Mal eine ganz verrückte Verschwörungstheorie, also bloß nicht weiterlesen oder falls doch, gleich wieder vergessen: Die USA hintertreiben seit einiger Zeit das kurz vor der Vollendung stehende Projekt Nord Stream 2. Es gibt offene Drohungen gegen Firmen, die an dem Bau der Pipeline beteiligt sind. Zuletzt hatten noch einmal drei Senatoren des Kongresses nachgelegt und den Ostseehafen Sassnitz direkt ins Visier genommen, was Empörung auf deutscher Seite ausgelöst hat. Die Arbeiten stehen zwar still, nicht aber das Gesamtprojekt, an dem die Bundesregierung wie auch die EU weiterhin festhalten und sich Einmischung von außen, namentlich der USA, in seltener Klarheit verbitten.
In dieser Lage soll der russische Präsident Putin nun also auf die Idee gekommen sein, einen seiner Kritiker mittels eines vergifteten Tees oder was auch immer ins Jenseits zu befördern. Anlass: Nur mal so, weil er es kann und schon häufiger getan hat oder weil irgendwelche Regionalwahlen gerade anstehen, von deren Bedeutung bislang niemand Notiz genommen hat, die plötzlich aber, weil man ein Motiv benötigt, eine Gefahr für den Machthaber und sein Regime [sic!] darstellen könnten. Der Kreml-Kritiker, dem man seit geraumer Zeit kaum Beachtung schenkte, fällt also ins Koma, wird dann zunächst in einem sibirischen Krankenhaus behandelt, von Ärzten, denen man nicht traut und später nach Deutschland ausgeflogen, wo er nun medizinisch betreut wird.
Das alles wäre wohl tatsächlich nur möglich gewesen, wenn der Kreml kooperiert, also der vermeintliche Täter namens Putin sein Einverständnis gegeben hätte. Andernfalls hätte der böse Giftmischer ja seine Leute nicht im Griff, wenn die einen Transport des mutmaßlichen Vergiftungsopfers in einem Spezialflugzeug aus Deutschland eigenmächtig genehmigt hätten. Hat es also Gespräche zwischen Angela Merkel und dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö gegeben, der wiederum zu Putin kabeln sollte, um die Verlegung nach Deutschland zu arrangieren?
Der deutsche Regierungssprecher Seibert gab dazu heute in der Bundespressekonferenz keine Auskunft und wies Nachfragende sogar zurecht, dass wegen der rein privaten Organisation der ganzen Chose nicht er und die Regierung Ansprechpartner seien, sondern allenfalls die Klinik in Berlin und die Familie des mutmaßlichen Opfers. Später, nachdem das Krankenhaus Charité erste Informationen zur möglichen Vergiftung des Kreml-Kritikers per Pressemitteilung bekannt gab, ließ Regierungssprecher Seibert ein gemeinsames Statement von Kanzlerin und Außenminister verbreiten. Darin heißt es:
Nach Aussage des Ärzteteams an der Charité weisen die klinischen Befunde auf eine Vergiftung von Alexey Nawalny hin. Angesichts der herausgehobenen Rolle von Herrn Nawalny in der politischen Opposition in Russland sind die dortigen Behörden nun dringlich aufgerufen, diese Tat bis ins letzte aufzuklären – und das in voller Transparenz.
Die Verantwortlichen müssen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.
Wir hoffen, dass Herr Nawalny wieder ganz genesen kann. Unsere guten Wünsche gelten auch seiner Familie, die eine schwere Prüfung durchmacht.Quelle: Bundesregierung
Böser Russe, böser Putin, Abbruch der Beziehungen? Nein. Das Statement klingt eher so, als ob beide Seiten damit gut leben können. Vermutlich weil klar ist, dass eine Schuldzuweisung oder Androhung weiterer Konsequenzen, wie das einige ausgewiesene Transatlantiker im Bundestag bereits vollmundig tun, allzu offensichtlich den Amerikanern in die Hände spielen würde. Welches Interesse sollten Russland und Putin sowie Deutschland und die Bundeskanzlerin an einem solchen Szenario wohl haben? Könnte es nicht vielmehr sein, dass dieser schlecht aufgeführte Krimi, von wem auch immer in Gang gesetzt, eine noch schlechtere Improvisation zweier Staaten zur Folge hatte, die sich inoffiziell eigentlich ganz gut verstehen, das offen aber nicht so zeigen dürfen, weil Uncle Sam, auf dessen Straßen übrigens Menschen vor laufender Kamera erschossen werden, sonst wieder einen cholerischen Anfall bekommt? Ist bestimmt nur eine Verschwörungstheorie, also schnell wieder vergessen.
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AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.