Der gestrige Tag hat schon kurios mit der State of the Union Ansprache des US-Präsidenten vor dem Kongress begonnen. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses zerriss demonstrativ das Manuskript der Rede, obwohl sie an einigen Stellen artig mitpatschte und sich erhob, wie es offenbar so üblich ist im Land der Auserwählten, die nach Gutdünken und ohne Prozess Todesurteile per Knopfdruck vollstrecken oder jeden, der nicht spurt, mit Sanktionen überziehen. Es ist halt eine Show, gerade von den Demokraten, die sich bei den Vorwahlen, wo es nur geht, ordentlich blamieren. Ihnen wäre eine zweite Amtszeit Trumps in Wahrheit lieber, als ein Präsident, der Bernie Sanders heißt. Hier zeigt sich eine Form der Elitenverwahrlosung, die es aber nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland gibt. Ein Blick in den thüringischen Landtag genügt.
Denn nicht nur in den USA gibt es keine Chance auf eine vernünftige progressive Politik, auch in Deutschland setzt das politische Establishment alles daran, diese auf immer absurdere Weise zu verhindern. Das Verhalten von FDP und CDU im thüringischen Landtag ist unbeschreiblich. Nicht einmal Kabarettisten hätten auszusprechen gewagt, was sich Kemmerich und Mohring da gestern leisteten. Ein Betriebsunfall war das auf gar keinen Fall, sondern eine unerträgliche Farce, bei der sich der neue Ministerpräsident erdreistete, auch dann noch von Brandmauern gegen rechts zu sprechen, als er die Stimmen der AfD bereits zum zweiten Mal widerspruchslos angenommen hatte.
Er nahm auch die Glückwünsche jedes einzelnen AfD-Abgeordneten per Handschlag entgegen. Diese feixten offen über ihren Coup und das jämmerliche wie zitternde Ergebnis, das da in Person von Thomas L. Kemmerich vor ihnen stand. Eine gruselige Szene. Nun könnte man zurecht sagen, so ist halt Demokratie. Die Mehrheit, die sich nach der Wahl im Landtag abbildete, hat der neue Ministerpräsident eiskalt genutzt. Wo FDP und CDU stehen, ist damit klar. Sie haben sich, allen Beteuerungen zum Trotz, für ein Bündnis mit der AfD entschieden, tun aber immer noch so, als gäbe es dieses nicht. Das ist ein weiterer unbeschreiblicher Skandal, der auch zeigt, dass Demokratie immer noch pervertiert werden kann, trotz aller schrecklichen Erfahrungen.
Solange es politische Idioten gibt, nutzen offenbar auch gut formulierte Verfassungen nichts. Nach der letzten Bundestagswahl wehrte sich die FDP-Fraktion noch vehement dagegen, neben der AfD im Parlament platziert zu werden. Sie saßen da aber von Anfang an genau richtig, wie die Vorgänge im Thüringer Landtag eindrucksvoll belegen. Im Bund hätte das Bündnis aus Union, AfD und FDP ebenfalls eine Mehrheit. Die Einberufung des GroKo-Koalitionsausschusses durch die SPD-Parteiführung ist daher ein richtiger Schritt. Es wäre aber gut, wenn bei dieser Sondersitzung am Wochenende auch etwas mehr als nur ein paar Lippenbekenntnisse von Parteichefs herauskämen, deren Autorität, Stand heute, immer weiter schwindet.
Die Parteiführungen haben nach dem Desaster in Thüringen erneut versagt. Weder Lindner noch Kramp-Karrenbauer haben ihre eigenen Läden im Griff, widersprechen sich sogar auf offener Bühne, weil sie spüren, wie ihre Glaubwürdigkeit im Eiltempo schrumpft. Die beiden SPD-Parteichefs, die seit Amtsantritt zaghaft einen Politikwechsel versuchen, werden dagegen von total verrückt geworden Medien immer noch pausenlos beschossen. Auf der anderen Seite wird das unterlegene Regierungspersonal geschont, ja weiterhin für eine neoliberale Politik gelobt und unterstützt, die sich ja nicht ändern darf. Dass sich Journalisten, die solche Kampagnen mitmachen, nun darüber wundern, was in Thüringen passiert ist, bleibt ein ebenso unbeschreiblicher wie nachdenklich stimmender Vorgang.
Wie oft hat man das Narrativ einer angeblich linken Gefahr selbst bedient? Dass Höcke in einem ersten Statement sagen konnte, Ramelow habe mit seiner rot-rot-grünen Regierung das Land Thüringen zu einem Linksstaat deformiert, ist doch nur die logische Konsequenz einer Sprachregelung, die vom gesamten Politestablishment seit Jahren gepflegt und um den Zusatz, die CDU habe sich sozialdemokratisiert, ergänzt wird. Und so ist es am Ende dieses unbeschreiblichen Tages dann auch nicht verwunderlich, wenn erneut ein Friedrich Merz, diesmal bei Lanz, wie Kai aus der Kiste hüpft, um sich einmal mehr als der kommende CDU-Mann in Stellung bringen zu lassen.
Ihm dabei behilflich ist Martin Schulz, der sich in seiner Rolle als politischer Clown zunehmend gefällt. Dabei lachen die Leute nicht mit, sondern über ihn. Das Manöver von Merz ist dagegen nur allzu offensichtlich. Denn in der Union hat der Kampf um die Macht erneut an Fahrt gewonnen. Der CSU-Chef Söder hat nach dem Debakel in Thüringen sofort erkannt, dass die Schwesterpartei ein Riesenproblem hat und sich deshalb umgehend als moralische Instanz der Union inszeniert, weshalb die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär, ihren vollkommen missratenen Gratulationstweet an Kemmerich auch wieder löschen musste. Söder hat im Grunde seinen Anspruch auf die nächste Kanzlerkandidatur formuliert. Das konnte vom Blackrock-Mann Merz nicht unbeantwortet bleiben.
Willkommen in der nachsten Horrorshow.
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FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.