Steinmeier, Steinbrück, Schulz und nun Scholz. Die SPD versucht es noch einmal mit der erfolglosen Kombination aus einem neoliberalen Kandidaten für das Kanzleramt und einem vermutlich recht ambitionslosen Wahlprogramm. Das Wahlziel ist bescheiden. Über 20 Prozent sollen es sein, damit sich der Kandidat selbst als Gewinner fühlt. Zu mehr als einer Aussicht auf eine erneute Juniorpartnerschaft mit der Union reicht das aber nicht. Das progressive Mitte-Links-Lager insgesamt ist handlungsunfähig, auch weil jeder nur für sich das elende Weiter so beklagt. Eine gemeinsame Strategie ist nicht erkennbar.
Wie sich die Aussagen doch ähneln. Als Martin Schulz 2017 antrat, antwortete er auf die Frage, mit wem er denn regieren wolle, in etwa so. „Ich gewinne erst einmal die Wahl und höre mir dann an, was die anderen mit mir als Kanzler gerne umsetzen wollen.“ Das Ende dieser traurigen Geschichte war, dass Schulz den Parteivorsitz abgeben musste und in die hinteren Reihen der Fraktion verbannt wurde, nachdem er in einer verzweifelten Aktion noch versucht hatte, sich unter Merkel in die Rolle des Außenministers zu mogeln. Einen so naiven Kandidaten hatte die SPD bis dahin noch nie. Er ließ sich in eine der absurdesten Kampagnen einspannen, wurde erst mit 100 Prozent und St. Martin-Rufen in den Himmel gehoben und dann noch schneller fallen gelassen. Martin Schulz? Es ist der bislang peinlichste Versuch der SPD, eine Bundestagswahl für sich zu entscheiden.
Aber war das auch je gewollt? Mit einem Ergebnis zwischen 23 und 25 Prozent wäre über Jamaika nie gesprochen worden. Der SPD hätte das genügt, um die GroKo gleich am Wahlabend fortzusetzen. Gut möglich, dass Olaf Scholz die SPD wieder dorthin führt, also hauptsächlich vor die Grünen, die der SPD den Platz an der Seite der Union derzeit mehr als streitig machen. Dem Agenda-Politiker Scholz wird nun ein Image als erfolgreicher und beliebter Krisenmanager verpasst. Also eine Art Kombination aus Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier, was wohl im Ergebnis zu einem erfahrenen Staatsmann, nur ohne Stinkefinger, führen soll. An dieser Inszenierung könnte die SPD arbeiten, in der Hoffnung, das zweimal Minus nun ein GroKo-Plus ergibt. Das alles ist aber Quatsch. In Wahrheit hat keiner Hoffnung. Man liefert bloß eine Wahlkampfshow als symbolischen Akt und hat in Olaf Scholz jemanden gefunden, der bereit ist, die absehbare Niederlage zu verantworten, wie Peter Nowak auf Telepolis schreibt.
Keine weiteren Fragen
Denn keine der Zuschreibungen, die Scholz selbst über sich verbreitet, stimmt. So habe er sich bereits vor zehn Jahren während der Finanzkrise erfolgreich eingebracht und jetzt auch wieder. Man sei da gut durchgekommen, sagte er gestern im heute journal, wohl wissend, dass einer wie Claus Kleber seine journalistische Kompetenz auch nur spielt, weil er sie in Wahrheit nicht besitzt. Statt zu fragen, wie der Wirecard-Skandal und das Versagen der Aufsicht, die dem Finanzministerium unterstellt ist, zum Image eines Krisenmanagers passe, bediente Kleber lediglich die Branchenreflexe. Nur am Anfang des Gesprächs wollte er wissen, ob die frühzeitige Kandidatenkür nur deshalb vorgenommen worden sei, um dem Untersuchungsausschuss zuvorzukommen. Eine Antwort darauf gab es nicht, Nachfragen aber auch nicht.
Kleber interessierte sich nur für Belanglosigkeiten, wie den innerparteilichen Widersprüchen, die sich aus der Ablehnung des jetzigen Kandidaten als Parteivorsitzender speise. Die Partei habe Scholz als Anführer verschmäht. Stimmt, aber nicht nur ihn, sondern auch das weibliche Pendant, das ja dann doch nur, Kleber bestätigt das, ein überflüssiges Anhängsel gewesen sein muss. Doch spätestens nach dem Ausbleiben des bereits für viele feststehenden Koalitionsbruchs, der auf die Wahl von Walter-Borjans und Esken umgehend folgen sollte, hätte klar sein müssen, dass es keinerlei Differenzen gibt und die SPD auch unter der neuen Führung kaum zu einer nennenswerten Kurskorrektur fähig ist.
