Konjunktur: Mal wieder ein Sondergipfel im Kanzleramt

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Sie haben es vielleicht aus den Nachrichten vernommen. Im Kanzleramt tagt eine illustre Runde aus Bankern, Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaftern, die zusammen mit der Kanzlerin einen Weg suchen, um die viel zitierte „Kreditklemme“ zu überwinden, die angeblich unsere konjunkturelle Entwicklung bremse. Mal abgesehen von den abenteuerlichen Konstruktionen, die da besprochen werden, um die Banken dazu zu bewegen, das ihnen durch die Regierung großzügig überlassene Steuergeld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpem anstatt wieder damit zocken zu gehen – man bräuchte die Institute ja einfach nur zu zwingen – so stellt sich doch die Frage, ob die Wirtschaft überhaupt einen Bedarf an massenhaften Krediten hat.

Ich sehe nämlich keinen. Im Gegenteil. Die deutsche Wirtschaft hat noch immer das Problem einer globalen wie auch nationalen Nachfrageschwäche biblischen Ausmaßes gegenüberzustehen. Und das bedeutet nach wie vor Überkapazitäten, die eher abgebaut werden müssten. Wieso sollte ein Unternehmer gerade jetzt investieren, wenn er genau weiß, dass er seine produzierten Güter nicht absetzen kann? Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, der immerhin eine Schlüsselindustrie repräsentiert, meldet heute, dass die Auftragseingänge im Oktober 2009 um 29 Prozent unter dem Vojahreswert lagen. Auf dem deutschen Schienennetz wurden von Januar bis September 2009 etwa 20 Prozent weniger Güter transportiert, als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum (siehe Meldung destatis heute). Die Entwicklung des privaten Konsums zeigt ebenfalls weiterhin nach unten, wie das statistische Bundesamt gestern meldete (siehe hier im Blog).

Meiner Meinung nach kann es doch jetzt nicht vordergründig darum gehen, eine mehr oder weniger vorherrschende Kreditklemme zu beseitigen, sondern endlich mit einer aktiven intervenierenden Wirtschaftspolitik zu beginnen, die nicht wie aktuell beabsichtigt, auf unsinnige Steuersenkungen setzt und damit dafür sorgt, den Staat noch weiter auszuhungern, was sich am Ende wiederum in Ausgabenkürzungen nierderschlagen wird, sondern die auf eine massive Erhöhung der öffentlichen Ausgaben setzt, um die beinahe schon chronische binnenwirtschaftliche Wachstumsschwäche endlich zu überwinden. Dazu ist es auch unabdingbar, die Einnahmesituation des Staates durch Steuererhöhungen an richtiger Stelle zu verbessern. Das IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) schreibt dazu:

Die notwendige erhebliche Ausweitung und Verstetigung der öffentlichen Investitionen und Ausgaben für Bildung und in ökologischen und sozialen Bereichen bedürfte zunächst insgesamt einer dauerhaften Verbesserung der staatlichen Einnahmenbasis. Hierzu wären aber tendenziell Steuererhöhungen, und nicht Steuersenkungen, notwendig.
Die Steuerpolitik sollte überdies so ausgestaltet sein, dass Auswüchse in der Einkommens- und Vermögensverteilung korrigiert werden. Wie die OECD (2008) jüngst feststellte, haben in den Jahren 2000 bis 2005 in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD Land. Dies erklärt auch die schwache Entwicklung des privaten Konsums, da die oberen Einkommensgruppen in Deutschland sehr hohe Sparquoten aufweisen und die unteren und mittleren Einkommensgruppen ihre schwache Einkommensentwicklung – anders als etwa die US-amerikanischen Haushalte – bisher nicht durch ausufernde Kreditaufnahme kompensiert haben.

Es kann natürlich auch sein, dass die Regierung mit ihrem Gipfeltreffen beabsichtigt, die Verschuldungsmöglichkeiten klammer Konsumenten analog zu den gescheiterten amerikanischen Verhältnissen zu erleichtern. Dann würde das mit der „Kreditklemme“ tatsächlich einen widerlichen Sinn ergeben. Über Lohnsteigerungen, neue sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze und Arbeitsplatzsicherheit redet ja schon lange niemand mehr.

