Ge- statt Verbote oder der Kanzlerin einen Gefallen tun

Geschrieben von: am 25. Mai 2020 um 17:25

In Thüringen sollen ab dem 6. Juni die Corona-Einschränkungen wieder aufgehoben werden. „Das Motto soll lauten: Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten“, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow der Bild am Sonntag. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Von einem „hochgefährlichen Experiment“ (Bayerische Staatskanzlei) bis hin zu Wahnsinn (Karl Lauterbach) ist die Rede. Diese Äußerungen zeigen allerdings nur, wie wenig man der Bevölkerung vertraut.

Es ist ja naheliegend zu glauben, dass ein Aufheben der Beschränkungen nur dazu führen könne, dass sich das Virus weiter ausbreitet. Wer sagt denn aber, dass die Menschen der bisherigen Verhaltenspraxis plötzlich den Rücken kehren, nur weil die Beschränkungen nicht mehr offiziell angeordnet werden? Seit Wochen gibt es die Debatte um die Sinnhaftigkeit des Lockdowns. Hat er das Abflachen des Infektionsgeschehens erst ermöglicht oder nicht? Tat er es nicht, so bleibt nur das vorbildliche Verhalten der Menschen übrig, die den Empfehlungen bereits vor den offiziellen Verboten Folge leisteten, also soziale Kontakte reduzierten sowie Abstand- und Hygienevorgaben einhielten.

War der Lockdown für das Abflachen des Infektionsgeschehens dagegen verantwortlich, gilt aber auch, dass sich die Menschen an die angeordneten Vorgaben gehalten haben müssen. Dass also Erfolge bei der Pandemie-Bekämpfung riskiert würden, ist nicht so recht schlüssig, da man entweder davon ausgehen muss, dass die Bevölkerung im Umgang miteinander weiterhin vorsichtig sein wird oder eben unvorsichtiger, was wiederum die Frage aufwirft, ob denn dann Verordnungen überhaupt noch etwas bringen. Lokale Ausbrüche sind so oder so wahrscheinlich. Das geschieht bereits und auch in den Regionen, in denen die Verbote immer noch gelten. Hier gibt es eine Privatfeier, dort Gesang unter Gläubigen und anderswo sind es prekäre Arbeitsverhältnisse und Wohnsituationen.

Entscheidend ist die Fähigkeit zur lokalen Eindämmung solcher Ausbrüche. Dafür sind mehr personelle Ressourcen erforderlich und Änderungen an den Lebens- und Arbeitsbedingungen, die ein Ausbruchsgeschehen begünstigen. Schön, dass Werkverträge in der Fleischindustrie mittlerweile im Fokus stehen. Alle anderen, etwa bei der Ernte auf dem Feld oder am Bau tun das aber nicht. Seltsamerweise wird auch schon gar nicht mehr über die Situation in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen berichtet. Ist der Schutz der Mitarbeiter inzwischen gewährleistet? Zweifel sind angebracht, denn in vielen Kliniken sind Schutzmasken und andere wichtige Materialien nach wie vor Mangelware, wie eine Umfrage unter Ärzten ergab.

Das anhaltende Versagen der Politik verschwindet somit hinter dem Jubel über eine erfolgreiche Krisenstrategie oder dem vorgeschobenen Streit um Erleichterungen, die sich nicht länger aufschieben lassen. Was wäre eigentlich die Alternative zu Ramelows Vorstoß in Thüringen? Nun, sie liegt bereits auf dem Tisch. So will die Bundesregierung die Kontaktbeschränkungen abermals verlängern. Diesmal bis zum 5. Juli. Gleichzeitig soll es aber weitere Lockerungen geben. Demnach sollen sich zu Hause oder in geschlossenen Räumen, privat oder öffentlich, bis zu zehn Menschen oder die Angehörigen zweier Hausstände treffen können. Draußen dürfen es gern auch 20 sein, wie die Bild zu wissen vorgibt. Worin genau besteht da jetzt ein in der Praxis überprüfbarer Unterschied zu dem was Ramelow in Thüringen vorhat oder in anderen Bundesländern geplant ist?

Es fällt schwer, ihn zu erkennen. Der Bundesregierung dürften aber die Herzen der Medien wieder zufliegen, während Ramelow als Buhmann zunächst einmal in der Ecke steht. Dabei hat er nur etwas getan, was kurz vor dem Ende eines allgemeinen Verordnungszeitraumes mittlerweile üblich geworden ist. Irgendein Landesfürst – zuletzt war es der Niedersachse Stephan Weil mit einer bunten Tafelfleißarbeit – geht mit neuen Vorschlägen in Vorlage, um die Agenda für die anstehende Bund-Länder-Runde zu prägen. Bekannt ist ja, dass Merkel darin nicht mehr viel zu sagen hat. Insofern könnte es genauso gut sein, dass der thüringische Ministerpräsident der Kanzlerin einfach nur einen Gefallen tut, damit die sich als umsichtige Mahnerin weiterhin profilieren kann.


Bildnachweis: Alexas_Fotos auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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