…doch die blauen Pullis mit den gelben Sternen drauf bleiben im Schrank. Es gibt auch nichts zu feiern, denn die Grenzen sind weiterhin dicht. Wegen Corona, wie es vom zuständigen Bundesinnenminister heißt. Die Erfolge im Kampf gegen das Virus seien auch auf die Grenzschließungen zurückzuführen, so Seehofer.
Doch das kann nicht überzeugen. Denn die Grenze zu Belgien war nie zu – dabei ist das Land ein Corona-Hotspot. Ein Problem war das nie.
…schreibt Eric Bonse auf seinem Blog Lost in EUrope. Doch nicht nur die realen Schlagbäume in Regionen, die über Staatsgrenzen hinweg längst eng miteinander verwoben sind, bereiten Sorge, auch der Streit um die Finanzen geht weiter.
Das Urteil-Dilemma
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Woche. Es war ein fatales Signal in Richtung Europa, dem schon nach wenigen Tagen kaum mehr Beachtung beigemessen wird. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker wundern sich auf Makroskop.
Während außerhalb Deutschlands die Alarmglocken schrillen, hüllt sich die Bundesregierung in unüberhörbares Schweigen. Doch dieses Schweigen ist keine Lösung. Je länger es anhält, desto größer ist der politische Schaden, den das Urteil für Deutschland und Europa anrichtet.
Denn das Bundesverfassungsgericht hat über eine europäische Institution ziemlich deutsch geurteilt und über die Beschlüsse des EuGH (Europäischer Gerichtshof) gesagt, sie seien „schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar“. Auf die Forderung der Karlsruher Richter, die EZB möge doch eine Erklärung zur Verhältnismäßigkeit ihrer Entscheidungen abgeben, antwortete der EZB-Rat inzwischen mit einem gepflegten „Ihr könnt uns mal“. Er wies darauf hin, dass der EuGH bereits im Dezember 2018 über die Praxis der Zentralbank entschieden habe und nichts zu beanstanden hatte. Mit anderen Worten, nicht das deutsche Verfassungsgericht, sondern der Europäische Gerichtshof ist die maßgebliche Instanz.
Flassbeck und Spiecker sehen darin nun eine Chance für die Bundesregierung, aus dem Urteil-Dilemma zu entkommen, indem sie erklärte, dass EU-Recht nun einmal über nationalem Recht steht.
Die Glaubwürdigkeit der deutschen Europa-Politik steht auf dem Spiel, weil gerade Deutschland klarstellen muss, dass die EZB für die gesamte EWU zuständig ist. Wer in Europa sollte noch an das genuin europäische Mandat der EZB glauben, wenn das oberste deutsche Gericht, das seine Inkompetenz in Sachen Ökonomik in der Urteilsbegründung anschaulich belegt hat, diese Institution zum Rapport zitieren darf?
Es müsse zu jeder Zeit klar sein, dass die EZB bei ihren Entscheidungen unabhängig ist und nicht durch nationale Gerichte beschnitten werden darf. Die Deppen-Fraktion wird schließlich weiter klagen und, so steht zu befürchten, auf Richter treffen, die für Argumente aus der Voodoo-Ökonomie sehr offen sind. Das deutsche Beispiel könnte auch Schule machen und andere Staaten dazu veranlassen, die Integrität europäischer Institutionen mit Verweis auf Karlsruhe anzuzweifeln. Flassbeck und Spiecker kommen daher zu dem Schluss, dass man es allen nicht mehr recht machen könne. Die Bundesregierung muss sich entscheiden und zwar für die EZB, wenn die Währungsunion halten soll.
Pandemic Crisis Support
Gestern hat sich die Eurogruppe auf das Rettungspaket verständigt, über das in den Wochen zuvor unter dem Stichwort Corona-Bonds gestritten wurde. Gemeinsame Anleihen gibt es nach wie vor nicht. Die Kanzlerin hat das ja kategorisch ausgeschlossen und auf den Eurorettungsschirm ESM verwiesen. Unter diesem Dach sollen die Hilfen jetzt auch anlaufen, wenn in der kommenden Woche die nationalen Parlamente zugestimmt haben. Der ESM selbst soll am 15. Mai grünes Licht geben. Kredite bis zu 240 Milliarden Euro stehen zur Verfügung. Das Geld darf nur für den Gesundheitssektor verwendet werden.
Sparauflagen oder Reformanforderungen solle es bei diesem einmaligen und zweckgebundenen Programm nicht geben. Kontrollen würden darauf konzentriert, dass die ESM-Mittel tatsächlich für „direkte und indirekte Kosten“ für Gesundheitsversorgung, Heilung und Vorsorge im Zusammenhang mit Covid-19 verwendet werden.
Quelle: FAZ
Ob das stimmt, ist fraglich, da über den Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie über das Europäische Semester weiterhin Sparmaßnahmen an die Staaten formuliert werden können. Der ESM mit seinen begrenzten Mitteln ist ohnehin untauglich und eigentlich nur eingerichtet worden, um politische Kontrolle ausüben zu können. Die Krise zeigt nun aber, dass sehr viel mehr Geld nötig sein wird, um aus dem Corona-Tal wieder herauszukommen. Deshalb hat die EZB mit ihrem Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) ein Ankaufprogramm aufgelegt, das zunächst bis zu einer Höhe von 750 Milliarden Euro gilt, technisch aber unbegrenzt laufen könnte.
Die Länder der Eurozone unter den vom Deutschen Klaus Regling geleiteten ESM zu zwingen, ist daher abwegig und nur dann sinnvoll, wenn man tatsächlich auch Kontrolle sicherstellen wollte. Die Buchhalter im deutschen Bundestag werden in der kommenden Woche deshalb auch darauf verweisen, dass man den Mitteleinsatz kontrollieren müsse, da man ja schließlich wisse, wie schlimm Länder wie Italien mit den Finanzen umgingen, obwohl das nachweislich überhaupt nicht stimmt. Unklar bleibt zudem, was aus einem Fonds zum wirtschaftlichen Wiederaufbau wird. Die Details sind weiterhin umstritten, denn genau hier zanken sich Nord und Süd über die Frage der gemeinsamen Anleihen weiter. Ein Konsens ist nicht in Sicht, obwohl die Wirtschaft weiter ins Bodenlose stürzt.
Bildnachweis: Mediamodifier auf Pixabay
Ergänzung
EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen prüft ein Vertragsverletzungsverfahren.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.