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"Ein Fall von organisierter Verfassungskriminalität"

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So zitierte Kabarettist Georg Schramm gestern zustimmend Klaus Bresser, den Vorgänger des aktuellen und dank Roland Koch bald der Geschichte angehörenden ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender. Bravo-Rufe aus dem handverlesenen B und C-Promi Publikum im Berliner „Tipi“-Zelt, nur einen „Steinwurf“ vom Kanzleramt entfernt, anlässlich der Galaveranstaltung zum 25 Jährigen Bestehen des Senders 3sat. Ich wies gestern bereits darauf hin.

Dabei war die Wiederholung der Bresserschen Formulierung und im Zuge dessen die spontane Reaktion des Publikums nicht die entscheidende Szene, an die man sich erinnern sollte, sondern die Kritik Schramms an allen Beteiligten. ZDF-Intendant Schächter warf Schramm vor, nicht erkannt zu haben, dass es in einer Parteiküche (da war wohl eindeutig die ZDF-Redaktion als Ganzes gemeint) eben nur einen Chef-Koch geben könne, dem die Kellner zu gehorchen haben. Dass man aber bei einer durchaus gut gemeinten inneren Opposition, wie es Schächter tat, aus den eigenen Reihen angeschossen wird und sein Dasein fortan als lame duck fristen muss, hätte klar sein müssen.

Also ich verstehe Schramm diesbezüglich so, als wollte er uns nicht nur eine weitere Kritik an Koch zum Besten geben, sondern vor allem darauf hinweisen, dass konkrete politische Interessenlagen schon längst in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten fest verankert sind. Er hätte zum Beispiel gern Nikolaus Brender einmal persönlich kennen gelernt, weil ihm seine Art, wie sie allseits beschrieben wird, sehr sympathisch sei. Auch wies Schramm darauf hin, dass uns mit Peter Hahne aus dem Hauptstadtstudio ein Hofberichterstatter der Kanzlerin blühen könnte (Kollege Peter Frey im Publikum wurde dabei übrigens ganz rot) und Klaus Wowereit sowie Kurt Beck warf er vor, dass sie nicht von ihrem Recht Gebrauch machen würden, den ganzen Vorgang vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen.

In diesem Zusammenhang muss man dann auch Schramms Einleitung verstehen, bei der er über den Sender 3sat nachdachte und ihn als Heimstatt für die Verwirrten und Verirrten abends vor dem Fernseher bezeichnete. Ohne beißenden Unterton wies er darauf hin, dass zahlreiche Kabarettisten, Schramm eingenommen, dem Sender viel zu verdanken haben. Die Kleinkunst habe seit 20 Jahren einen festen Programmplatz. Die verantwortlichen Intendanten aber, trügen aktuell besorgte Mienen, wenn sie selbst an das Gemeinschaftsprojekt 3sat denken. Dem Sender drohen Kürzungen bei den Zuweisungen der beteiligten Anstalten. Schramm sagt das nicht offen, er deutet es aber an.

Auf dem gestrigen Jubiläum wurde jedenfalls deutlich, dass das ZDF künftig weniger Geld zum 3sat Etat beisteuern will. Für Intendant Schächter steht sein neuestes Kind in der Familie, der Digitalsender zdf_neo, eben höher im Kurs und damit auch der kranke Wettbewerb mit dem Privatfernsehen um Quoten und Zielgruppen. Und da hätte Schramm, wenn er denn noch Zeit gehabt hätte, den Kreis sicherlich auch noch deutlicher geschlossen, wie er es bei seinem grandiosen Auftritt beim „Kabarett-Fest mit Urban Priol & Freunden“ im Jahr 2008 tat (siehe unten). Das Privatfernsehen mit seinem Gedudel wurde auch vor über 20 Jahren auf Betreiben der christlichen Union und gegen den Willen der SPD eingeführt, mit der Begründung, die kulturelle Vielfalt in diesem Land zu verbreitern.

Doch nun muss man mit ansehen, wohin das geführt hat. Bei den Privaten gibt’s Dünnhungern mit Heidi Klum und Dreckfressen mit Dirk Bach und bei den Öffentlich-rechtlichen sorgt nun Roland Koch ganz offen dafür, dass über die bereits abgeschlossene systematische Volksverblödung das sehr erfolgreich arbeitende italienische Modell Berlusconi gestülpt wird, um sicherzustellen, dass es bei der beabsichtigten Verblödung der Massen auch bleibt. Das ist wichtig für’s Wachstum der DAX-Konzerne. Wie genau, das erklärt ihnen Georg Schramm im Folgenden persönlich.

