Rücktritt geht nur schriftlich

Geschrieben von: am 06. Feb 2020 um 22:33

Es soll ja einen Rücktritt im Landtag von Thüringen gegeben haben oder so etwas Ähnliches. Die Medien recherchieren da leider nicht mehr so genau, weil die Effekthascherei, Klicks in den asozialen Netzwerken und das Gerede über Demokratie irgendwie wichtiger ist, als die Fakten, die einen etwas klarer sehen lassen würden. Nun, es hat keinen Rücktritt des gewählten Ministerpräsidenten gegeben. Denn so etwas hätte nach § 4 des geltenden Ministergesetzes schriftlich gegenüber der Präsidentin des Landtages erfolgen müssen. Der Herr Kemmerich erklärte indes nur, dass ein Rücktritt unumgänglich sei. Das reicht aber nicht.

Vor den Kameras kündigte Kemmerich die Absicht an, den Landtag auflösen zu wollen. Dafür benötigt er viel Zeit und zwei Drittel der Abgeordneten, die einem solchen Antrag auch zustimmen müssten. Nach derzeitigem Stand werden AfD und CDU solch einen Antrag aber nicht unterstützen. Die erforderliche Mehrheit käme folglich nicht zustande. In diesem Falle würde Kemmerich dann natürlich die Vertrauensfrage nach Artikel 74 der Landesverfassung stellen, um sie zu verlieren und dann den Landtag aufzulösen. Das gelingt aber nur, wenn der Antrag nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtages findet. Das könnte klappen, könnte aber auch wieder schiefgehen. Jedenfalls kann der Landtag nach einer verlorenen Vertrauensfrage erst nach einer Frist von drei Wochen aufgelöst werden. Solange haben die Mitglieder des Landtages Zeit einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen, und zwar wieder in den drei berühmten Wahlgängen, falls nötig.

Das gilt auch beim echten Rücktritt des Ministerpräsidenten. Da kann sofort neu gewählt werden, und zwar wieder mit drei Wahlgängen, falls nötig. Die Landtagspräsidentin kann das entsprechend organisieren. Das hat es auch alles schon einmal gegeben. Zum Beispiel beim altersbedingten Rücktritt von Bernhard Vogel im Jahr 2003. Der Ministerpräsident hielt eine letzte Regierungserklärung und überreichte am Ende sein schriftliches Rücktrittsgesuch der Landtagspräsidentin Lieberknecht. Darin stand, sie las es ja auch allen zur Kenntnis vor:

„Sehr geehrte Frau Präsidentin, hiermit erkläre ich unter Bezugnahme auf Artikel 75 Abs. 1 Thüringer Verfassung und § 4 Thüringer Ministergesetz meinen Rücktritt vom Amt des Thüringer Ministerpräsidenten mit Wirkung vom 5. Juni 2003. Ihnen und Ihren Vorgängern im Amt danke ich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit über viele Jahre hinweg. Mit freundlichen Grüßen Ihr Bernhard Vogel.“

Ich schreibe das hier hin, weil nicht klar ist, welch kluger Kopf unter der amtierenden Glatze tatsächlich steckt. Es folgte ein kurzer Dank und die Eröffnung der Aussprache, zu der auch schon Bodo Ramelow, damals noch PDS, eine Rede beitrug, die an einigen Stellen Heiterkeitsbekundungen, sowohl auf Seiten der CDU wie auch auf Seiten der PDS ausweist. So ist es jedenfalls im Protokoll der Sitzung vermerkt, das jeder mit ein paar Klicks auf den Seiten des Landtages auffinden kann.

Entscheidend ist aber, dass die Worte an den nunmehr geschäftsführend im Amt befindlichen Ministerpräsidenten Vogel gerichtet waren oder auch nicht, der Inhalt spielt jetzt keine Rolle. Nach der Aussprache begann unverzüglich das Wahlprozedere, wie es in Artikel 70 Abs. 3 der Landesverfassung in Verbindung mit § 47 der Geschäftsordnung vorgeschrieben ist. Erster Wahlgang, zweiter Wahlgang oder bei Bedarf ein dritter Wahlgang. Dieter Althaus, der Nachfolger Vogels, wurde, das nur für die Statistik, im ersten Wahlgang gewählt.

