Bei Nebel sollte man auf Sicht fahren. Das ist sinnvoll, da man so auf plötzlich auftretende Gefahren besser reagieren kann. In der Politik hat die Floskel etwas mit Zurückhaltung zu tun, man will kein Risiko eingehen und nur solche Entscheidungen treffen, deren Folgen überschaubar sind. Legt man diesen Maßstab an die Corona-Politik von Bundes- und Landesregierungen an, muss sich aber schnell etwas ändern. Denn die Folgen eines längeren Shutdowns samt Einkommensverlusten für weite Teile der Bevölkerung sind dramatisch. Das Land steuert mit Volldampf in eine sehr lange Wirtschaftskrise hinein. Das ist sehr deutlich erkennbar.
In meiner Kommune werden die Bürger dazu aufgerufen, lokale Einzelhändler zu unterstützen. Denn die haben es unter den Bedingungen des Shutdowns besonders schwer, weil sie ihre Läden nicht öffnen dürfen und somit keine Umsätze generieren können. Die Geschäftsleute haben sich daher überlegt, auf einen Abhol- oder Lieferservice umzusteigen. „Gemeinsam gegen einsam“, lautet die charmante Kampagne, die aus der Not heraus geboren worden ist. Das ist löblich und wird im Kleinen auch sicherlich ganz gut funktionieren, gegen Branchenriesen wie Amazon, die das Onlinehandel- und Logistiksystem perfektioniert haben, wird das im großen Rahmen gedacht aber kaum etwas nutzen. Ohnehin klammern diese Aktionen die Tatsache aus, dass viele Menschen gerade enorme Einkommensverluste hinnehmen müssen und ihren Konsum infolgedessen stark drosseln werden.
Das hat auch sehr viel damit zu tun, mit welchen Mitteln der Staat den notwendigen Stillstand des gesellschaftlichen Lebens abzufedern versucht. In den vergangenen zwei Wochen habe ich mich bereits mit den Soforthilfen beschäftigt und welche Probleme mit ihnen in der Praxis auftreten. Entscheidend ist nun, wie viele Menschen auf Lohnersatzleistungen oder Sozialhilfen angewiesen sein werden. Die Zahlen sind enorm. Schätzungen zufolge könnten allein über 8 Millionen Beschäftigte unter die Kurzarbeiterregelung fallen. Diese Menschen erhalten also deutlich weniger Geld zum Leben als in normalen Zeiten, selbst wenn es in einigen Branchen großzügigere Regelungen als die 60 oder 67 Prozent gibt, die das Gesetz vorschreibt. Einbußen müssen auch diejenigen akzeptieren, die entlassen werden und auf Arbeitslosengeld I angewiesen sind. Selbstständigen, denen die Aufträge weggebrochen sind, erhalten von Seiten der Politik die Empfehlung, doch Grundsicherung zu beantragen. Sie haben damit einen noch höheren Rückgang ihres verfügbaren Einkommens zu verzeichnen.
Gleichzeitig betont die Politik, die Wirtschaft unbedingt am Laufen halten zu wollen. Ein Arbeitsverbot gibt es ja nicht, auch wenn Kitas, Schulen und Unis sowie zahlreiche Geschäfte und Restaurants geschlossen sind. Daraus ergibt sich aber zwangsläufig ein Widerspruch, da flächendeckend sinkende Einkommen niemals zu einer konjunkturellen Stabilisierung der Lage beitragen können, sondern zum Gegenteil führen, eine länger anhaltende Rezession und Wirtschaftskrise. Denn Menschen, die jetzt durch Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld oder Grundsicherung einen erheblichen Rückgang ihres verfügbaren Einkommens verkraften müssen, passen ihr Ausgabeverhalten unmittelbar und auch für die Zukunft an. Selbst wenn der Shutdown irgendwann beendet sein sollte, werden die wenigsten plötzlich loslaufen und aufgeschobenen Konsum nachholen. Im Gegenteil. Die meisten werden sich in Zurückhaltung üben, da sie nicht wissen können, ob sich das Einkommensniveau, das sie vor der Krise hatten, wieder erreichen lässt, ob es überhaupt noch einmal Gehaltszuwächse gibt oder ob sich der ganze Spuk nicht noch einmal wiederholt, es also bei der nächsten Viruswelle (so lange es keinen Impfstoff gibt) nicht wieder zu einem Shutdown kommt.
Kurzum: Unter den gegenwärtigen Bedingungen werden alle sparen, auch um aufgebrauchte Reserven wieder aufzufüllen. Alle, bedeutet nicht nur das Inland, sondern auch das Ausland, von dem die deutsche Volkswirtschaft bislang extrem abhängig ist. Die Pandemie betrifft schließlich die gesamte Welt und trifft die Ökonomien überall wie ein Schock. Die Nachfrage im Außenhandel wird daher wegbrechen, folglich müsste der Impuls aus dem Inland umso stärker ausfallen, um dem Schock etwas entgegenzusetzen. Mit unzureichenden Hilfsgeldern, die nur einen Teil der wegbrechenden Einkommen ersetzen, erreicht man das aber nicht. Ein solches Vorgehen und die Unsicherheit, die aus einem Dschungel an Fördermöglichkeiten entsteht, die jedes Ministerium zur eigenen Profilierung ersinnt, verschlimmern die Lage. Es bringt auch nicht viel, Sofortkredite nur so zu nennen, in Wirklichkeit aber Bedingungen wie die 90 prozentige Garantieabsicherung einzubauen, bei der die restlichen zehn Prozent, um die sich die Banken kümmern sollen, zum Vergabeproblem werden. Inzwischen ist die Haftungsfreistellung in Höhe von 100 Prozent erreicht. Die europäischen Partner werden erneut nur unter einen restriktiven Mechanismus gezwungen, bei dem Deutschland später die Kreditbedingungen diktiert.