„Wir brauchen Idioten, sonst frisst keiner das Gammelfleisch!“

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TV-Tipp: 25 Jahre 3sat – Kabarettgala live aus dem TIPI am Kanzleramt u.a. mit Georg Schramm

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Unter dem Motto Dreiländerspitzen treten heute Abend 20:15 Uhr auf 3sat vier Kabarettisten an. Georg Schramm steigt für das ZDF in den Ring. Das sollten sie nicht verpassen.

3sat feiert sein 25-jähriges Jubiläum mit einer Kabarettgala live aus dem TIPI am Kanzleramt in Berlin. Vier Kabarettisten treten für die 3sat-Partner an.

Quelle: 3sat

Siehe auch einen Beitrag auf Zeit-Online.

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Zapp: Manipulierte öffentliche Meinung – getarnt als Information

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Verdeckte Lobbyarbeit als Manipulation zum Nutzen von Politik und Wirtschaft (ZAPP NDR)

Ein sehr guter Zapp-Bericht über verdeckte PR-Arbeit und PR-Aktionen, die es unentdeckt als Informationen in die Nachrichten schafften. Die Bahnprivatisierung ist zum Beispiel ein Thema (Stichwort: berlinpolis) genauso wie die gezielt gesteuerte Kampagne gegen Andrea Ypsilanti. Aber auch die PR-Berichte zum Elterngeld, die Zensursula von der Leyen in ihrer Funktion als Familienministerin nachgewiesenermaßen an die Medien lieferte werden genannt. „Politiker und PR-Profis als Komplizen bei der täglichen Inszenierung“, heißt es treffend in dem Zapp-Beitrag vom 30.11.2009. Große Klasse. Unbedingt anschauen und weiterverbreiten.

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Und wieder sinkt der Einzelhandelsumsatz, im Oktober 2009 real um 1,7% gegenüber dem Vorjahr

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Vor einer Woche lasen wir auf Welt Online noch die Schlagzeile „Weihnachten kennt keine Krise„, genährt aus den Ergebnissen der GfK-Klimaforscher. Damit sollte der Eindruck vermittelt werden, als brächen mal wieder gute Zeiten für Einzelhändler an. Und wieder nix. Zumindest für den Oktober 2009. Wie das statistische Bundesamt heute mitteilt, gehen die Einzelhandelsumsätze weiter zurück.

Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) lag der Umsatz im deutschen Einzelhandel im Oktober 2009 nominal 2,4% und real 1,7% niedriger als im Oktober 2008. Beide Monate hatten jeweils 26 Verkaufstage.
Im Vergleich zum September 2009 stieg der Umsatz im Oktober 2009 unter Berücksichtigung von Saison- und Kalendereffekten nominal um 0,6% und real um 0,5%.

Es könnte natürlich jetzt wieder sein, dass einige die Steigerung im Vergleich zum Vormonat zum Anlass nehmen, Jubelmeldungen zu verbreiten. Und in der Tat, Focus titelt irreführend „Deutscher Einzelhandelsumsatz steigt im Oktober“ und Welt Online schreibt ebenfalls ihre Kampagne rechtfertigend „Einzelhandel im Oktober mit leichtem Umsatzplus„. Beide Texte weisen aber darauf hin, dass es im Vergleich zum relevanten Vorjahresmonat ein Minus gibt. Hier können sie sehen, wie die Botschaften einfach vertauscht werden.

In diesem Zusammenhang ist ganz wichtig auf die ebenfalls vom statistischen Bundesamt ausgewiesene Jahresentwicklung hinzuweisen. Die ist nämlich weiterhin sehr schlecht.

Von Januar bis Oktober 2009 wurde im deutschen Einzelhandel nominal 2,5% und real 1,8% weniger als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum umgesetzt.

Von einer Erholung des privaten Konsums kann nach wie vor und überhaupt keine Rede sein. Vor allem die anhaltenden Rückgänge beim Einzelhandel mit Lebensmitteln müssen nachdenklich stimmen.