Nun wird aber trotzdem wieder der Eindruck erweckt, die Partei stünde für eine Alternative, weil sie sich für einen starken Sozialstaat einsetze, wohingegen die anderen, diesen nur weiter schleifen wollen. Durch Corona breche eine neue Ära an, trägt Scholz dick auf. Die Pandemie und die Reaktion auf sie machen also den Unterschied. So als ob Scholz nicht mehr der sein möchte, der er am Anfang war, als er das Amt des Finanzministers übernommen hat. In seiner ersten Rede in neuer Funktion sagte er:
Ich habe überall in Europa gesagt: Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, egal welches Parteibuch er hat. Ich glaube, die Botschaft ist gut angekommen.
Quelle: Bundesfinanzministerium
Das gilt, Rettungspakete hin, Kurzarbeitergeld her, auch heute noch. Denn was Scholz einen handlungsfähigen Sozialstaat nennt, heißt immer noch Hartz IV, inklusive der Sanktionen, die, obwohl die Pandemie noch andauert, wieder Anwendung finden. Ob das nun der Gesundheit förderlich ist oder nicht, scheint mit Blick auf die Ärmsten in dieser Gesellschaft auch der SPD weiterhin egal zu sein. Zwar gibt es gerade keine Arbeitsplätze mehr, dafür aber Termine im Jobcenter, die gefälligst einzuhalten sind. Ordnung und Disziplin müssen schließlich sein.
Eine Gefahr für die Union droht nicht
Aber das ist im Prinzip für die Analyse auch vollkommen egal. Entscheidend ist, dass sich ein progressives Lager nicht auf eine Kampagne verständigen kann, was aber notwendig wäre, um die Union wie vorgeblich gewünscht, einmal auf die Oppositionsbänke zu schicken. Es ist ja schön, wenn sich Olaf Scholz wie Bolle darüber freut, dass er bereits seit vier Wochen als Kanzlerkandidat der SPD feststeht, die Öffentlichkeit damit aber noch überraschen konnte, weil es die übliche Durchstecherei bei den Genossen nicht gegeben hat. Das mag vielleicht für die Geschlossenheit in der Führungsspitze sprechen, aber dann auch wieder nicht, da die sich schon immer geschlossen hinter jeden Beschluss, egal welchen, versammelt hat.
Grüne und Linke, die potenziellen Partner also, haben auf die Enthüllung des SPD-Spitzenkandidaten eher verhalten reagiert und sagen das, was sie schon immer in solchen Situationen gesagt haben. Man wolle es von den Inhalten abhängig machen und erst einmal nur für sich und nicht für Olaf Scholz kämpfen. Mit Verlaub, damit ist weder eine Mehrheit, noch eine andere Politik zu gewinnen. Man spielt allein der Union in die Hände, die sich ihren Koalitionspartner im nächsten Jahr wird aussuchen können. Denn landen SPD und Grüne bei jeweils 16 Prozent, wie aktuell gemessen und die Linken bei 9, kann die Union mit SPD oder Grünen oder der AfD regieren. Rot-Rot-Grün hätte sogar weniger Mandate als Schwarz-Gelb.
Mit anderen Worten, für eine andere Politik sieht es düster aus, da SPD und Grüne vornehmlich um den Platz an der Seite der Union konkurrieren. Dass die Grünen bereit sind, für eine Regierungsbeteiligung Haus und Hof zu verschleudern, hat sich schon bei den Verhandlungen zu Jamaika 2017 gezeigt. Diese Chance werden sie sich 2021 nicht noch einmal und schon gar nicht für so etwas Aussichtsloses wie Rot-Rot-Grün nehmen lassen, selbst wenn Kipping und Riexinger dazu übergehen, auch ihren Hof den Wunschpartnern hinterherzuwerfen. Wenn die Grünen also bereit sind, auf der Wiese unter Pferden liegend, Zugeständnisse an die Union zu machen, muss die SPD einfach nachziehen. Die Verhandlungsposition der Union könnte so gesehen besser gar nicht sein. Und so kommt die CDU auch prima ohne einen neuen Vorsitzenden zu Recht, der sich über derlei strategische Dinge Gedanken machen müsste. Denn eine Gefahr von der Opposition droht auch nächstes Jahr nicht.
Bildnachweis: Screenshot heute-journal vom 10.08.20
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.