Es ist schon bemerkenswert wie heute Anja Schmiedeke ihren Kommentar in der Neuen Presse Hannover überschreibt:
„Eine stillose Nachfolge-Debatte“
Es ist ja erst zwei Tage her, als die Neue Presse selbst recht stillos den Boulevard-Scheiß über eine angebliche Liaison Lafontaines mit Sahra Wagenknecht auf Seite 1 abdruckte (siehe hier im Blog). Nun also mokiert sich die Redaktion über die in der Linkspartei entbrannte Debatte über die Nachfolge Lafontaines, falls dieser nicht mehr zurückkehren sollte. Nur zur Info für Frau Schmiedeke. Lafontaine selbst hat in seiner Presseerklärung klar mitgeteilt, dass seine politische Zukunft vom Ausgang der Operation einerseits und von der Prognose der behandelnden Ärzte andererseits abhinge. Dass sich nun Bodo Ramelow öffentlich darüber Gedanken macht, wer Lafontaine nachfolgen könnte, ist nicht weniger stillos als bei jenen Führungsdebatten anderer Parteien.
Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, dass die Neue Presse Hannover den mutmaßlichen Abgang Kurt Becks am Schwielowsee als stillos bezeichnet hätte. Wenn ich mich recht entsinne, wurde das sogar gefeiert und die Rückkehr Münteferings mit Applaus begrüßt. Aber zurück zur Linken. Durch Ramelows Vorstoß findet nun wieder allerhand Kaffeesatzleserei statt. Anja Schmiedeke meint:
„Man mag den Vorstoß stillos finden, er ist aber auch verblüffend ehrlich. Er verrät, wie groß die Unzufriedenheit mit dem dominanten Vorsitzenden trotz seiner Wahlerfolge sein muss. Im Osten stieß Lafontaines Fundamentalopposition zuletzt so manchem Landespolitiker auf. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Lafontaine versucht haben soll, die rot-rote Koalition in Brandenburg zu verhindern. Grund: Die Linke solle nicht Mitschuld tragen an Personalabbau, sich also nicht beschädigen durch unsoziale Maßnahmen.
Das sehen viele Ost-Linke anders. Sie übernehmen seit Jahren Verantwortung, angefangen in den Kommunen, bis hin zu den Landeskabinetten. Und sie wollen wie Ramelow wieder stärker im Erscheinungsbild der Linken vorkommen.“
In diesem Absatz findet die alte Kampagne gegen Lafontaine ihre Fortsetzung. Lafontaine selbst hat zu der Kampagne gegen ihn am vergangenen Donnerstag in der Berliner Kulturbrauerei bei einer Podiumsdiskussion mit Hans-Ulrich Jörges (Chefredakteur Stern) und Albrecht Müller (NachDenkSeiten) und der Moderatorin Sabine Adler vom Deutschlandfunk Stellung bezogen und gesagt, ich zitiere:
„Wenn linke Parteien auftreten, in welcher Form auch immer, dann werden sie in der jetzigen Öffentlichkeitsstruktur wie folgt bearbeitet. Wer jetzt linke Positionen vertritt, also ein Linker in meinem Sinne ist, der ist unvernünftig, ein Spinner, ein Populist oder ein Fantast. Wer sich anpasst, also aus diesen Parteien und die herrschende Lehre vertritt, ist vernünftig, der ist Reformer, der ist gut. Also der ist auf den Boden der Tatsachen.“
Genau diesen von Lafontaine richtig beschriebenen Mechanismus der Zuschreibung von guten und bösen Linken, unternimmt auch Anja Schmiedeke, indem sie mal wieder Ost und West gegenüber stellt. Insbesondere Bodo Ramelow wird seit geraumer Zeit die Rolle des Reformers innerhalb der Linken zugeschrieben. Das ist wirklich witzig und absurd zugleich, weil Bodo Ramelow bisher immer als derjenige Linke galt, dem man eine verfassungsfeindliche Haltung nachsagte und ihn deshalb auch durch den Verfassungsschutz überwachen ließ. Darüber hört man in letzter Zeit komischerweise nix mehr. Ramelow ist auch kein klassischer Ostpolitiker, sondern stammt aus Niedersachsen und Hessen. Er trat erst 1999 der PDS bei und wurde dann in den thüringischen Landtag gewählt.
Dass es sich hierbei um eine gewandelte Kampagnenstrategie handelt, können sie sich sehr schön an der Gegenüberstellung von Linke-Ost und Linke-West verdeutlichen. Während man ja in Hessen Horden kommunistischer SED-Altkader vermutete, die niemals an der Regierung in Wiesbaden hätten beteiligt werden dürfen und mit Wortbruch schon mal gar nicht, habe sich die Linke im Osten seit neuestem zu einer modernen Reformpartei entwickelt. Mit dem so produzierten Widerspruch lässt sich viel besser Meinung machen, als mit der schon übel riechenden Rote Socken Kampagne von vorvorgestern, die ohnehin keinen mehr beeindruckt hat.
Das gleiche wurde ja auch mit dem ehemaligen Europaabgeordneten André Brie versucht, den man gegen Lafontaine als vernünftigen reformerischen Linken in Stellung gebracht hat. Auch hier ist das eigentlich nicht zu verstehen wenn man sich vor Augen hält, dass André Brie seit 1969 SED-Mitglied und wissenschaftlicher Berater einer DDR-Delegation war. Medien wie der Neuen Presse Hannover geht es also nach wie vor darum, Lafontaine mit allen stillosen Mitteln zu bekämpfen, weil sie in ihm die größte Gefahr für den Bestand der herrschenden Verhältnisse sehen. Da wird sogar noch weiter geschossen, obwohl sich Lafontaine aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr wehren kann.
NOV