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Mein vorläufig letzter Beitrag zur Neuen Presse Hannover

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Seit heute bin ich nicht mehr Abonnent der Neuen Presse Hannover. Die Verhandlungen um eine Verlängerung scheiterten letztlich an den preislichen Vorstellungen. Details erspare ich ihnen. :DD

Der Abschied fällt überhaupt nicht schwer, da es schließlich zahlreiche Gründe gibt, diese Zeitung nicht zu kaufen. Also mindestens 189, wenn ich mal rechts auf meine Tag-Leiste schaue. Und Grund 190 füge ich jetzt zum Abschluss hinzu. Am gestrigen Montag, dem Geld & Gewinn Tag in der grünen NP-Woche, erschien auf der Service-Seite ein Beitrag zum Thema Riester. Lesen und staunen sie selbst.

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Ich stelle mir gerade meine Tochter vor, wie sie im Jahr 2070 ihrem Rentenversicherungsträger erklären muss, warum es ihr nicht möglich war, schon mit 13 Jahren einen Job anzunehmen, um eine private Zusatzrente entsprechend zu besparen. Da hätten sie halt mit der Zeit gehen müssen, sagt der Sachbearbeiter…

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TV-Tipp: Wilfried Schmickler feiert 30jähriges Bühnenjubiläum! Es war nicht alles schlecht (Teil 1)

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Am kommenden Samstag, den 5. Dezember 2009, um 21:45 Uhr zeigt das WDR Fernsehen Teil 1 des 30jähriges Bühnenjubiläums von Wilfried Schmickler.
(Teil 2 am 12.12. um 21.45 Uhr)

Pünktlich zum 30jährigen Bühnenjubiläum zeigt der WDR das vierte Solo-Programm von Wilfried Schmickler „Es war nicht alles schlecht“. Aufgezeichnet wurde das Programm in der neu eröffneten Comedia in Köln.

Quelle: WDR

Nicht verpassen! Danach können sie auch noch Schuhe putzen… :D

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blogintern: Statistik 11/09

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Die aktuelle Blogstatistik für den Monat November 2009 zeigt einen weiterhin positiven Trend. Die deutliche Steigerung bei den täglichen Besuchern nach dem NDS-Peak im Oktober, hat sich auch im November fortgesetzt. Im Schnitt zählt dieser Blog 75 Besucher pro Tag. Im September waren es noch etwa 36 pro Tag.

Ich persönlich finde die Entwicklung weiterhin toll und möchte mich daher wie immer bei allen Leserinnen und Lesern sowie den Mitdiskutanten herzlich bedanken. Wenn ihnen der Blog gefällt, sagen sie es ruhig weiter… :D

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Die Schweinegrippe wird auch offiziell zu einem Rohrkrepierer

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Ich muss noch einmal auf das Thema zu sprechen kommen. In der Neuen Presse Hannover wurde heute im Regionalteil eine ganze Seite darauf verwandt und sogar ein Redakteur, der vor kurzem Vater geworden ist, steuert einen eigenen, gefühlsbetonten, Erfahrungsbericht bei, dazu später mehr. Hintergrund der neuerlichen Panikwelle ist die genaue Dokumentation der Schweinegrippe-Todesopfer an der MHH (Medizinische Hochschule Hannover) samt Beileidsbekundungen der niedersächsischen Sozialministerin Ross-Luttmann. Nun ist auch der erste Einwohner der Stadt Hannover der teuflischen Grippe erlegen und deshalb titelt die Neue Presse Hannover im Regionalteil:

Schweinegrippe – die Angst wächst

Doch zunächst einmal zu den Fakten. Die Schweinegrippewelle ebbt ab! Sogar das Panik liebende Robert Koch Institut spricht von einem zarten Trend nach unten. Wie MMnews berichtet, rechnen die Länder damit, dass sie auf rund 50 Millionen Impfdosen sitzen bleiben werden. Na sowas, und in der Neuen Presse Hannover liest man etwas über lange Wartezeiten und Impfstoffmangel. Das hat ja durchaus auch etwas Lustiges. Die restlichen Impfstoffdosen werden erst dann eintreffen, wenn alles vorbei ist. Abnehmen müssen die Länder die bestellte Ware trotzdem, das ist mal klar, auch wenn das Zeug dann keiner mehr haben will.

