In den Umfragen geht es für CDU und CSU steil bergauf. Im Bund marschieren beide Parteien stramm Richtung 40 Prozent, in den Ländern sieht es zum Teil noch deutlich besser aus. Da spielt es auch keine Rolle, dass es bei den schwarzen Ministerpräsidenten offen Streit darüber gibt, wie die Coronakrise zu bewältigen ist. Der als Hardliner auftretende Markus Söder hievt seine CSU in Bayern um satte 13 Punkte auf knapp 50 Prozent Zustimmung. Sein Widerpart aus Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, verbucht in den Umfragen für die CDU je nach Institut zwischen 8 und 10 Punkten mehr und landet bei knapp 40 Prozent Zustimmung. Woran liegt das? Ist das Krisenmanagement der Union so gut oder sind die Medien bei der Beurteilung der Regierungsarbeit einfach zu nachsichtig? Diskutiert wird über beides.
So legt beispielsweise Wolfgang Michal in der Wochenzeitung der Freitag den Finger in die Wunde und weist zu Recht darauf hin, dass über das Versagen der Regierung zu Beginn der Pandemie eher wenig geschrieben wird. „Die Regierung hat Corona verpennt, die Medien schweigen dazu. Apropos: Haben wir eigentlich eine Opposition?“ Auch Michal weist auf das gängige Narrativ hin, dass in nahezu allen Leitartikeln zu finden ist. So schlage in Zeiten der Krise immer die Stunde der Regierung. So weit, so schlicht. Was dieselben Medien allerdings nicht so gerne hören, ist die Feststellung, dass sie auch regelmäßig als Lautsprecher der Regierung fungieren, was dieser zusätzlich den Rücken stärkt.
In der FAZ meint Werner D’Inka hingegen, die Kritik an Journalisten sei übertrieben. Ein Systemversagen gebe es nicht. Er schreibt:
Geradezu grotesk ist die Rüge, „die“ Medien nähmen die Einschränkungen von Grundrechten hin wie Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden. Nirgends wird die abwägende Debatte darüber, was gerade noch hinzunehmen sei, und auch das nicht auf Dauer, seriöser geführt als in „den“ Medien, und beileibe nicht nur von Gastautoren. Lesen und sehen die Medienkritiker das nicht? Helmut Reitze, der frühere Intendant des Hessischen Rundfunks, pflegte Beschwerdeführern über angebliche blinde Flecken in der Berichterstattung zu antworten: „Nicht alles, was Sie nicht gesehen haben, haben wir nicht nicht gesendet.“
Vielleicht geht es auch weniger um die Einschränkung von Grundrechten als vielmehr um die grundsätzliche Linie vieler Medien zu aktuellen politischen Themen. Nehmen wir das Beispiel Kurzarbeitergeld. Arbeitsminister Hubertus Heil schlägt eine Anhebung der Leistung von derzeit 60 bzw. 67 Prozent auf 80 bzw. 87 Prozent vor. Das ist sinnvoll, da anders als zur Finanzkrise 2008 und 2009, als lediglich das vergleichsweise gut verdienende verarbeitende Gewerbe von Kurzarbeit betroffen war, nun deutlich mehr Branchen das Instrument nutzen, insbesondere auch Unternehmen im eher schlecht entlohnten Dienstleistungssektor. Die Einkommenseinbußen sind gerade hier durch Kurzarbeit enorm und bringen Menschen, die Mieten und Rechnungen weiter zu bezahlen haben, in arge Bedrängnis.
An die Reserven
Wie reagieren nun die äußerst beliebten Regierungsparteien CDU und CSU auf den Vorstoß des Ministers. Sie wiegeln ab und führen ein Argument an, dass von den Medien unwidersprochen stehen bleibt.
In der Union gibt es Bedenken wegen der Kosten. Die Bundesagentur für Arbeit verfügt zwar über Reserven von 26 Milliarden Euro – aber die wären bei höherem Kurzarbeitergeld natürlich schneller aufgebraucht als bei niedrigerem.
Quelle: RND
Es ist richtig, dass die Reserven der Bundesagentur bei einem höheren Kurzarbeitergeld schneller aufgebraucht würden. Doch wovon hängt es eigentlich ab, wie hoch die Reserven der Behörde sind? Die Antwort ist leicht. Von den Beiträgen, die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Arbeitslosenversicherung teilen. Der Beitragssatz liegt im Augenblick bei 2,4 Prozent. Im letzten Jahr waren es noch 2,5 Prozent. Das klingt jetzt nicht nach einem großen Unterschied, doch 0,1 Prozent entsprechen in etwa 1,2 Milliarden Euro an Einnahmen. Der Union ist es in dieser Großen Koalition gelungen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mit Hinweis auf die angeblich viel zu hohen Rücklagen, gleich mehrfach zu senken und dies als Entlastung für die Beschäftigten zu verkaufen.
