Viele wundern sich, warum die „sparsamen Vier“ oder mittlerweile Fünf, die in Brüssel eine Einigung blockieren, aus so gegensätzlichen Parteifamilien stammen. Da arbeitet der konservative Sebastian Kurz (Österreich) mit dem Liberalen Mark Rutte (Niederlande) und den Sozialdemokratinnen Mette Frederiksen (Dänemark) und Sanna Marin (Finnland) sowie dem Sozialdemokraten Stefan Löfven (Schweden) zusammen. Die Antwort ist einfach. Es sind nationale Interessen, die hier die wichtigste Rolle spielen. Sie gehen vor und schaffen neue Allianzen. Das gilt übrigens auch für Deutschland, das sich nur deshalb an den Tisch der Südländer setzte, weil es die EU-Ratspräsidentschaft inne hat und sein Image als Zuchtmeister vorübergehend ablegen möchte. Doch hätte Merkel Corona-Bonds nicht verhindert, wäre die Diskussion um Zuschüsse und Kredite, die mal wieder an ökonomisch unsinnige Auflagen geknüpft werden sollen, überflüssig.
Mit PEPP
Die Chefin der EZB, Christine Lagarde sagte am Wochenende. Etwas Ehrgeiziges sei besser, als etwas Schnelles. Mit anderen Worten, so interpretiert die Zeit, aus Lagardes Sicht sei es wohl sinnvoller, den Gipfel platzen zu lassen. Das kann man so sehen, nur warum sollte das gut sein? Das erklärt das Blatt leider nicht. Es zitiert vielmehr eine weitere Aussage, diesmal von der Kanzlerin, die ein Scheitern des Gipfels mangels Einigung ebenfalls für möglich hält. „Aber es kann auch sein, dass es heute zu keinem Ergebnis kommt.“ Doch was ist denn der Plan B? Wie ginge es nach einem Scheitern des Gipfels weiter? Dazu hätte man doch gern etwas gehört, schließlich würden die Gelder in den betroffenen Ländern doch dringend gebraucht oder nicht?
Natürlich werden die Gelder gebraucht und sie werden auch längst zur Verfügung gestellt, egal wie das Gefeilsche in Brüssel, das ja nur für Journalisten der jeweiligen Länder aufgeführt wird, auch ausgehen mag. Die EZB stellt im Rahmen des Anleihekaufprogramms PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) bereits 1,35 Billionen Euro zur Verfügung. Das sind übrigens noch einmal 600 Milliarden Euro mehr, als beim Start. Wichtig: Der Kapitalschlüssel spielt keine Rolle. Wenn ein Land mehr Mittel benötigt, um durch diese Krise zu kommen, ist das nach Aussage von Lagarde am vergangenen Donnerstag auch möglich.
Lagarde erwähnte mehrfach, PEPP werde flexibel gehandhabt. Die langfristige Konvergenz bei der Aufteilung der Käufe auf die einzelnen Euro-Länder an den sogenannten Kapitalschlüssel werde dieser Flexibilität nicht in die Quere kommen, stellte sie klar. Der Kapitalschlüssel ergibt sich aus Bevölkerung und Wirtschaftskraft der Länder. Kurz gesagt: Wenn es nötig ist, wird nichts die EZB hindern, einzelnen Euro-Staaten zu Hilfe zu kommen.
Quelle: Handelsblatt
Dennoch: Eine Lösung, die nach europäischer Solidarität aussehe, wäre super. Die Zentralbank kann die Finanzpolitik der Eurostaaten schließlich nicht dauerhaft ersetzen, zumal diese Staaten auch immer wieder auf das begrenzte Mandat der Zentralbank hinweisen. Die bewahrt den Euroraum zwar immer wieder vor einer Katastrophe, muss sich aber von den inkompetenten Regierungen vorhalten lassen, gegen das Gebot der Staatsfinanzierung verstoßen zu haben. Was ist also gewollt, müsste man fragen? Der Untergang des Euroraums? Denn das wäre die Folge, wenn es bei der Nichtlösung bliebe oder zu einem Kompromiss käme, der sich erneut durch das Prinzip der Konditionalität definiert, also Kredite an Auflagen und ein Überwachungsregime knüpft. Durch Corona hätte sich dann nichts geändert. Der Neoliberalismus würde noch schärfer fortgesetzt als das bisher der Fall war und die Reaktion dürfte noch verheerender sein.
Die dreisten Sechs
Schon jetzt nehmen die Feindseligkeiten innerhalb Europas rapide zu, ausgelöst durch unbedachte Grenzschließungen etwa oder die Debatte um die Rechtsstaatlichkeit. Doch beim Anblick dieses EU-Gipfels drehen die Scharfmacher noch einmal auf, besser durch. Die Bild-Zeitung fragt aktuell: „Warum sollen WIR für Spanien und Italien zahlen?“ Das ist das Niveau der Auseinandersetzung. Erbärmlich, zumal Deutschland parallel daran arbeitet, sich den größten Beitragsrabatt zu sichern und zwar auf Kosten von Italien und Frankreich, die ebenfalls Netto-Zahler der Europäischen Union sind.
So werden aus den angeblich „sparsamen Vier“ am Ende des Tages, die „dreisten Sechs“. Die ständige Bezeichnung „sparsame Länder“ ist schon lächerlich genug, wird nur kaum hinterfragt, weil es eben Framing ist. Es soll offenbar Seriosität unterstellen, während dann alle anderen Länder der Logik folgend Verschwender sein müssen, denen man ja kein Geld ohne Auflagen und Kontrolle anvertrauen dürfe. Nur: Österreich hat noch nie die Maastricht-Kriterien eingehalten. Die Niederlande sind eine Steueroase und häufen neben Deutschland, Dänemark, Schweden und Österreich Leistungsbilanzüberschüsse an, die es nur geben kann, wenn die Handelspartner im Süden Schulden machen. Ihnen das nun vorzuwerfen, ist komisch, da doch davon das eigene Wirtschaftsmodell unmittelbar abhängig ist.
Und somit ist auch der Plan der angeblich „Soliden“ klar erkennbar. Er ist noch viel perfider. Sie wollen den „Verschwendern“ im Süden statt Zuschüssen lieber Kredite geben, was logisch ist, da das Überschussmodell des Nordens auf den Schulden des Südens basiert. Damit das so bleibt, muss es überprüfbare Bedingungen geben, damit der Süden auch nur die Schulden macht, die dem Schmarotzer-Modell des Nordens dienlich sind. Der Süden soll nur im Norden auf Pump einkaufen gehen und ja nicht woanders. Parallel dazu schimpft man die bösen Schuldner weiterhin aus und verpflichtet sie dazu, die Kredite möglichst bald und ohne Ausnahme zurückzahlen, was nur geht, wenn man das Land weiter auspresst, also Löhne und Renten kürzt zum Beispiel. Ein doppelter Gewinn für den Norden sozusagen. Vielleicht spart man das Gesundheitssystem bei der anstehenden Kürzungsorgie diesmal aus. Man will sich schließlich nicht nachsagen lassen, im Norden regierten nur Unmenschen.
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JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.