Es wirkt fast so. Denn im heutigen Leitkommentar betont Udo Harms die überraschenden Vorschläge des DIW mit den Worten „Es bleibt keine andere Wahl“. Dann folgt eine Wiedergabe der Ergebnisse aus der vorgelegten Studie, die schon etwas ulkig wirkt.
„Die Wissenschaftler des DIW haben festgestellt, dass Deutschland durch Steuern auf Vermögen viel weniger einnimmt als fast alle anderen Industriestaaten.“
Und weil die das nun endlich kapiert haben, setzen wir, die Kommentatoren uns damit auch mal auseinander. Entschuldigung. Die obigen Ergebnisse werden von der Linkspartei aber schon seit Jahren so kommuniziert. Und nicht aus dem Bauch heraus, sondern nach sorgfältiger Prüfung der Fakten. Dennoch hat sich die Neue Presse Hannover nie wirklich mit den Vorschlägen der Linkspartei geschweige denn mit den Fakten zur Vermögensbesteuerung auch nur ansatzweise beschäftigt, sondern es bei der üblichern Diffamiererei belassen. Udo Harms schafft das auch in diesem Kommentar.
„Die Linke jubiliert, FDP und Union schauen verdattert drein: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fordert, Vermögen höher zu besteuern. […]
Man müsse die Steuersätze nur auf den Durchschnitt aller EU-Länder anheben, um die zusätzlichen Milliarden einzunehmen. Dabei geht es nicht um die populistische Forderung, die da oben auch mal bluten zu lassen.“
Offenbar zielt der Populismusvorwurf gegen die Linke. Dann wollen wir doch noch mal lesen, was Oskar Lafontaine über die Besteuerungspläne der Linkspartei wirklich sagte, zuletzt im Sommerinterview des ZDF:
„Wir sind die einzigen, die sagen, wir wollen die Vermögenssteuer so haben wie in England, das sind 90 Milliarden mehr Einnahmen.“
„Wenn wir Vermögen in Deutschland besteuern würden wie in Großbritannien, hätten wir 90 Milliarden Euro mehr Einnahmen.“
Wenn sie sich erinnern wollen, auf diese nüchterne Feststellung antwortete der von sich so überzeugte Fragensteller Peter Frey mit einem passenden Kronzeugen:
„Der Wirtschaftsexperte Hickel sagt: Das ist alles unrealistisch. Und er ist wahrlich ein Linker, der Sie gelegentlich berät, wie man lesen kann.“
Zumindest hat das DIW nun offenbar sehr realistisch herausgefunden, dass eine Anhebung des Steuersatzes auf das Durchschnittsniveau in der EU nicht verkehrt sei und immerhin 25 Mrd. zusätzliche Einnahmen brächte. Ach ja, nur nebenbei, Prof. Rudolf Hickel begrüßt sehr wohl eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer.
Tja, das DIW macht vorerst einen Strich durch einige Medienkampagnen, wie mir scheint. Udo Harms ist davon sichtlich getroffen. Schreibt er doch in seiner Überraschtheit einen Satz, der ziemlich daneben ist.
„Der Staat wird Geld brauchen. Und da bei Geringverdienern und Rentnern nicht mehr viel zu holen ist, müssen höhere Einkommen mit größeren Belastungen rechnen.“
Lassen sie das mal auf sich wirken.
Interessant ist übrigens auch die Gestaltung der heutigen Seite 2, die traditionell vom Berliner PR-Büro Slangen & Herholz beliefert wird. Dort ist ein Interview von Rasmus Buchsteiner mit Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, abgedruckt. Aber da fehlt etwas. Die letzte Frage von Buchsteiner wurde einfach weggelassen. Man erkennt das an der auffällig leeren Fläche darunter. Ein weiterer Artikel wirkt dort sehr verloren.
Aber dank der großen Reichweite des Büros Slangen & Herholz finden sie das komplette Interview zum Beispiel auch in der Online-Ausgabe des Gießener Anzeigers. Dort steht dann auch die letzte Frage samt Antwort:
Buchsteiner: Gilt das auch für die geplante Rentengarantie?
Kannegiesser: 20 Millionen Rentner zu beruhigen zu wollen, ist ein ehrenwertes Motiv. Dennoch: Eine solche pauschale Garantie zu geben, halte ich für falsch. Im besten Fall ist sie überflüssig, im schlimmsten Fall unsolidarisch gegenüber den Jungen. Wir haben ohnehin schon Schwierigkeiten, bei der Generationengerechtigkeit die richtige Balance zu halten.
Offenbar war der NP-Redaktion das dumme Gewäsch Kannegiessers angesichts des Gerechtigkeitsproblems, das die DIW-Studie aufwirft, zu heikel. Da hätte man dann sehr schön die Absurdität einer abgehobenen Debatte um die Rente sehen können.
JUL