Die Hängepartie in Thüringen setzt sich fort. Der Vorschlag von Bodo Ramelow, die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht für den Übergang von 70 Tagen zur Regierungschefin zu wählen, mag taktisch klug gewesen sein. Die Reaktion der CDU-Fraktion war aber ebenso erwartbar. Hier spielt man auf Zeit und will Neuwahlen angesichts der katastrophalen Aussichten in den Umfragen unbedingt vermeiden. Damit bleibt nur ein Weg übrig. Bodo Ramelow kandidiert im Landtag erneut und lässt sich wählen und zwar diesmal als Regierungschef eines Bündnisses aus Linken und der CDU.
Es dürfe nicht sein, sich mit den Stimmen von Faschisten zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Dieses neue Wahlgesetz, das nirgendwo steht, gibt es seit ungefähr zwei Wochen. Es hindert Bodo Ramelow auch daran, sich einfach noch einmal zur Wahl zu stellen, nachdem Amtsinhaber Kemmerich zurückgetreten war, weil er sich von der AfD hat mitwählen lassen, was auch Ramelow scharf kritisierte. Er will folglich nur dann noch einmal antreten, wenn es eine Zusicherung von einer erforderlichen Anzahl an Abgeordneten aus den Reihen von CDU oder FDP gibt, ihn bereits im ersten Wahlgang zu unterstützen. Das kann man versuchen, ist aber nach Lage der Dinge ein eher aussichtsloses oder zumindest doch recht unsicheres Unterfangen, zumindest wenn es bei Rot-Rot-Grün als Minderheitsregierung bleiben soll.
Folgenschwerer Fehler
Für die CDU-Fraktion ergibt eine Unterstützung von Rot-Rot-Grün verständlicherweise keinen Sinn. Gut möglich, dass, nachdem nun auch Christine Lieberknecht nicht mehr als Übergangskandidatin zur Verfügung steht, noch einmal ganz neu gedacht werden muss. Neuwahlen dürften angesichts der Umfragen vom Tisch sein. Die CDU wird der Selbstauflösung des Landtages jedenfalls auf absehbare Zeit nicht zustimmen. Daher muss weiterhin eine Lösung im bestehenden Parlament gefunden werden. Sich mit den Stimmen der AfD wählen zu lassen, kommt allerdings für niemanden mehr in Frage. Dafür hat die Empörung der letzten Wochen gesorgt. Das schränkt die Optionen ein.
Einen Teil der Stimmen im Landtag zu einem ganz großen Tabu zu erklären, bleibt nüchtern betrachtet ein folgenschwerer Fehler, der vor allem der AfD nutzt. Ihr absurder Vorschlag, Ramelow beim nächsten Mal geschlossen zu wählen, um ihn zu verhindern, funktioniert tatsächlich. Ramelow hat davor Angst, muss sich aber dennoch entscheiden, sich entweder wählen zu lassen, auf welche Art auch immer oder eben nicht. Eine sehr schlechte Alternative ist der Vorschlag, das Amt des Ministerpräsidenten aus der Hand zu geben und es der rechten Mehrheit, die ja im Moment keine sein will, auf dem Silbertablett zu servieren.
Mal angenommen, ein Kandidat der CDU würde Ministerpräsident für den Übergang. So etwas ist in der Verfassung gar nicht geregelt. Eine Vereinbarung für den Zeitpunkt X Neuwahlen anzustreben, ist damit bereits mit der Wahl des Kandidaten hinfällig, egal ob nun 70 Tage oder ein Jahr als Übergang vereinbart worden sind. Er kann regieren und zwar so lange er möchte, also bis zum regulären Ende der Legislaturperiode in fünf Jahren. Ein Vertrag mit der Linken, deren Stimmen für die Wahl ja benötigt werden, kann daran nichts ändern. Das Verfassungsschwert „Konstruktives Misstrauensvotum“ liefe ebenso ins Leere, da Rot-Rot-Grün nun einmal keine Mehrheit hat.
Rot-Rot-Grün de facto tot
Informell gebe es dann auch schon eine Koalition aus Linken und der CDU, wobei die geschrumpften Christdemokraten den Regierungschef stellen würden. Der wäre ohne die tabuisierten Stimmen der AfD ins Amt gekommen und könnte doch auf eine Mehrheit jenseits der Linken bauen, zumindest mit dieser drohen. Es ist ja bereits deutlich geworden, dass die Abstimmung über Gesetze bei weitem nicht so dramatisch gesehen wird, wie die Wahl des Ministerpräsidenten. Heißt: Wenn die AfD hie und da zustimmt, ist das eben so. Die Idee, Lieberknecht als Übergangslösung vorzuschlagen, war daher angesichts der zutage getretenen bürgerlichen Verkommenheit in den Reihen von CDU und FDP sowie bei Lichte betrachtet eine regelrechte Schnapsidee.
Sie könnte aber dennoch den Zweck erfüllen, ein Bündnis aus Linken und CDU nun doch noch vorzubereiten. Denn Rot-Rot-Grün ist de facto tot. Die Idee einer Minderheitsregierung wird nicht funktionieren. Wenn Ramelow diese Regierung weiterhin wollte, müsste er sich eben noch einmal der Ministerpräsidentenwahl stellen und zwar ohne Bedingungen, aber mit einer klaren Ansage an die anderen Fraktionen. Er werde die Wahl in jedem Fall annehmen, sei es im ersten, zweiten oder im dritten Wahlgang. Die Ankündigung der AfD, ihn im ersten Wahlgang zu wählen, um ihn zu verhindern, wäre vollends ohne Bedeutung, da er im dritten Wahlgang ganz sicher die meisten Stimmen erhielte. Sollte es Widerspruch geben, würde er auf die Wahl Kemmerichs verweisen, der mit der Mehrheit, die ihn unterstützte, anschließend nichts zu tun haben wollte.
Das heißt: Jeder, der aus dem rechten Lager gegen Ramelow antreten wollte, in welchem Wahlgang auch immer und gewählt wird, muss dann auch mit der AfD regieren. Ausreden zählen dann nicht mehr. Umgekehrt müsste Ramelow das dann aber auch. Zu einer offenen Wahl wie am 5. Februar wird es somit aller Voraussicht nach nicht mehr kommen. Eine vorzeitige Auflösung des Landtages wird es ebenfalls nicht geben, das zeigen die Reaktionen der CDU auf den Vorschlag Ramelows für eine Zeit des Übergangs. Es bleibt also nur eine neue Koalition aus Linken und der CDU, die am Wahlabend und einen Tag danach bereits angedacht war, aber sofort auf Druck aus Berlin wieder begraben werden musste. Sie erscheint nun aber erneut als Option, gegen die eine in der Führungskrise befindliche Bundes-CDU ohnehin nicht mehr viel ausrichten könnte.
Bildnachweis: Screenshot von https://www.tagesschau.de/inland/thueringen-wahl-115.html, abgerufen am 28.10.2019
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.