Doch nun zum Erfahrungsbericht unseres NP-Redakteurs. Harald Thiel ist vor vier Wochen Vater geworden, dafür mal herzlichen Glückwunsch. Doch schon vermarktet er seinen Sohn für seinen Arbeitgeber, samt aussagekräftigen Foto. Sein Artikel heißt:
Bloß nicht anstecken – ein Leben in Zeiten des Virus

Allein schon der Titel klingt übertrieben und auch der Text ist ein Dokument einer wohl selbst verinnerlichten Angst, die aufgrund öffentlich betriebener Kampagnen, entstanden ist. Ich kritisiere nicht die Angst eines Familienvaters, sondern die Distanzlosigkeit eines Zeitungsredakteurs, der scheinbar ganz bewusst mit seiner persönlichen Erfahrung kokettiert und damit auch die Ängste von anderen weiter schüren will, obwohl das völlig unnötig ist. Im Text schreibt er die Zeile:

„Tobias ist jetzt fast vier Wochen alt, und irgendwann werde ich ihm erzählen, dass er im Jahr eins der Schweinegrippe geboren wurde.“

Allein in diesem Satz liegt eine gefühlte Dramatik, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Meine Tochter wurde im Jahr 2003 geboren. Ihr müsste ich demnach erzählen, dass sie im Jahr 1 der SARS-Pandemie zur Welt kam. Kennen sie diese Mördergrippe noch? Nein. Und von der Schweinegrippe wird man nächstes Jahr wahrscheinlich auch nichts mehr hören. Es sei denn, die Pharmaindustrie lässt das Virus noch ein paar Mal mutieren und wir erleben dann die Schweinegrippe 2.0 oder so.

Doch der Text von Thiel offenbart noch etwas anderes. Die ohnmächtige Ahnungslosigkeit eines Journalisten infolge des kritiklosen Aufsaugens gesteuerter Panikmeldungen.

„Schweinegrippe, Schweinegrippe, Schweinegrippe. Ich bin genervt. Nein, ich mag es nicht hören. Muss ich aber. Denn ich bin mittendrin. Nicht, dass mich das fiese Virus auch schon befallen hätte, aber es beschäftigt mich jeden Tag. Jeden Tag! Nicht nur beruflich. Privat noch viel mehr. Weil man nichts weiß und nichts mehr darf – oder nicht weiß, was man darf oder nicht darf. Zumindest wir nicht. Wir, das sind meine Frau, ich und Tobias.“

Ich gebe ja zu, dass man sich nicht völlig gegen solche Meldungen immunisieren kann, besonders dann nicht, wenn man kleine Kinder hat. Aber dann lässt man sich doch nicht auch noch zum Instrument dieser falschen Angstkampagnen machen? Der Ton und die Argumentation von Redakteur Thiel sind dann auch entsprechend bescheuert.

„Als immer mehr Meldungen über das Virus auftauchten, haben wir angefangen uns Sorgen zu machen. Und wurden von Freunden und Kollegen nicht wirklich ernst genommen. Die beliebteste Bemerkung: „Die echte Grippe ist doch viel schlimmer, da sterben jedes Jahr Tausende dran.“ Auch ein Brüller: „Mehr Vitamine essen, dann steckt man das locker weg.“ Oder: „Ist doch nur ein Grippchen.“ Vielen Dank. Nur zur Erinnerung: An der Krankheit kann man sterben. Und wir sind schwanger! Okay, ich nicht – aber irgendwie doch. Schon mal was davon gehört, dass eine schwangere Frau nur einen eingeschränkten Immunschutz hat? Also zum Mitschreiben: Wenn ich mir H1N1 einfange und dann meine Frau anstecke … Verstanden? „

Thiel begreift nicht, was seine Bekannten sagen. Auch die normale (auch todbringende) Grippe ist schon immer und jedes Jahr auf schwangere Frauen gestoßen, ohne dass diese und ihre Familien gleich Todesängste austehen mussten. Die hyterische Attitüde des Redakteurs Thiel ist an dieser Stelle wirklich nicht zu verstehen. Total von der Rolle, der Mann. Weiter im Text:

