Als der Autor Michael Ende seine „Unendliche Geschichte“ schrieb, kannte er die Grundrente noch nicht. Zum Glück. Denn für die Parallelwelt Phantásien hätte es im Kampf gegen das große „Nichts“ vermutlich kein Happy End gegeben. Das Herzensprojekt der SPD wackelt schon wieder, ist zu lesen. Dabei stand es niemals auch nur ansatzweise auf solidem Fundament. Der inszenierte Streit, der seit Beginn dieser Regierung andauert, diente nur dazu, im richtigen Moment als beigelegt erklärt zu werden, um der Öffentlichkeit, aber noch viel mehr den eigenen Anhängern, einen gewichtigen Grund für die Fortsetzung der GroKo zu servieren.
Üblicherweise beginnen die Geschichten mit einem Rückblick oder der Frage, wie alles begann. Bei der Grundrente ist das ganz hilfreich, da Vieles bereits vergessen ist. Zum Beispiel, dass die Diskussion um einen Rentenzuschlag schon viel älter ist. 2009 ging es bereits um ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung, 2012 um einen Zuschuss zur Rente, 2013 sollte die Solidarische Lebensleistungsrente beschlossen werden, 2017 dagegen eine gesetzliche Solidarrente. Seit 2019 ist auf Seiten der SPD gern von der Respekt-Rente die Rede, die aber mit dem, was man so Grundrente nennt, identisch ist.
Gekommen ist von alldem nichts, warum sollte sich daran also etwas ändern? Doch dazu später mehr, denn zu der Geschichte gehört auch noch eine Vorgeschichte, die wichtig ist. Dass sich die Politik über Grundrenten Gedanken machen muss, ist einem sozialpolitischen Skandal geschuldet, den die SPD mit ihrer Reformpolitik unmittelbar zu verantworten hat. Ohne die mutwillige Zerstörung der Rentenformel sowie den massiven Ausbau des Niedriglohnsektors würde es das Problem der Altersarmut, das sich in einer dramatischen Ausprägung immer deutlicher offenbart, gar nicht geben. Es ist außerdem ein Skandal, dass Menschen, die immer gearbeitet haben, am Ende ihres Erwerbslebens nicht über die Grundsicherung hinauskommen und sich folglich fragen, warum sie überhaupt Beiträge für eine Sozialversicherung haben abführen müssen.
Große Sozialreform
Diese Vorgeschichte wird allerdings ausgeblendet, wenn es um den politischen Einsatz des Arbeits- und Sozialministers Hubertus Heil geht. Er trägt dick auf, spricht über eine große Sozialreform, um die es gehe und sieht sich offenbar als ein deutscher Kennedy („We choose to go to the moon in this decade and do the other things, not because they are easy, but because they are hard…).
Ohne pausenlose Übertreibungen geht es bei den geschrumpften Regierungs-Sozialdemokraten mit Sitz im Parteivorstand nicht. Und wenn es am Ende nicht recht vorangeht, sind wie immer die anderen schuld, was ja durchaus richtig ist. Die Union hat kein Interesse an einer Grundrente, was aber auch schon klar war, als die angebliche Einigung kurz vor der Wahl des neuen SPD-Vorsitzenden-Duos verkündet wurde. Wer erinnert sich noch? Nicht Hubertus „Kennedy“ Heil informierte über die gute Nachricht, sondern der immer noch nicht in Vergessenheit geratene Finanzminister Olaf Scholz.
Das Manöver sollte ihm helfen, die Spitze der SPD zu erklimmen, was aber kläglich scheiterte. Um so erbitterter hält er weiterhin an der Schwarzen Null fest, obwohl seine eigene Partei gerade etwas anderes beschlossen hat und der Finanzminister sich zunächst auch gönnerhaft offen dafür zeigte. Hinzu kommt ein historisch zu nennender Überschuss im Haushalt von rund 13,5 Milliarden Euro. Das Geld scheint aber eher für mehr Rüstungsausgaben oder unnütze Steuersenkungen reserviert zu sein. Für die Renten bleibt leider wie immer nichts übrig, weshalb auch Hubertus Heil sein Lieblingsprojekt erneut verschieben muss.
Robin Hood
Der Grund liegt aber weniger an der Finanzierung, die ohnehin nicht auf dem Weg sichergestellt werden kann, auf den man sich verständigt hat. So sollte es eine Finanztransaktionssteuer geben, durch die eine moderne Version der berühmten Robin Hood Sage möglich würde, nämlich den Reichen etwas wegzunehmen, um es den Armen zu geben. Ein schönes Bild für die Sozialdemokratie, mehr ist es aber nicht, wie schließlich auch der Vorschlag des Finanzministers in dieser Sache zeigt, der dann doch mehr einer „Kapitulation vor der Finanzlobby“ gleicht. In diesen Kreisen hat übrigens, wie es der Zufall so will, gerade ein anderer Sozialdemokrat angeheuert, der einmal Vorsitzender der Partei und sogar Vizekanzler war. Diese verdrehte Robin Hood Story ist nur noch mit entsprechendem Galgenhumor zu ertragen.
