Es soll ja einen Rücktritt im Landtag von Thüringen gegeben haben oder so etwas Ähnliches. Die Medien recherchieren da leider nicht mehr so genau, weil die Effekthascherei, Klicks in den asozialen Netzwerken und das Gerede über Demokratie irgendwie wichtiger ist, als die Fakten, die einen etwas klarer sehen lassen würden. Nun, es hat keinen Rücktritt des gewählten Ministerpräsidenten gegeben. Denn so etwas hätte nach § 4 des geltenden Ministergesetzes schriftlich gegenüber der Präsidentin des Landtages erfolgen müssen. Der Herr Kemmerich erklärte indes nur, dass ein Rücktritt unumgänglich sei. Das reicht aber nicht.
Vor den Kameras kündigte Kemmerich die Absicht an, den Landtag auflösen zu wollen. Dafür benötigt er viel Zeit und zwei Drittel der Abgeordneten, die einem solchen Antrag auch zustimmen müssten. Nach derzeitigem Stand werden AfD und CDU solch einen Antrag aber nicht unterstützen. Die erforderliche Mehrheit käme folglich nicht zustande. In diesem Falle würde Kemmerich dann natürlich die Vertrauensfrage nach Artikel 74 der Landesverfassung stellen, um sie zu verlieren und dann den Landtag aufzulösen. Das gelingt aber nur, wenn der Antrag nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtages findet. Das könnte klappen, könnte aber auch wieder schiefgehen. Jedenfalls kann der Landtag nach einer verlorenen Vertrauensfrage erst nach einer Frist von drei Wochen aufgelöst werden. Solange haben die Mitglieder des Landtages Zeit einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen, und zwar wieder in den drei berühmten Wahlgängen, falls nötig.
Das gilt auch beim echten Rücktritt des Ministerpräsidenten. Da kann sofort neu gewählt werden, und zwar wieder mit drei Wahlgängen, falls nötig. Die Landtagspräsidentin kann das entsprechend organisieren. Das hat es auch alles schon einmal gegeben. Zum Beispiel beim altersbedingten Rücktritt von Bernhard Vogel im Jahr 2003. Der Ministerpräsident hielt eine letzte Regierungserklärung und überreichte am Ende sein schriftliches Rücktrittsgesuch der Landtagspräsidentin Lieberknecht. Darin stand, sie las es ja auch allen zur Kenntnis vor:
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, hiermit erkläre ich unter Bezugnahme auf Artikel 75 Abs. 1 Thüringer Verfassung und § 4 Thüringer Ministergesetz meinen Rücktritt vom Amt des Thüringer Ministerpräsidenten mit Wirkung vom 5. Juni 2003. Ihnen und Ihren Vorgängern im Amt danke ich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit über viele Jahre hinweg. Mit freundlichen Grüßen Ihr Bernhard Vogel.“
Ich schreibe das hier hin, weil nicht klar ist, welch kluger Kopf unter der amtierenden Glatze tatsächlich steckt. Es folgte ein kurzer Dank und die Eröffnung der Aussprache, zu der auch schon Bodo Ramelow, damals noch PDS, eine Rede beitrug, die an einigen Stellen Heiterkeitsbekundungen, sowohl auf Seiten der CDU wie auch auf Seiten der PDS ausweist. So ist es jedenfalls im Protokoll der Sitzung vermerkt, das jeder mit ein paar Klicks auf den Seiten des Landtages auffinden kann.
Entscheidend ist aber, dass die Worte an den nunmehr geschäftsführend im Amt befindlichen Ministerpräsidenten Vogel gerichtet waren oder auch nicht, der Inhalt spielt jetzt keine Rolle. Nach der Aussprache begann unverzüglich das Wahlprozedere, wie es in Artikel 70 Abs. 3 der Landesverfassung in Verbindung mit § 47 der Geschäftsordnung vorgeschrieben ist. Erster Wahlgang, zweiter Wahlgang oder bei Bedarf ein dritter Wahlgang. Dieter Althaus, der Nachfolger Vogels, wurde, das nur für die Statistik, im ersten Wahlgang gewählt.
Auf heute übertragen heißt das, wollte die FDP, die sich ja so furchtbar überrumpelt fühlte und in eine perfide Falle der ach so schlauen AfD tappte, irgend etwas wieder heilen, müsste die kluge Glatze einfach nur zurücktreten und zwar schriftlich. Die Landtagspräsidentin könnte eine neue Wahl des Ministerpräsidenten ansetzen, bei der sich dann die FDP einfach einmal enthielte oder mit Nein stimmte, um nicht wieder böse überrascht zu werden. Der Ministerpräsident hieße Bodo Ramelow, sofern er denn wieder antrete, und fertig. Weder Neuwahl noch ein anderes parteitaktisches Manöver wären dafür nötig.
Der Rest ist nur Geschwätz. Zum Beispiel die Frage, wer eigentlich noch geschäftsführend im Amt ist und wer nicht. So haben die alten Minister ihre Büros bereits geräumt, der neue Ministerpräsident aber noch kein neues Kabinett ernannt. Wenn er jetzt zurücktritt, oh Gott. Kann sein, dass das von Bedeutung ist, vielleicht auch nicht, aber die Autoren der Verfassung hatten sicherlich im Sinn, dass immer etwas Geschäfts(un)fähiges im Amt sein muss, es also aus Gründen nie ein Vakuum geben darf. Aber die kannten ja auch diesen Kemmerich, seine Fraktionskollegen und die wohl dümmste CDU Fraktion aller Zeiten noch nicht.
Bildnachweis: Free-Photos auf Pixabay
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.