Die ARD sendet diesmal keinen Brennpunkt, sondern ein ARD extra: Die Corona-Lage. Grund sind die immer noch steigenden Infektionszahlen, die wieder auf dem Niveau von April liegen. Von einer Zuspitzung ist die Rede, wie man beispielsweise an Wien beobachten könne. Dort sei das erste Krankenhaus an seine Kapazitätsgrenze gestoßen, heißt es. In Deutschland findet man dagegen kein einziges. Im Gegenteil: Hierzulande reduzieren Krankenhäuser ihre Betten für Covid-Erkrankte. Völlig zurecht. Es gibt nämlich keinen Grund, im Daueralarmismus zu verharren.
Trotzdem ist mal wieder ein Freaky Corona-Monday, der die allgemeine Entspanntheit stört. Markus Söder kündigte zu Beginn der Woche als erster an, am Dienstag die Corona-Regeln in seinem Land verschärfen zu wollen. „Wir können das jetzt nicht einfach so laufen lassen“, sagte er am Morgen über die steigenden Ansteckungen im Freistaat. Ein großes Problem bestehe bei privaten Treffen und Feiern, weshalb es dann nur richtig sein kann, eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen einzufordern. Einen Zusammenhang gibt es zwar nicht, auch keine erfolgversprechenden Erfahrungswerte aus anderen Ländern, aber Söder muss ja etwas tun gegen das, Achtung wieder dick aufgetragen, „ethische Dilemma zwischen Lebensfreude und Gesundheitsschutz“.
Kaum Kranke, kaum Tote, viele vielleicht immun?
Vielleicht ist es aber auch nur so, dass sich die bayerischen Bürger deshalb so leichtsinnig verhalten, weil sie verhindern wollen, dass Markus Söder Bundeskanzlerkandidat der Union wird. Das ist natürlich Schwachsinn, genau wie die Panik vor steigenden Fallzahlen. Es gibt immer noch kaum Menschen, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus müssen, geschweige denn daran versterben. Das RKI hat am Montag in seinem Dashboard null Todesfälle ausgewiesen. Ja, es war Wochenende und die Gesundheitsämter melden nicht. Aber Laster gefüllt mit Särgen, die wären auch am Samstag oder Sonntag ein paar kritischen Journalisten aufgefallen. Kaum Kranke, kaum Tote, sind die Infizierten, die tagtäglich gemeldet werden, vielleicht immun? Diese simple Frage wird nicht gestellt, vermutlich weil die Antwort die Bevölkerung beruhigen würde. Dabei ist es doch erfreulich, wenn es so wäre.
Die niedrige Sterberate hat übrigens auch in Bayern dazu geführt, dass Krankenhäuser seit dem Sommer keine Intensivbetten für Covid-Patienten mehr freihalten müssen. Dennoch wird weiter Alarmismus betrieben, vor einer zweiten Welle gewarnt und nun auch noch ein Wiener Krankenhaus als Maßstab genommen, von dem man bei etwas genauerer Recherche leicht hätte in Erfahrung bringen können, dass der dortige Aufnahmestopp niemanden beunruhigt. Die Klinikkapazitäten waren bis auf einige Wochen im Sommer durchgehend ausgeschöpft, da dass Krankenhaus auf Diagnose und Behandlung von Virenerkrankungen spezialisiert ist und wegen der Expertise als erste Anlaufstelle für Corona-Patienten gilt. In anderen Spitälern seien noch genug Betten frei.
Virus offiziell immer noch neuartig
Unverständlich ist auch, warum das Virus offiziell immer noch im Sinne der Bundesregierung als neuartig bezeichnet wird. Seit der Entdeckung sind bereits Monate vergangen, erste Impfstoffkandidaten befinden sich durch ein Turboverfahren bereits in weit fortgeschrittenen klinischen Studien. Ein Wettlauf ist mehr oder weniger im Gange. Es gibt also viel mehr Erfahrungen im Umgang mit dem Virus und der Krankheit Covid-19 im Besonderen. Die Reduzierung der reservierten Intensivplätze spricht zudem für eine gewisse medizinische Gelassenheit. Warum sollte das Geschehen also jetzt wieder unkontrollierbar werden? Mit dieser Annahme gehen politisch Verantwortliche wie Markus Söder seit Wochen hausieren, obwohl sie selber keine Kontrolle über das haben, was sie dann im Rahmen ihres Krisenmanagements beschließen. Das Testchaos bei den Reiserückkehrern ist nur ein Beispiel.
Auffällig ist, der Worst Case ist Programm, nicht die sachliche Einordnung. Der Daueralarmismus ist aber unangebracht. Steigende Infektionszahlen sind nicht außergewöhnlich, sondern vollkommen normal, wenn wieder mehr Kontakte untereinander erlaubt sind. Es hat deshalb auch nichts mit Leichtsinn zu tun, wenn die Menschen genau das wahrnehmen, was ihnen die Corona-Verordnungen erlauben. Weitere Gängelmaßnahmen, die mehr der Erziehung dienen – Zitat Söder: „Wenn die Vernunft nicht hilft, dann muss gesteuert werden.“ -, als dem Gesundheitsschutz, sorgen nicht gerade für mehr Akzeptanz. Daher bleibt nur eine Konsequenz: Raus aus dem Panik-Modus. Das ZDF hatte dazu am Sonntag bei Berlin direkt immerhin einen ausgewogeneren Ansatz gewählt. Der ARD am Montag gelang es wiederum nicht, mit dem Wiener Krankenhaus, das man als Fallbeispiel zitierte, ein Interview zu führen. Daher schwatzt man angesichts der Belegungszahlen einfach von einem, na klar, ersten Alarmzeichen.
Freaky.
Bildnachweis: Screenshot, ARD Extra vom 21.09.2020
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.