gilt, samt Familie wegen der geltenden Coronabestimmungen von der Gästeliste genommen hätte? Andere Frage. Wenn nun zwischen 9 und 23 Uhr die Maskenpflicht in Teilen der Öffentlichkeit gilt und es dort auch nix mehr zu Saufen gibt, wo wird denn dann der gesellige Alkoholkonsum wohl stattfinden? Nicht bei Oma Erna, klar, aber vielleicht beim Dorfdeppen Markus in der Scheune gleich hinter dem Kuhstall. Was werden eigentlich die Jugendlichen tun, die man um ihre Abi- und Schulabschlussfeten betrogen hat? Betrogen deshalb, weil man versprach, dass sie ganz sicher nachgeholt würden. Wenn die jetzt hören, dass sie auf eine Söder-Ampel achten und Studien auf Englisch lesen sollen, die ihnen der Toilettenexperte der SPD, Karl Lauterbach, auf Twitter bereitgestellt hat, dürfte der Bedarf an Alkohol eher noch deutlich zunehmen.
Ganze Gesellschaftsschichten müssten in den Untergrund abwandern und sich Fantasienamen für Restaurantbesuche überlegen, nur um die angedachten Verschärfungen zu unterlaufen. Doch auch dafür hat der Barney Geröllheimer der Politik, Markus Söder, dessen Erfolge an den Infektionszahlen und einer Teststrategie für Reiserückkehrer ablesbar sind, natürlich die passende Antwort parat. „Wenn die Vernunft nicht hilft, dann muss gesteuert werden.“ Heißt: Mehr Kontrollen und höhere Bußgelder, bis es auch der letzte Covidiot, zum Beispiel in der Chefetage des FC Bayern merkt. Übrigens ein kleiner Funfact am Rande: Wenn das Ordnungsamt sagt, dass das Gesundheitsamt die Zuständigkeit besitzt, in den Restaurants die Einhaltung der Corona-Regeln zu überprüfen, heißt das noch lange nicht, dass das Gesundheitsamt damit auch einverstanden ist. Dort ist man eher der Auffassung, dass das Ordnungsamt doch federführend sei, da man selbst mit der Nachverfolgung der K1-Kontakte genug zu tun habe. Da die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche bislang nicht eindeutig geklärt werden konnte, kam der Vorschlag auf, die Kellnerin möge doch die hoheitlichen Aufgaben übernehmen und nachprüfen, ob Fred Feuerstein an Tisch drei auch der ist, für den er sich ausgibt.
Das klappt sicherlich prima, denn auch die Polizei greift gern auf die Listen in den Restaurants zu Ermittlungszwecken zu. Wenn die Beamten nun herausfinden, dass es Steintal in dieser Zeit gar nicht gibt, ist der Ärger groß. Ein höheres Bußgeld zur Abschreckung bitte, das hilft bestimmt. Nur wer soll die Verstöße feststellen und die Vorgänge bearbeiten? Ordnungsamt und Gesundheitsamt schieben sich ja nicht umsonst die Verantwortung zu. Niemand will diese Arbeit, niemand kann diese Arbeit zusätzlich erledigen, weil schlichtweg das Personal dafür fehlt. Auch die Bundespolizei hat keine Lust, noch mehr Überstunden anzuhäufen. Der Bußgeld-Aktionismus passt daher überhaupt nicht zum Neoliberalismus, bei dem vor allem schlanke staatliche Strukturen als erstrebenswert gelten. Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes streiken gerade und müssen sich anhören, wie unverschämt sie doch seien, weil sie selbst zu Corona-Zeiten immer noch einen sicheren Job hätten. Nur kommt man an einer simplen Feststellung einfach nicht vorbei. Wer Menschen zu „Covidioten“ erklärt und ihnen mit Kontrollen und Bußgeldern droht, braucht halt eine funktionierende öffentliche Verwaltung. Dafür ist wiederum eine Abkehr vom neoliberalen Glaubensdogma der unbedingten Sparsamkeit erforderlich. Mehr Maskenzeit hilft da ganz sicher nicht.
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SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.