Auf heute übertragen heißt das, wollte die FDP, die sich ja so furchtbar überrumpelt fühlte und in eine perfide Falle der ach so schlauen AfD tappte, irgend etwas wieder heilen, müsste die kluge Glatze einfach nur zurücktreten und zwar schriftlich. Die Landtagspräsidentin könnte eine neue Wahl des Ministerpräsidenten ansetzen, bei der sich dann die FDP einfach einmal enthielte oder mit Nein stimmte, um nicht wieder böse überrascht zu werden. Der Ministerpräsident hieße Bodo Ramelow, sofern er denn wieder antrete, und fertig. Weder Neuwahl noch ein anderes parteitaktisches Manöver wären dafür nötig.

Der Rest ist nur Geschwätz. Zum Beispiel die Frage, wer eigentlich noch geschäftsführend im Amt ist und wer nicht. So haben die alten Minister ihre Büros bereits geräumt, der neue Ministerpräsident aber noch kein neues Kabinett ernannt. Wenn er jetzt zurücktritt, oh Gott. Kann sein, dass das von Bedeutung ist, vielleicht auch nicht, aber die Autoren der Verfassung hatten sicherlich im Sinn, dass immer etwas Geschäfts(un)fähiges im Amt sein muss, es also aus Gründen nie ein Vakuum geben darf. Aber die kannten ja auch diesen Kemmerich, seine Fraktionskollegen und die wohl dümmste CDU Fraktion aller Zeiten noch nicht.


Bildnachweis: Free-Photos auf Pixabay

6

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Kommentare

  1. Jörg Wiedmann  Februar 7, 2020

    Sollte Bodo Ramelow nochmals antreten und die Ihm fehlenden 4 Stimmen kommen von der AfD.
    Was dann ?

    • André Tautenhahn  Februar 7, 2020

      Lustig, warum sollte denn so was passieren? Ich weiß aber durchaus, worauf Sie hinaus wollen. Ein Ramelow dürfte in der Logik, die Sie offenbar unterstellen, dann auf gar keinen Fall die Wahl annehmen. Das wäre aber nur dann relevant, wenn sich die vier AfD-Abgeordneten auch zu erkennen geben, ansonsten ist das Kaffeesatzleserei. Mal angenommen, die geben sich zu erkennen. Dann wäre ich auf die Begründung gespannt. Danach können wir gerne weiter theoretisieren. ;-)

      • Jörg Wiedmann  Februar 7, 2020

        Sie haben mich durchschaut. :-)
        Auch ich wäre auf die Begründung der Abgeordneten gespannt gewesen. :-)
        Nein ernsthaft. Wie soll der gordische Knoten durchschlagen werden ?
        Nach der Umfrage Forsa von heute CDU -10% auf 10% FDP -1% auf 4% werden die Abgeordneten von CDU und FDP wohl kaum für die Auflösung des Landtages stimmen. Wer gibt schon freiwillig einen nicht ganz schlecht bezahlten Job und noch wichtiger eine nicht ganz so schlechte Altersabsicherung auf. :-)
        Die Forsa Umfrage von heute ist besonders lustig weil die Verluste der CDU und FDP komplett bei Linken, SPD und Grünen landen. Kann man glauben muss man aber nicht. :-)
        Was mich aber am allermeisten stört und in den Medien ARD, ZDF,ntv, Spiegel, FAZ usw.. nicht thematisiert wird
        ist, das Herr Kemmerich -der die Wahl niemals hätte annehmen dürfen-, seine Frau und seine KINDER von den sogenannten „Antifaschisten“ so massiv bedroht wurden, das alle unter Polizeischutz gestellt werden mussten.
        Vor den teils wirren Spinnern die für die AfD im Bundestag oder in Landtagen sitzen habe ich keine Angst.
        Vor der eskalierenden Gewalt durch die sogenannten „Antifas“ aber schon.
        Da hat auch ein „Dammbruch“ stattgefunden und weder SPD, Grüne noch Linke haben das Verhalten dieser linken Spinner kritisiert geschweige sich von ihnen distanziert.
        Un das ist -in meinen Augen- auch ein Skandal.

        • André Tautenhahn  Februar 8, 2020

          Nein ernsthaft. Wie soll der gordische Knoten durchschlagen werden ?

          Hab ich doch im Artikel geschrieben. Die Wahlverlierer sollten sich nicht so wichtig nehmen und einen Teufel an die Wand malen, den es nie gegeben hat.

          Nach der Umfrage Forsa von heute CDU -10% auf 10% FDP -1% auf 4% werden die Abgeordneten von CDU und FDP wohl kaum für die Auflösung des Landtages stimmen. Wer gibt schon freiwillig einen nicht ganz schlecht bezahlten Job und noch wichtiger eine nicht ganz so schlechte Altersabsicherung auf. :-)

          Es sieht derzeit auch nicht nach Neuwahlen aus.