Die SPD hat bei der Zerstörung dieser wichtigen Sozialversicherung leider mitgemacht, um im Gegenzug eine Grundrente zu bekommen, von der mittlerweile auch der Arbeitsminister annimmt, sie nicht rechtzeitig zum 1. Januar 2021 technisch umsetzen zu können. Getrieben wird Hubertus Heil dabei unter anderem vom Wirtschaftsflügel der CDU. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion und Sprecher der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) Carsten Linnemann ist bekennender Gegner der Grundrente und möchte diese wegen Corona am liebsten ganz verschieben.
„Frühestens nach Ende der Corona-Krise sollten wir darüber wieder diskutieren.“
Quelle: n-tv
Linnemann war auch einer der Wortführer, der sich noch im Oktober 2019 für eine deutliche Senkung der Beiträge in der Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte starkgemacht hat. Begründung:
MIT-Chef Carsten Linnemann sagte dem RND, die Bundesagentur für Arbeit werde im kommenden Jahr mehr als 25 Milliarden Euro aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf der hohen Kante haben. „Es gibt deshalb ausreichend Spielraum, den Beitrag von 2,5 auf 2 Prozentpunkte zu senken, um Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu entlasten“, so der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. „Dann bleibt immer noch genug in der Rücklage für Konjunkturschwankungen. Wichtig ist aber, dass dann die Entlastung nicht durch Erhöhung der Sozialabgaben an anderer Stelle wieder aufgehoben wird.“
Wäre es also nach der Union gegangen, fielen die Polster in der Arbeitslosenversicherung und in anderen Zweigen der Sozialversicherung noch deutlich geringer aus. Was also im vergangenen Jahr als große Entlastung der Beschäftigten gepriesen wurde, wird nunmehr als Finanzierungsproblem herausgestellt und niemand in den Medien klärt diesen Widerspruch auf. Es werden keine unangenehmen Fragen an diejenigen gestellt, die in der Sozialversicherung auch heute noch kaum etwas anderes als zu vermeidende Kosten sehen. Die SPD hätte das verhindern können, wenn es ihr tatsächlich um sozialpolitische Inhalte, statt um Effekthascherei mit einer Grundrente gegangen wäre, die nach jahrelangem Kastrationsprozess und implantierten Bürokratiewahnsinn nun niemanden mehr hilft.
Heruntergezogene Hosen
Aber die SPD hat nun kein Interesse daran, aufzuklären, wie ihr die Union die Hosen mal wieder heruntergezogen hat. Das ist klar. Es würde ja auch dem Selbstbild widersprechen, wonach in der Große Koalition vor allem SPD Inhalte dominieren. Und so steht die Partei gleich in mehrfacher Hinsicht mit leeren Händen da. Sie hat allen Maßnahmen zur weiteren Schleifung des Sozialstaates zugestimmt, in der Hoffnung, mit der Grundrente einen großen politischen Erfolg mit ins kommende Wahljahr nehmen zu können. Was soll sie also anderes tun, als den absurden Schaukampf um eine Sozialpolitik, die es nicht gibt, mit der Union fortzusetzen? Höheres Kurzarbeitergeld, eher nicht, da man ja gemeinsam die Einnahmen der Arbeitslosenversicherung beschnitten hat. Eine Grundrente, eher nicht, da man ja gemeinsam ein Bürokratiemonster erschaffen hat, dass bereits ohne, aber erst recht mit Corona nicht rechtzeitig umzusetzen ist.
Und die Medien? Sie lieben ja den Streit und bieten auch weiterhin gern die Plattform, auf der sich die GroKo-Parteien miteinander um solche belanglosen Oberflächlichkeiten zanken können. Wen interessieren schon abgesenkte Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, wenn der Kanzlerin mit „Öffnungsdiskussionsorgie“ gerade wieder eine tolle Wortschöpfung gelungen ist. Das gibt schon wieder Punkte für die Union. Wolfgang Michal schreibt in seinem Text, dass die Bundesregierung eine „Krisenkommunikationsstrategie“ erfolgreich umgesetzt habe.
In der ersten Phase der Corona-Krise hat sie zwei einfache Botschaften gebetsmühlenartig verkündet: erstens: Wir haben schnell gehandelt, und zweitens: Wir sind gut vorbereitet. Beides stimmte nicht, es prägte aber nachhaltig die öffentliche Meinung. Die Botschaften wurden so überzeugend kommuniziert, dass niemand sie hinterfragte – weder die Oppositionsparteien noch die Medien.
Quelle: der Freitag
Das stimmt und die SPD hat das Spiel der „guten Vorbereitung“ tapfer mitgespielt. Das spricht man lieber nicht an. Außerdem sind die Versäumnisse der jüngeren Vergangenheit leider auch so alt, wie die Zeitung von gestern. Und die interessiert niemanden. Aufmerksamkeit und Klicks sind die Währung der Gegenwart. Deshalb gehen Geschichten um die Einführung der Maskenpflicht gerade besonders gut, auch wenn die Menschen dafür nur einen Schal benötigen. Man rechnet aber damit, dass diese spannende Frage geklärt ist, bis die Frisöre wieder geöffnet haben…
Bildnachweis: WikiImages auf Pixabay
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.