Das Sparstrumpf-Märchen

Geschrieben von: am 11. Mai 2020 um 9:27

Das deutsche Modell mit schwarzer Null und Schuldenbremse ist vollkommen sinnlos, das zeigt der Finanzbedarf in dieser Krise. Um das absurde Dogma, angelehnt an das Verhalten der schwäbischen Hausfrau, dennoch zu retten, wird die bisherige Haushaltspolitik verklärt. Es wird also behauptet, die Rettungspakete seien nur deshalb möglich, weil man vorher eine solide Etatplanung mit der Einschränkung von Ausgaben und der Vermeidung neuer Schulden praktiziert habe. Das ist vollkommen falsch. Denn die Sparstrümpfe nützen in dieser Krise gerade überhaupt nichts.

Es wird Geld bereitgestellt, viel Geld, unvorstellbar viel Geld. Die Summen sind mittlerweile so hoch, dass bei den Buchhaltern im Parlament die Alarmglocken schrillen. Sie betonen immer lauter die Notwendigkeit, Kredite schnell wieder zurückzuzahlen. Neuen Forderungen erteilen sie eine Absage, obwohl große Teile der Gesellschaft, die unter dem Lockdown leiden, gar keine Hilfen in Anspruch nehmen dürfen. Bereits jetzt gilt schon wieder die bekannte Formel, dass man den Gürtel enger schnallen müsse. Unterstützung bekommen die Buchhalter vom Bundespräsidenten, der von einem Verzicht auf Wohlstand sprach, aber auch von Gewerkschaften, die ankündigen, Lohnforderungen erst einmal zurückstellen zu wollen.

Das sind falsche Signale, da ein Lohnverzicht die Wirtschaftskrise nur noch schlimmer macht. Denn bereits durch den Shutdown selbst haben sich die Einkommen der Menschen deutlich um bis zu 40 Prozent reduziert. Über 10 Millionen Beschäftigte sind laut Bundesagentur in Kurzbarbeit, die Arbeitslosigkeit hat ebenfalls so stark wie noch nie zugenommen und immer mehr Selbstständige sollen die Grundsicherung beantragen, da ihre Umsatzeinbrüche ersatzlos bleiben oder etwaige Soforthilfen des Staates keinesfalls für den Lebensunterhalt verwendet werden dürfen. Das und die Aussicht, für einen noch längeren Zeitraum, mindestens bis zu einem Impfstoff, mit Einschränkungen leben zu müssen, bietet die Grundlage für eine große Depression.

Wer es da zu seiner Hauptaufgabe macht, mit Tilgungsplänen seine Schuldenphobie zu therapieren, handelt grob fahrlässig, weil eine Stabilisierung der Binnennachfrage das einzige ist, was jetzt noch bleibt. Die Zeit der Schwäbischen Hausfrau ist endgültig vorbei. Die Buchhalter werden das ohnehin einsehen müssen, wenn ihnen klar wird, dass das deutsche Modell nicht an Corona gescheitert ist, sondern an der Annahme, auf ewig mehr in andere Länder exportieren zu können als man selbst von dort einführt. Der Zusammenbruch der Exportmärkte im Schatten von Corona ist ein Riesenproblem. Die Betriebe im produzierenden Gewerbe mussten ja nicht wegen einer Verordnung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes schließen, wie Geschäfte im stationären Einzelhandel, Dienstleister oder Restaurants und Kneipen. Sie taten es freiwillig, weil ihnen die Absatzmärkte für ihre Produkte über Nacht weggebrochen sind.

Davor ist immer gewarnt worden. Umso wichtiger ist es daher, jetzt nicht wieder in die alte Litanei zu verfallen und jene Mythen zu pflegen, für die es außerhalb Deutschlands überhaupt kein Verständnis mehr gibt. Höhere Staatsschulden belasten die kommende Generation nicht, da das spiegelbildliche Vermögen immer auch mitvererbt wird. Ja, aber irgendwer muss doch die Milliarden und Billionen bezahlen? Nein! Denn etwas mehr als die Hälfte der „bondholders“ sind staatliche Institutionen (EZB, Bundesbank, andere Zentralbanken. Der Staat leiht sich selbst das Geld oder könnte mit weiteren Zentralbankgeld die Krisenkosten bezahlen, ohne das eine Tilgung zeitnah oder je erfolgen müsste. In Großbritannien, den USA, Kanada und Japan ist das längst auch offiziell der Fall, da eben Sparstrümpfe in Krisen und auch sonst nichts taugen.

Nur in der Eurozone und insbesondere in Deutschland hält sich das Märchen von der sparsamen Haushaltspolitik, die es plötzlich ermöglicht haben soll, Gelder zu mobilisieren, von denen man bisher fest annahm, das sie gar nicht existieren können. Doch auch der Bundestag hat einen Nachtragshaushalt von über 156 Milliarden Euro verabschiedet und staatliche Kreditgarantien von über einer Billion Euro gemacht. Warum? Weil es notwendig ist und der Staat, der eine eigene souveräne Währung besitzt, es auch genau so machen kann. Wer also eine große Depression verhindern will, darf auf keinen Fall zurück zum alten Dogma, sondern muss an einer expansiven Ausgabenpolitik festhalten. Das wäre im Gegensatz zu all dem Unsinn, der über Schuldenstandsquoten erzählt wird, der solidere Ansatz.


Bildnachweis: geralt / Pixabay


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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