          Was mich aber am allermeisten stört und in den Medien ARD, ZDF,ntv, Spiegel, FAZ usw.. nicht thematisiert wird ist, das Herr Kemmerich -der die Wahl niemals hätte annehmen dürfen-, seine Frau und seine KINDER von den sogenannten “Antifaschisten” so massiv bedroht wurden, das alle unter Polizeischutz gestellt werden mussten.

          Was Sie so stört. Der Personenschutz ist obligatorisch, die Drohungen leider auch. Niemand findet letzteres in Ordnung. Morddrohungen werden täglich per Post, Mail und Facebook an Politiker versandt. Es werden sogar Politiker erschossen, wie Walter Lübcke. Dafür gibt es dann sogar noch Beifall, allerdings nicht von jenen, vor denen Sie sich so fürchten. Gewalt ist zu verurteilen und ich kann auch nicht erkennen, dass SPD, Grüne oder Linke Gewalt gutheißen. Da müssen Sie von Ihrem Empörungslevel schon etwas herunterkommen. Klar ist nur, dass die Landesregierung für die innere Sicherheit und Ordnung zu sorgen hat. Darum muss sich der Innenminister kümmern, den es aber nicht gibt, weil der Ministerpräsident offenbar nicht in der Lage ist, diesen Posten zu besetzen. Und weil er keine funktionierende Regierung vorweisen kann, muss er zurücktreten. Er macht aber erst einmal ohne Kabinett weiter. Also beschweren Sie sich bei ihm.

      • Jörg Wiedmann  Februar 7, 2020

        Ob 4 oder 24 Stimmen spielt für die Wahl von Ramelow keine Rolle.
        Die AfD stimmt also im 1.Wahlgang gesschlossen für Herrn Ramelow.
        Begründung: Stabilität für Thüringen. :-)
        Annehmen oder ablehnen ? :-)

        • André Tautenhahn  Februar 8, 2020

          Ob 4 oder 24 Stimmen spielt für die Wahl von Ramelow keine Rolle.

          Die Anzahl der Stimmen aus dem gegnerischen Lager spielt schon eine Rolle. Mal angenommen, Teile der CDU-Fraktion erklärten, Bodo Ramelow im ersten Wahlgang zur absoluten Mehrheit zu verhelfen. Dann wäre es vollkommen Wurscht, wie viele Stimmen von der AfD kämen. Ramelow wäre zwar mit aber nicht durch die Stimmen der AfD gewählt. Da unterscheiden die Parteienrechtler.

          Natürlich könnte auch der vielleicht nicht mehr so absurde Fall eintreten, den Sie beschreiben. Stabilität als Begründung, ist natürlich Blödsinn. Ich könnte mir aber die Begründung vorstellen, dass die AfD Ramelow geschlossen wählt, um ihn zu verhindern. Sie würde sich also bewusst das ungeschriebene Gesetz zu Nutze machen, wonach kein Ministerpräsident durch die Stimmen der AfD ins Amt kommen dürfe. Ramelow müsste also ablehnen, nachdem, was in den letzten Tagen über das Verhalten von Kemmerich diskutiert worden ist. Bleibt die Frage, was dann aber passiert. Denn diesen Fall gab es bislang noch nicht.

          Logisch wäre, Ramelow lehnt die Wahl ab, mit der Begründung, sich nicht von der AfD ins Amt wählen zu lassen. Jetzt ist die Landtagspräsidentin, die zugleich auch Wahlleiterin ist, gefragt. Da sie auch eine Linke ist, wird sie vermutlich einen zweiten Wahlgang starten, zu dem Ramelow erneut antritt. Das Ergebnis wäre dasselbe. Es folgte der dritte Wahlgang und Ramelow wäre mit seiner eigenen relativen Mehrheit gewählt, auf das Kasperletheater der AfD käme es nicht an. Nun könnte man fragen, darf Ramelow, nachdem er eine Wahl abgelehnt hat, überhaupt noch einmal antreten? Das wissen wir nicht. Daher ist das reine Spekulation.

          Vermutlich wird das Verfassungsgericht über den Wahlvorgang urteilen müssen, sofern eine Organklage eingereicht wird. Das müsste wiederum die AfD tun. Nur mit welcher Begründung? Ramelow dürfe nicht Ministerpräsident sein, weil er seine Wahl durch die AfD abgelehnt hat. Das wäre ziemlich absurd, aus meiner Sicht.