Der Versuch eines Kommentars von Isabel Reifenrath auf Tagesschau.de ist aus meiner Sicht gründlich daneben gegangen. Nach dem virtuellen Corona-Treffen von Bund und Ländern am Donnerstag, nimmt die Autorin Angela Merkel in Schutz, die sich leider nicht hat durchsetzen können, weil verantwortungslose Länderchefs sie auflaufen ließen. Dabei wird den Lesern allerhand Unfug aufgetischt. Deshalb an dieser Stelle mal eine Replik in Abschnitten. Die Zitate und Anmerkungen folgen im Wechsel.
Der Kanzlerin lag viel an einheitlichen Corona-Regeln. Doch die Ministerpräsidenten der Länder zogen nicht mit. Sie verhalten sich damit genauso verantwortungslos wie die, die sich nicht an die Auflagen halten.
Gleich im ersten Absatz wird die Linie der Kommentatorin deutlich. Sie steht an der Seite Merkels. Die Kanzlerin ist die Gute, die Länderchefs nur (Cov)Idioten. Die können ja gar keine Gründe haben, mit denen man sich als Hauptstadtjournalistin ernsthaft auseinandersetzen müsste.
Im Supermarkt sehe ich immer öfter Leute, die ihre Maske unter ihrer Nase hängen haben. An der Ampel auf dem Radweg stellen sich manche so nah neben mich, dass da vielleicht noch 20 Zentimeter Abstand sind. In den Zügen gibt es totale Maskenverweigerer. Kein Wunder, dass die Corona-Zahlen da wieder steigen.
Steile These. Nur gibt es keine einzige Untersuchung, die belegen würde, dass es zu Ansteckungen in Supermärkten, in Zügen oder an Ampeln gekommen ist. Es muss aber so sein, weil die Leute ihre Masken dort halt falsch oder gar nicht tragen. Dass das RKI gerade vermeldet hat (Original hier), dass die Ansteckungen hauptsächlich im privaten Umfeld zu Hause stattfinden und nicht an einem der genannten Orte, egal. Dann müsste man ja über Lockerungen an der Ampel nachdenken. Es braucht aber Verschärfungen, meint die Kommentatorin.
Wir sind „Corona-müde“, und ich kann es auch ein bisschen verstehen: Corona ist anstrengend, und es macht wirklich keinen Spaß. Aber um einen zweiten Lockdown zu verhindern, um die Wirtschaft am Laufen zu halten und die Kinder in den Schulen am Lernen, hätte es jetzt verschärfte Corona-Regelungen gebraucht.
Dass Kinder gerade unter den Corona-Regelungen wie Kontaktbeschränkungen besonders stark leiden, haben Forscher inzwischen herausgefunden, aber wir brauchen halt eine Verschärfung dieser Regeln, eine Erhöhung der Dosis sozusagen, damit sie besser lernen können. Besonders ausgeschlafen klingt das nicht, diese Haltung ist im Grunde ignorant und dumm.
Einheitliche Maßnahmen hätten geholfen. Wer versteht schon, warum in Nordrhein-Westfalen 150 Menschen zusammen Hochzeit feiern dürfen und in Niedersachsen nur 50? Das hilft nicht, die Menschen von den Regeln zu überzeugen.
Die Bundeskanzlerin hat nun einheitliche Corona-Maßnahmen vorgelegt, ihr lag viel daran. Aber die Ministerpräsidenten der Länder haben Sie auflaufen lassen. Sie wollen keine bundeseinheitlichen Regelung, sie wollen sich selbst profilieren. Damit sind sie meiner Meinung nach genauso verantwortungslos wie die, die keine Maske tragen wollen.
Wer versteht schon, warum es überhaupt eine Rolle spielen sollte, ob bei Familienfeiern nun 50, 150 oder nur 10 Personen anwesend sind, wenn doch ohnehin klar ist, dass die Feiern, also das private Umfeld, ursächlich für Ansteckungen sind. Wer private Feiern erlaubt, muss eben hinnehmen, dass es zu einer Zunahme von Infektionen kommen kann, weil es auch mehr Kontakte gibt. Das ist reine Logik. Nur haben das Politik wie auch diese Kommentatorin offenbar bis heute nicht verstanden und wundern sich daher, dass die Zahl der Fälle wieder steigt. Verantwortungslos ist, erst Erleichterungen zuzulassen und sich anschließend ein wenig blöd zu stellen.