Regierung will erst den Boden des Abgrunds spüren
Egal wie nun Kredite an die Wirtschaft vergeben werden, am Ende müssen diese zurückgezahlt werden. Das gelingt aber nur, wenn es für Unternehmen auch Aussicht auf Umsätze gibt, also Nachfrage. Das erfordert wiederum mehr als Kurzarbeitergeld und Grundsicherung auf Seiten der Konsumenten. Nur hat es den Anschein, als nehme die Politik den massiven Einbruch der Konjunktur lieber hin, als aktiv etwas dagegen zu tun. Konjunkturprogramme, Corona-Bonds, das alles wird noch kontrovers diskutiert. Man möchte offensichtlich erst einmal den Aufschlag auf dem Boden des Abgrunds spüren, bevor man weitere Entscheidungen trifft. Auch das entspricht dem Fahren auf Sicht. Dabei ist ja längst klar, dass es einen wirtschaftlichen Einbruch geben wird. Selbst der Sachverständigenrat wartet in einem Sondergutachten mit besorgniserregenden Zahlen auf. Die Experten geben sogar vor, das Minus bis auf die Kommastelle genau voraussagen zu können. Der Bundeswirtschaftsminister rechnet dagegen mit einem noch schlimmeren Szenario. Doch was tut die Regierung dagegen?
Finanzminister Olaf Scholz will laut einem Bericht der Tagesschau erst nach überwundener Krise ein Konjunkturpaket auflegen, das sich zudem an internationalen Klimazielen orientiert. Jetzt ergebe das offenbar noch keinen Sinn, muss man aus den Äußerungen schließen. Auch der SPD-Minister fährt wie seine konservativen Freunde aus der Union auf Sicht und verweist bis dahin auf den laufenden Haushalt der Großen Koalition, der seinen Angaben nach bereits hohe Investitionen beinhalte, was die Opposition allerdings für ein Märchen hält. Gleichzeitig hebt Scholz auf einen starken Sozialstaat ab und spricht ausgerechnet die Grundrente an, an deren Einführung er zum 1. Januar 2021 festhalten wolle. Profilierungsdrang ist auch hier wieder spürbar. Ob der Minister aber auch daran gedacht hat, die vielen Schwächen dieses „Ablenkungsreförmchen“ zu beseitigen, zum Beispiel das Zeiten der Arbeitslosigkeit bei der Berechnung der Grundrente schlichtweg nicht anerkannt werden?
Es ist eigentlich ganz einfach. Das Geld muss tatsächlich unbürokratisch verteilt werden und zwar an die, die wegen des Shutdowns Teile ihres Einkommens oder sämtliche Einkünfte verloren haben. Sie brauchen ihre vollen Einkünfte. Renten und Pensionen oder die Bezüge von Beamten sind im Augenblick nicht das Problem. Die werden schließlich weiter gezahlt. Es geht um die übrigen Masseneinkommen, die stabilisiert werden müssen, damit es eben nicht zu weiteren Sparversuchen kommt. Denn die reduzieren wiederum die Einkommen aller anderen. Das heißt dann eben auch, dass man Mitnahmeeffekte einkalkulieren muss, weil das Ziel einer stabilen monetären Brücke, wie sie von Friederike Spiecker auf Makroskop beschrieben wird, eben wichtiger ist, als irgendwelche Dogmen zur Haushaltsführung oder der Verschuldung. Sie schlägt vor:
Für alle Unternehmen sollte größenunabhängig die Lohnsumme (einschließlich eines kalkulatorischen Unternehmerlohns, der mit dem durchschnittlichen Arbeitseinkommen der Beschäftigten des Unternehmens angesetzt wird) entsprechend den Corona-bedingten prozentualen Umsatzeinbußen ersetzt werden. Zusätzlich wird der Fixkostenblock (Mieten, Lizenzgebühren, Kreditzinsen etc.) – wiederum entsprechend den Umsatzeinbußen – erstattet. Vorleistungen und Gewinne (abgesehen von dem genannten kalkulatorischen Unternehmerlohn) bleiben außen vor, also insbesondere auch Dividenden und Boni-Zahlungen.
Einen Anfang könnte der Staat ganz kurzfristig dadurch machen, dass er ab sofort das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent des Nettolohns aufstockt und nicht nur auf 60 oder 67 Prozent. Bis auf die Umsatzeinbußen liegen alle genannten Kennziffern von Unternehmen und Einzelunternehmern, die der Staat zur Berechnung der vorgeschlagenen Zuschüsse braucht, den Finanzämtern mindestens für das Jahr 2018 vor, das zur Orientierung dienen kann. Die Umsatzeinbußen können von den Unternehmen geschätzt werden, so dass neben der Subventionierung der Lohnsumme eben auch der drückende Fixkostenblock für die Unternehmen abgefedert werden kann. Eine Spitzabrechnung kann in ein bis zwei Jahren erfolgen. Komplizierte Extra-Regeln, wer z.B. welche Mietzahlungen wie lange gestundet bekommt, welche Kreditsummen zu welchen Konditionen an wen vergeben werden, sind dann hinfällig.
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APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.