Nach der gewollt verunglückten Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ist lange nicht klar gewesen, welchem Zweck das Manöver wohl gedient haben könnte. Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass die Zusammenarbeit zwischen CDU, FDP und AfD nicht zufällig zustande kam und es Kooperationen dieser Art, allen Beteuerungen und Unvereinbarkeitsbeschlüssen zum Trotz, auch weiterhin geben wird. Während das Verhältnis zur AfD also sichtbar gelockert wurde, hat auf der anderen Seite eine verschärfte Abgrenzung gegenüber der Linkspartei stattgefunden. Ein linker Ministerpräsident, der bis weit in die konservativen Kreise der Gesellschaft anerkannt war und immer noch ist, wird allein auf der Grundlage eines dezidiert westdeutschen Antikommunismus unmöglich gemacht.
Wenn Bodo Ramelow das Gerede über ihn und seine Regierung verfolge, fühle er sich an die Debatten der 1950er Jahre erinnert, sagte er im Interview mit dem mdr. Er sei verwundert darüber, dass das kooperative Miteinander in Thüringen, für das gerade er immer wieder stand und geworben hat, durch den Rückgriff auf verstaubte Reflexe nun verhindert werde. Die Brücken, die er während seiner fünfjährigen Regierungszeit aufgebaut habe, seien einfach eingerissen und damit auch viel Vertrauen verspielt worden. Warum das alles?
Verlässlicher Partner
Ramelow, der 2017 im Bundesrat seine Zustimmung zur umstrittenen Pkw-Maut gab, weil er im Gegenzug die Zusage von Bundesverkehrsminister Dobrinth für ein regionales Bahnprojekt in Ostthüringen bekam, soll also ein Ministerpräsident sein, der „ungeeignet“ sei und mit dem man nicht zusammenarbeiten dürfe? Das ist grotesk. Ramelow, der für diese Entscheidung im Bundesrat gerade von den Linken viel Kritik einstecken musste, hat sich aus seiner Perspektive damals sehr rational entschieden. Er sagte, erst das Land und nicht der Aufschub einer Pkw-Maut, über die ohnehin ein Gericht noch zu befinden hatte.
Ramelow handelte also souverän und in Absprache mit einer Bundesregierung, die seine Partei gern beendet sehen würde. Vielleicht ist das ja mit radikal gemeint. Ein Begriff, der inzwischen wieder auftaucht, wenn es um den Ausschluss der Linken als Ganzes geht. Denn noch immer sind die Vertreter der angeblichen Mitte nicht bereit, den von ihnen angerichteten Schaden in Thüringen wieder zu reparieren. Sie bleiben dabei, dass sie den Mann nicht wählen können, mit dem sie bereits seit fünf Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten. So sind die Zustimmungswerte Ramelows vor allem bei den Anhängern von CDU und FDP im Land beachtlich.
So war es dann sicherlich auch möglich, bis zur angestrebten Ministerpräsidentenwahl in der vergangenen Woche eine Grundlage zu schaffen und zwar die berühmte Liste mit 22 Punkten, die es auch der CDU-Fraktion im Landtag erlaubt hätte, Bodo Ramelow bei seinem Vorhaben einer Minderheitsregierung zu unterstützen. Man hätte ihn dafür nicht einmal zu wählen brauchen. Doch die Strategen entschieden sich anders und in vollem Bewusstsein, was passieren würde. Schändlich ist dabei übrigens nicht, eine Wahl angenommen zu haben, wie vielfach behauptet wird, sondern die Tatsache, mit der Mehrheit, die den Kandidaten Kemmerich ins Amt verhalf, anschließend nichts zu tun haben zu wollen.
Ergebnis der Schockstrategie
Kemmerichs Regierungsplan, sofern er denn je einen besaß, bestand augenscheinlich darin, alle anderen Fraktionen mit dem Coup zu erpressen. So muss man das Angebot an SPD und Grüne zur Zusammenarbeit jedenfalls verstehen. Nur hätte er ohne Rechte oder Linke selbst nie eine Mehrheit zustande gebracht. Erreicht hat er dagegen eine politische Lage, auf die die Verfassung keine Antwort mehr weiß. Reflexartig Neuwahlen zu fordern, ist so ziemlich das Dümmste, was den selbsternannten bürgerlichen Parteien, die mittlerweile nur noch am Rand stehen, einfallen konnte. Auch darauf weist der ehemalige Ministerpräsident Bodo Ramelow hin.
So gibt es bewusst hohe Hürden für eine vorzeitige Auflösung des Parlaments sowie lange Fristen, die für einen neuerlichen Wahlgang einzuhalten sind. Daran könne unter Umständen per Erlass ein Innenminister etwas ändern, den es aber dank der beispiellosen Kurzsichtigkeit des Herrn Kemmerich, dessen Wissen über die Verfassung augenscheinlich sehr begrenzt ist, nicht gibt. Die fehlende Regierung, für die FDP, CDU und AfD im Verbund gesorgt haben, ist auch der Hauptgrund dafür, zunächst einmal keine Neuwahlen anzustreben. Thüringen braucht eine handlungsfähige Regierung, also Minister, die sich nicht nur um eine Neuwahl kümmern können, sondern auch um Entscheidungen, die notwendigerweise getroffen werden müssen, weil es das Alltagsgeschäft erfordert.
Die verstaubten Debatten aus den 1950er Jahren helfen da kaum weiter. Sie ergeben nur dann einen Sinn, wenn es auch die Absicht war und ist, das Verhältnis zu ganz Rechts zu normalisieren. So gesehen war das Manöver vom vergangenen Mittwoch ein voller Erfolg. Auf den schockierenden Vorstoß folgte eine halbherzige Kehrtwende, bei der komischerweise alle Hauptakteure des Schmierentheaters vorerst in ihren Ämtern überlebten, um nun um so nachdrücklicher einen energischen Angriff auf die Linke zu starten. Diesen ideologischen Kampf werden vermutlich noch radikalere Nachfolger, die als unbelastet gelten, weiter fortsetzen.
Bildnachweis: Screenshot aus der Sitzung des Thüringer Landtages vom 5. Februar 2020
FEB.
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.