Maskentausch auf Herrenchiemsee

Geschrieben von: am 14. Jul 2020 um 17:46

Es hat schon etwas Seltsames an sich, wenn sich die hohe deutsche Politik am französischen Nationalfeiertag, der auch ein Europäischer ist, in einer arg verkleinerten Versailles-Kopie auf einer bayerischen Insel trifft, um ein großes Gespräch über die Zukunft Europas zu simulieren. Nicht nur als Franzose fühlt man sich da beleidigt.

Es war ein sonderbarer Termin, bei dem es im Anschluss natürlich wieder um die Lieblingsfrage der Medien ging. Kann der bayerische Provinzfürst, der in eines seiner Märchenschlösser geladen hatte, auch Bundeskanzlerin? Die befragte Regentin mit Ablaufdatum hielt sich zurück, nein, sie sagte, dass sie sich gern in Zurückhaltung übe, was angesichts der produzierten Bilder auf einem Schiff vor Alpenpanorama, bei einer Kutschfahrt im Grünen und im protzigen Spiegelsaal schon reichlich komisch wirkte. Doch in der Tat war etwas anderes als förmliche Zurückhaltung auch nicht zu erwarten, die Frage also überflüssig.

Geistreich klingenden Unsinn steuerte der Gastgeber selbst bei, in dem er die europäische Idee beschwor. Man solle die Länder in der EU nicht mehr einteilen in Schuldner und Gläubiger, sondern alle mehr als Partner verstehen, so Söder. Letzteres sollte bei einer „Schicksalsgemeinschaft“, von der häufig gesprochen wird, selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Es gibt erhebliche Differenzen innerhalb der EU, bis hin zu dem Austritt eines Landes, der gerade im Chaos zu enden droht. Es ist nicht ganz klar, wer oder was für diese Disharmonie unter den Mitgliedsstaaten verantwortlich ist. Söder ließ das offen. Er wurde danach auch nicht gefragt, was allerdings wichtig gewesen wäre, wenn man denn die Möglichkeit einer baldigen Kanzlerschaft unterstellt.

Im Zweifel dürften es wie immer die anderen sein. Länder zum Beispiel, für die in Brüssel an diesem Freitag wieder über einen großen Wiederaufbaufonds verhandelt wird. Bei den letzten Gesprächen dazu hieß es, wie auf Herrenchiemsee übrigens auch, dass in einer sehr konstruktiven Atmosphäre debattiert worden sei. Im Klartext: Eine wesentliche Annäherung fand nicht statt. Der Streit, ob die Milliardenhilfen als Zuschüsse oder nur als Kredite vergeben werden, schwelt weiter. Vergessen ist schon lange die ursprüngliche Forderung nach Eurobonds, die dem, was man unter Partnerschaft verstehen würde, wohl am nächsten kommt. Doch das Merkel-Nein in dieser Sache war klar und deutlich, die Alternative, gemeinsame Anleihen zu ermöglichen, dagegen nur ein Ablenkungsmanöver. Nicht sie, sondern die „frugal four“ (sparsamen Vier) geben nun die harte Linie vor, während Merkel als verständnisvolle Europäerin ihr ramponiertes Image im Süden aufpolieren kann.

Niederländer, Österreicher, Schweden und die Dänen stehen diesmal auf der Bremse. Sie wollen Hilfen wie üblich an Bedingungen knüpfen und das Prinzip der Konditionalität, also Solidarität nur im Tausch gegen Solidität, durchgesetzt sehen. Austerität pur. Für einen wie Söder ist es daher leicht, vor idyllischer Kulisse von Partnerschaft zu sprechen. Die unangenehme Drecksarbeit erledigen diesmal ja andere. So bleibt die deutsche Dominanz in Europa auch während der EU-Ratspräsidentschaft gewahrt. Und damit niemand Verdacht schöpft, trägt Merkel das europäische Bekenntnis für alle erkennbar im Gesicht. Das Logo der EU-Ratspräsidentschaft prangt auf dem Mund-Nasen-Schutz, den sie erst vermied, damit man nun um so genauer Notiz von ihm nimmt.

Söder bekam einen Satz dieser Masken als Geschenk überreicht. Das Symbol der EU-Ratspräsidentschaft ist ein Zeichen der Unendlichkeit. Es steht für Einigkeit und Verbundenheit in Europa. Dazu passt eben keine Politik, die weiterhin auf Kosten der anderen den eigenen Wettbewerbsvorteil sucht. Man solle keine Einteilung in Schuldner und Gläubiger mehr vornehmen, hat Söder gesagt, ohne zu erklären, ob er damit nun eine offensive deutsche Lohnpolitik meint, die tatsächlich notwendig wäre, um die Schieflage in der Leistungsbilanz zu korrigieren. Es reicht ja nicht, einfach nur etwas für beendet zu erklären, so wie Ronald Pofalla einst die NSA-Affäre. Man muss auch was tun.

Bis jetzt gibt es aber nur schöne Bilder aus dem bayerischen Mini-Versailles, mit einem Kabinett, das den funkelnden Spiegelsaal für eine belanglose Sitzung nutzt. Und darunter müsste stehen:

Mindestlohn bald bei 9,50 Euro. Wenn das fürs Brot nicht reicht, essen Sie doch einfach mehr Kuchen.


Bildnachweis: Screenshot aus PK-Übertragung des Senders phoenix am 14. Juli 2020

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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