Ist die Politik käuflich? Falls ja, würde es auch erklären, warum es mit der Sozialpolitik im Allgemeinen und der Grundrente im Besonderen einfach nichts wird. Der Zirkus um das große Nichts geht dennoch weiter. Die Sozialdemokraten halten an dem Kompromiss mit der Union fest, verweigern aber eine ehrliche Bestandsaufnahme. Denn das, was da verhandelt worden ist und immer noch als Durchbruch gefeiert wird, ist so ziemlich das Schlechteste, was man sich nur vorstellen kann. Der SPD-Kennedy Hubertus Heil hat den Murks in einen Gesetzentwurf einfließen lassen, bei dem man als politischer Gegner nicht einmal besonders helle sein muss, um die Schwachstellen zu erkennen, so wie Flitzpiepe Carsten Linnemann zum Beispiel.
„Die verfassungsrechtlichen Bedenken und die Probleme bei der Umsetzung wiegen so schwer, dass die Umsetzung der Grundrente immer unrealistischer wird.“
Quelle: Tagesschau
Die Grundrente ist schlicht nicht umsetzbar, stimmt, schon gar nicht unbürokratisch, wie im Heil-Entwurf beschrieben und damit auch nicht bis zum Stichtag am 1.1.2021. Das liegt an den Zugeständnissen, die die SPD hat machen müssen. So ist eine umfassende Einkommensprüfung vereinbart worden, die es als Verfahren leider überhaupt noch nicht gibt. Der Datenaustausch zwischen Finanzbehörden und Deutscher Rentenversicherung müsste komplett neu geschaffen werden. Überhaupt bleibt die Ermittlung des Einkommens ein kaum zu beseitigender Stolperstein, da die Finanzbehörden zum Beispiel gar nicht wissen, mit welchem Lebenspartner ein Antragssteller auf Grundrente zusammenlebt. Der Rentenversicherung sind die persönlichen Lebensverhältnisse der Versicherten ebenfalls unbekannt.
Das Einkommen von Ehegatten oder Lebenspartnern soll aber zwingend angerechnet werden. Lösen kann man das dann nur, indem man doch die Bedürftigkeitsprüfung wählt und den Antragssteller analog zu Hartz IV seitenlang und unter Androhung von Strafe darüber ausfragt, wer im gleichen Haushalt lebt und dort eine Zahnbürste im Zahnputzbecher unterhält. Dass sich die SPD-Verhandler auf den Unsinn mit der Einkommensprüfung überhaupt eingelassen haben, nur um die Chancen eines aussichtslosen Kandidaten auf das höchste Parteiamt zu verbessern, ist mal wieder eine dieser schäbigen Partei-Geschichten, für die man nicht ernsthaft Unterstützung von den Betroffenen und auch allen anderen Wählern erhoffen kann, die der Sozialdemokratie grundsätzlich wohlwollend gegenüber stehen.
Auf die richtigen hören
Hinzu kommt der Preis, den die Sozialdemokraten für den Murks mit der Grundrente bereits bezahlt haben. So wird der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter gesenkt und ein “Zukunftsfonds” eingerichtet, der künftig bis zu 10 Milliarden Euro für Unternehmen bereitstellen soll. Nur zum Vergleich, die rund 1,5 Milliarden Euro für eine Grundrente gehen angeblich an die Grenze des finanziell Machbaren. Die SPD sorgt in der GroKo so gesehen keineswegs für Verbesserungen, sie trägt vielmehr zum weiteren Sozialabbau bei und bezahlt reine Symbolpolitik auch noch mit teuren Zugeständnissen.
Was sollte also getan werden? Dazu lohnt wie immer ein Blick auf die Seite „Seniorenaufstand„, deren Betreiber kürzlich den Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Rolf Schmachtenberg, zu Gast hatten.
Einigkeit bestand in der Forderung nach einer Lebensstandart sichernden Altersversorgung. Dazu ist es notwendig das Renten-Niveau deutlich anzuheben und dafür auch einen Rentenbeitrag von über 20 Prozent zu akzeptieren. Insbesondere müssen die Kosten für versicherungsfremde Leistungen aus Bundesmitteln ausgeglichen werden. Das jährliche Defizit für sozialpolitische Maßnahmen, die allen zu Gute kommen, aber ausschließlich von den Beitragszahlern der Rentenversicherung geleistet werden, beträgt 32 Milliarden Euro. Verwiesen wurde wiederholt auf das Österreichische Rentenmodell mit seinen deutlich höheren Renten und der gerechteren Finanzierung. Wir dagegen, so zahlreiche Teilnehmer, hangeln uns von Reform zu Reform. Es fehlt ein realistisches, zukunftssicheres Gesamtkonzept. Einen Vorschlag dazu hatte der Koordinierungskreis „Seniorenaufstand“ im November 2019 erarbeitet. Dieser Vorschlag soll nun an alle sozialreformerischen Kräfte in der Republik verteilt werden.
Deutlich wurde: So ein Gesamtkonzept bleibt innerhalb der Groko eine Illusion. Statt einer einheitlichen Erwerbstätigen-Versicherung wird die private Vorsorge über die zweite und dritte Säule für unverzichtbar erklärt. Es wird ein Geschäft mit der Angst betrieben, schließlich wollen Banken und Versicherungen an der Alterssicherung kräftig mitverdienen.
Bildnachweis: Wilfried Pohnke auf Pixabay
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.