Die Coronakrise bestimmt das Handeln oder auch nicht. Denn die Bundesregierung verwaltet eher weiter, als notwendige Entscheidungen zu treffen. Wie der Koalitionsausschuss in Berlin am gestrigen Sonntag entschied, sollen die Hürden der Kurzarbeit gesenkt und die Sozialbeiträge für die Arbeitnehmer durch die Agentur für Arbeit übernommen werden. Die Bundesregierung reagiert damit so, wie es zu erwarten war. Sie simuliert Handlungsfähigkeit, tut in Wirklichkeit aber nichts, was tatsächlich notwendig wäre. Und so fällt leider auch niemanden auf, dass beispielsweise die fortwährende Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ein schwerer Fehler war.
Die wurde stets mit den hohen Rücklagen der Bundesagentur begründet. Dass diese Rücklagen aber notwendig sind, ergibt sich aus dem enormen Finanzbedarf für eine umfassende Regelung, wie sie sich jetzt wieder abzeichnet. Doch Vorsorge oder vorausschauendes Handeln ist nicht mehrheitsfähig in dieser Großen Koalition. Hier dominiert, wie auch im Gesundheitswesen insgesamt, die Kosteneffizienz und ansonsten die buchstäbliche Ignoranz. Hohe Rücklagen sind demnach sinnlos und eine unzulässige Enteignung der Bürger. Gern wird dann auch darüber gesprochen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Leistungsträgern etwas zurückgeben zu wollen.
Die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge hat daher Tradition. Bereits zum Jahreswechsel 2018/2019 sank der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um satte 0,5 Prozent auf 2,5 Prozent. Mit Beginn 2020 ging es erneut um 0,1 Prozent nach unten. Das war ein Zugeständnis der SPD an die Union im Ringen um die Grundrente, die es nach wie vor nicht gibt. 0,1 Prozentpunkte entsprechen rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr. Kritiker haben wegen der konjunkturellen Risiken bereits im vergangenen Jahr vor einer Absenkung der Beiträge gewarnt. Nun tritt der Ernstfall ein, doch die Regierung bleibt gelassen und bei ihren Beschlüssen.
Und täglich grüßt das Murmeltier
Man sieht nach wie vor keinen Grund, am neoliberalen Weiter so etwas zu ändern. Schon gar nicht dürfe wegen des Virus die Schwarze Null oder gar die Schuldenbremse infrage gestellt werden. Man spricht lieber von zielgenauen Hilfen für die Unternehmen. Allerdings schwimmen die im Gegensatz zu den Beschäftigten im Geld. Dazu haben Entlastungen bei der Besteuerung sowie das Vernachlässigen aktiver Konjunkturpolitik in den vergangenen Jahren beigetragen. Der Unternehmenssektor bildet ständig Überschüsse, die aufgrund mangelnder Nachfrage nicht reinvestiert werden, sondern allenfalls zum Rückkauf der eigenen Aktien dienen.
Bei den Hilfen für die Beschäftigten sieht es dagegen eher mau aus. Sie sollen froh sein, in der Krise ihren Job nicht zu verlieren. Dafür tut die Regierung mit dem Kurzarbeitergeld schließlich alles. Sie erfüllt aber im Grunde nur eine weitere Forderung der Wirtschaft, die die Gunst der Stunde zu nutzen weiß, um die ohnehin bestehenden flexiblen Regelungen bei der Kurzarbeit noch weiter aufzuweichen. Täglich grüßt das Murmeltier, könnte man da sagen, denn mehr als reine Arbeitgeberpolitik fällt der Regierung mal wieder nicht ein.
Und was kaum in der Berichterstattung auftaucht, sowohl im Krisenjahr 2009 als auch jetzt: Man kann die Arbeitgeber noch weiter entlasten, das kostet dann aber nicht nur die Beitragszahler Geld, sondern auch die Arbeitnehmer haben einen Preis zu zahlen, denn sie bekommen für die Zeit der Kurzarbeit nur einen Teil des bereinigten Arbeitseinkommens, die Differenz müssen sie in Form des nicht-kompensierten Verdienstausfalls selbst tragen. Das waren 2009 mehrere Milliarden Euro. Natürlich haben die Beschäftigten einen Vorteil wenn sie nicht in die Arbeitslosigkeit gehen müssen, sondern in einer bestehenden Beschäftigung stabilisiert werden, aber man muss sehen, dass unter dem Strich der Hauptnutznießer die Unternehmen waren und sind, bei denen nicht nur die Belegschaften gehalten werden (konnten), sondern die sich auch enorme Kosten bei der Entlassung wie später im Aufschwung bei der Personalbeschaffung sparen können.
Quelle: Aktuelle Sozialpolitik
Marktkonforme Arbeitsverweigerung
Ja, es wird auch von einem Investitionspaket berichtet, das aber angesichts der Dimension und des Zeitraums nur als lächerlich bezeichnet werden kann. Denn maßgeblich ist eine Fortsetzung der Ignoranz. So wird schlichtweg geleugnet, dass Deutschland schon seit Ende 2017 auf Rezessionskurs ist. Die Auftragseingänge stagnieren, doch Konjunkturprogramme bleiben tabu. Vorstellbar sind allenfalls weitere Steuererleichterungen und einfachere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen. Dazu fordert die SPD einen früheren Abbau des Solidaritätszuschlages. Das grenzt an Arbeitsverweigerung. Wozu sind die Minister eigentlich da? Dürfen sie nur raten oder auch etwas anordnen?
Schaut man sich an, wie auf Rezessionsrisiken oder die Gefahr einer schlimmen Epidemie reagiert wird, kann man durchaus verstehen, dass Klopapier in den Supermärkten knapp wird. Eine Regierung, die nicht regiert, sondern allenfalls verwaltet und Nichtstun mit Besonnenheit übersetzt, muss sich über die panische Reaktion von Bürgern nun wirklich nicht mehr wundern. Italien riegelt ganze Provinzen ab, die Schweiz und Frankreich haben größere Veranstaltungen verboten, doch Deutschlands Minister sprechen lediglich Empfehlungen aus, weil es so schlimm ja noch gar nicht ist. Das ist entlang der neoliberalen Logik sogar nachvollziehbar. Denn in einem Land, in dem sich Menschen auch regelmäßig krank zur Arbeit schleppen, weil die Umstände sie dazu zwingen, werden Notlagen eben gänzlich anders bewertet.
Dass Krankenhäuser bereits vor dem Virus mit der Versorgung von Patienten enorme Schwierigkeiten hatten und Stationen wegen Personalmangels teilweise schließen mussten, ist nur noch eine Randnotiz. Sie verschwindet hinter dem ignoranten Gerede über ein belastbares und gut vorbereitetes Gesundheitssystem. Nichts davon ist wahr. Die Kapazitäten reichen nicht aus, um erkrankte Menschen, die eine stationäre und intensive Behandlung benötigen, zu versorgen. Daher ist eine Eindämmung der Epidemie enorm wichtig. Das erfordert aber einen handelnden Staat und keine marktkonforme Demokratie, die nur an den Lippen der Arbeitgeberlobby und der Finanzkonzerne hängt.
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MäRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.