Wir sehen doch, dass es mit der Eigenverantwortung nicht weit her ist. Trotz Warnung wird in Risikogebiete gereist. Trotz Warnung wird in großen Gruppen gefeiert. Wenn wir selbst nicht vernünftig sind, muss die Politik es sein. 50 Euro Strafe, wenn man keine Maske trägt – das ist ja wohl nicht so viel, wenn man im öffentlichen Raum nicht bereit ist, die Gesundheit seiner Mitmenschen zu schützen.
Und das große Dumm geht weiter. Trotz Warnung wird gereist, schreibt die Kommentatorin. Dabei waren die meisten Länder bei Reiseantritt noch keine Risikogebiete. Das Hin und Her hat Merkels Minister für Gesundheit zu verantworten. Das wäre ja mal eine Kritik wert. Aber nein, gelobt wird der 50 Euro Vorschlag für Maskenmuffel, den Merkel bewusst niedrig ansetzte, um Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt wie einen Deppen dastehen zu lassen. Die Kommentatorin bestätigt das, indem sie meint, „das ist ja wohl nicht so viel“. Mag sein, das spielt nur überhaupt keine Rolle, da es bei 125 aktiven Fällen in ganz Sachsen-Anhalt (Stand 27.8.20) einfach nicht verhältnismäßig wäre. Wie doof kann man also im Hauptstadtstudio der ARD sein, dieses durchschaubare Manöver der Gottkanzlerin nicht zu erkennen? Offenbar ziemlich. Denn:
15 Länder sind sich einig, nur Sachsen-Anhalt sträubt sich dagegen, weil sich hier angeblich alle an die Maskenpflicht halten. Wirklich?
Selbst wenn sich niemand in Sachsen-Anhalt daran hielte, wäre die Ansteckungsgefahr auch morgen noch sehr gering. Das ergibt sich ganz leicht erkennbar aus den Zahlen, ist der Kommentatorin aber vollkommen egal. Sie springt bereits zur Großveranstaltung.
Keine Großveranstaltungen, das ist schlimm für die Veranstalter und Künstler. Aber wer wäre noch bereit, auf seine Hochzeitsfeier mit Hunderten Gästen zu verzichten, wenn Tausende zusammen auf ein Konzert gehen dürfen?
Die Leiden müssen ja furchtbar sein, wenn es bereits zu anstrengend ist, ein paar Infos aus dem Gedächtnis zu kramen. Im Gegensatz zu Hochzeitsfeiern sind Konzertveranstaltungen mit tausenden Gästen, die sich an Hygienekonzepte zu halten hätten, problemlos möglich. Das könnte man wissen, wenn man sich mit Veranstalter Marek Lieberberg mal unterhalten würde oder einem Kollegen vom WDR, der zurecht feststellte, dass die Landesregierung in NRW ihre eigenen Verordnungen nicht kennt. Aber wir sind ja schon beim Reisen angelangt.
Reisen in Risikogebiete sollte man lassen. Dann müsste man gar nicht darüber diskutieren, wann Rückkehrer wie getestet werden sollen. Dass sie ihre Tests künftig selbst bezahlen müssen, finde ich richtig. Es muss aber auch kontrolliert werden, dass sie sich wirklich testen lassen.
Genau, einfach gar nicht mehr reisen. Problem gelöst. Dass auch in den Risikogebieten Menschen leben und arbeiten, vielleicht vom Tourismus abhängig sind, mehr als anderswo, auch das ist vollkommen egal. Hier sind wir wieder Nationalisten, die im nächsten Kommentar über faule Südeuropäer schimpfen, weil die nicht richtig wirtschaften können.
Dass es wichtiger ist, in Krankenhäusern, Pflegeheimen und auch Lehrer zu testen, das sollte selbstverständlich sein. Hier brauchen wir Sicherheit, hier müssen Schließungen vermieden werden. Denn was ist wichtiger, das Reisen oder die Gesundheitsversorgung und die Bildung unserer Kinder?
Vielleicht könnte ja alles wichtig sein, mit Ausnahme dieses Kommentars. Wir kommen zum Schluss.
Merkels Vorstoß für einheitliche Regeln wäre ein wichtiges Signal gewesen: Eine Erinnerung, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist, dass wir zusammen da durch müssen. Unser föderales System hat viele Vorteile. Aber dass sich die Politiker selbst in einer Pandemie nicht einigen können, das ist ein Desaster.
Wichtig, am Ende noch einmal die Kanzlerin loben (insgesamt dreimal), macht man wohl so im Ersten, und dann behaupten, dass es nur zusammen ginge. Wen soll das jetzt noch überzeugen? Die, die oben als Verantwortungslose beschimpft worden sind? Der letzte Halbsatz ist daher wahr. …das ist ein Desaster.
Bildnachweis: André Tautenhahn
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.