„Gut, es ist glücklicherweise nichts geschehen. Tobias ist gesund zur Welt gekommen. Ein kräftiger, hübscher Junge. Also alles gut? Denkste! Denn seitdem gehts erst richtig los. Mit Beginn des norddeutschen Schmuddelwetters schlägt die Schweinegrippe nun voll bei uns durch. Und auf einmal haben alle um einen herum das Virus – und nehmen es jetzt sogar ernst. Kollege A ist seit drei Tagen nicht mehr im Büro. Morgen kommt das Ergebnis des Abstrichs. Kollege B liegt auch flach, und Kollege C ist erleichtert – er hats hinter sich und ist jetzt immun. Bei Freunden von uns ist die ganze Familie erkrankt. In der MHH sind zwei Patienten gestorben. Die Einschläge kommen gefühlt näher.“

Getreu dem Motto: Jeder, der eine fiebrige Erkältung hat, muss zwangsläufig mit dem Schweinegrippe-Virus infiziert sein. Dass immer mehr Ärzte sich aber weigern, überhaupt einen Test zu machen, scheint dem besorgten Familienvater völlig entgangen zu sein. Er sieht vor lauter Einschlägen die abfeuernden Geschütze nicht mehr. Deshalb schafft es Thiel auch nicht mehr, einen klaren Gedanken zu fassen:

„Es geht um einen nagelneuen Impfstoff, der bislang nur sehr eingeschränkt geprüft werden konnte. Schon gar nicht an stillenden Müttern und ihren Babys. Dazu kommt noch die Sache mit diesem komischen Wirkstoffverstärker. Dem werden ja die allertollsten Nebenwirkungen nachgesagt. Selbst Mediziner sind sich uneins. So räumte selbst der Niedersachsen-Vorsitzende des Ärzteverbandes Hartmannbund vor zwei Wochen ein, dass es noch viele Fragezeichen gebe. Im Oktober hatte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Eltern geraten, nur Kinder ab drei Jahren impfen zu lassen. Jetzt empfehlen Kinderärzte, alle Kleinkinder vom vollendeten sechsten Lebensmonat an gegen die Schweinegrippe zu impfen. Interessant, wie sich die Erkenntnisse in weniger als vier Wochen ändern.“

Wenn ich das lese, frage ich mich zwangsläufig, wie absurd eine Diskussion eigentlich werden kann, bis man als normaler Mensch checkt, dass an der ganzen Sache etwas grundsätzlich faul sein muss. Wenn Ärzte ihre Impfempfehlungen so schnell wechseln wie andere ihre Kleidung wenn sie vom Regen durchnässt wurde, muss sich doch der Verstand wieder einschalten. Davon scheint Redakteur Thiel jedenfalls aus meiner Sicht weit entfernt:

„Die Mobilität ist eingeschränkt – oder zu Deutsch: Man sollte seinen Hintern so wenig wie möglich aus dem Haus bewegen. Kein Einkaufen im Supermarkt, kein Bummeln über den Weihnachtsmarkt. Den ersten Besuch beim Kinderarzt werden wir zur frühestmöglichen Uhrzeit machen – dann ist das Wartezimmer vielleicht nicht so voll. Klingt panisch. Aber so ist das nun mal, wenn man nichts Genaues weiß.“

Aus journalistischer, nicht aus väterlicher, Perspektive ist das wirklich ein Armutszeugnis. Als Journalist könnte man mehr wissen und als Vater würde man soetwas Hysterisches gar nicht erst in der Zeitung verbreiten.

„Ob Oma oder Opa, Freunde oder Nachbarn – wer in Verdacht steht, unser Kind anfassen zu wollen, bekommt das blaue Desinfektionsmittel in die Hand geschüttet. Die Zeiten sind eben so. Man schmort zu Hause im eigenen Saft und macht sich so seine Gedanken. Gut, dass Papi ins Büro darf. Und vorher in den Supermarkt sprintet, ins Kaufhaus und Behördengänge erledigt. Hauptsache, ich stecke mich dabei nicht an. Denn leider habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, mich selber impfen zu lassen. Weder gegen die Schweine- noch die normale Grippe. Steht aber ganz oben auf meiner To-do-Liste. Es nervt.“

Die Frau und das Kind sind wirklich zu bedauern. :roll:

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