Umsetzungsprobleme

Geschrieben von: am 13. Dez 2019 um 17:48

Diese Woche ist im Deutschen Bundestag über die Schuldenbremse debattiert worden. Die FDP will das Instrument weiter verschärfen, kaum verwunderlich, die Liberalen haben noch nie etwas von Volkswirtschaft verstanden. Die Grünen wollen die Schuldenbremse weiterentwickeln, bekannten sich aber ganz überraschend zu der neoliberalen Regel im Grundgesetz, zum Teil mit absurden Argumenten, die offenbar der Union als künftigem Partner gefallen sollen. Die Linken fordern ein Ende der Schuldenbremse und eine Investitionspflicht. Das ist zwar richtig, aber eben auch nicht umsetzbar, da die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit, um die Verfassung wieder zu ändern, in weiter Ferne liegt. Man muss es ja leider so drastisch sagen: Die „Idioten“ haben auch hierzulande die Mehrheit.

Logik

Die Chefin selbst, Bundeskanzlerin Angela Merkel, hat unter dem Beifall von CDU/CSU sowie laut Protokoll auch den Abgeordneten der SPD und der FDP, bei der Haushaltsdebatte im Bundestag einen regelrechten Offenbarungseid geleistet, als sie sagte, dass mehr Schulden nicht in Ordnung seien, da die Zinsen ja auch wieder steigen könnten.

Ich muss wirklich sagen: Wenn man in Zeiten so niedriger Zinsen – Olaf Scholz hat das gestern dargestellt – glaubt, man müsste auch noch Schulden machen, was will man dann eigentlich in Zeiten machen, in denen die Zinsen wieder normal sind und steigen? Wie viel Schulden will man dann machen? Das kann ja nun ernsthafterweise nicht sein.

Quelle: Rede der Bundeskanzlerin im Deutschen Bundestag am 27. November 2019

Die Kanzlerin sagte auch, dass mit dem vorliegenden Haushalt der Bundesregierung ein „Investitionshoch“ verbunden sei, was einfach nur Quatsch ist, da die Zinsen dann unmöglich so niedrig sein können. Der Zins ist ja gerade der Preis, der sich aus Angebot und Nachfrage ergibt. Wird viel Kapital benötigt, was laut Bundesregierung, die von außerordentlichen Investitionen spricht, der Fall sein müsste, würde auch der Zins steigen. Er steigt aber nicht, sondern bleibt historisch niedrig, was unweigerlich bedeutet, dass viel Kapital auch weiterhin vergeblich nach einer Anlagemöglichkeit sucht.

Die Bundesregierung geht sogar noch weiter und behauptet, dass unter Beibehaltung von Schwarzer Null und Schuldenbremse sogar noch mehr Investitionen und gleichzeitig Steuersenkungen für Unternehmen möglich seien. Diesen Unsinn muss man nicht mehr kommentieren, denn jeder weiß, dass man nicht mehr Geld im Portmonnaie vorfindet, wenn man einen Teil davon vorher verschenkt hat.

Nun könnte man einwenden, dass Steuersenkungen zu einer vermehrten unternehmerischen Tätigkeit beitragen würden, also quasi Investitionen auslösen, die dann wieder in den Geldbeutel des Staates zurückfließen. Klingt zunächst einleuchtend, ist aber überhaupt nicht logisch, wenn man das niedrige Zinsniveau und damit ein bereits vorhandenes Überangebot an Kapital berücksichtigt. Nur weil man noch mehr Münzen in Form von Steuersenkungen in den Geldspeicher der Unternehmen wirft, werden keine zusätzlichen Investitionen ausgelöst. Was die Wirtschaft braucht, ist Nachfrage und die kann ihnen jetzt nur noch der Staat liefern.

Praxis

Das war das logische Umsetzungsproblem, das vermutlich mit mehr Bildung behoben werden könnte, kommen wir nun zu einem praktischen Umsetzungsproblem, dass die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien neuerdings behaupten, um mehr öffentlichen Investitionen nicht unbedingt zustimmen zu müssen. Es wird unterstellt, dass bereits viel Geld bereitstehe, dieses aber einfach nicht abgerufen werde, da die Planungskapazitäten in den Behörden nicht ausreichten. Es gebe damit ein echtes Umsetzungsproblem. Das stimmt, dieser Zustand ist nur nicht vom Himmel gefallen, sondern eine direkte Folge des jahrelang betriebenen Spardogmas im Öffentlichen Dienst, das gerade mit der absurden Schuldenbremse auf lange Zeit auch noch zementiert worden ist.

Wer also will, dass die Investitionsmittel rasch abfließen, braucht nicht nur schnellere Planungsverfahren, wie allenthalben von den neoliberalen Parteien gefordert wird, sondern auch dauerhaft mehr Geld für Personal. Was hindert den Staat eigentlich daran, die Mittel, die nicht abfließen wollen, zunächst für eine kräftige Anpassung der Gehälter zur Verfügung zu stellen? Der Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst in diesem Jahr gilt als ordentlich, die Länder haben vielfach die Einigung für ihre Bediensteten übernommen. Aber, dem höheren Aufwand für Personal steht die Schuldenbremse eindeutig im Weg. Denn wer die Regel einhalten will, und das wollen gerade die Länder unbedingt, muss daher an dieser Stelle sparen. Man sagt es nur nicht so direkt, sondern verpackt es in einem Fachbegriff, wie der konsumtiven Ausgaben, die es zu vermeiden gilt.

Diese Aufwendungen gelten gegenüber den investiven Maßnahmen als schlechte Ausgaben der öffentlichen Hand. Während der Bau von Brücken, Sporthallen oder die Anschaffung von Feuerwehrautos erwünscht ist, sind die Ausgaben für die dafür notwendigen Mitarbeiter, die planen oder fahren schlecht. Denn die Personalkosten sind das, was allgemein unter konsumtiven Ausgaben des Staates verstanden wird. Da wird schließlich nur verbraucht und nichts geschaffen, so die irre Logik. Unter dieser Prämisse dürften Einstellungen eher unterbleiben, vermutlich sogar der Abbau von Beschäftigten wieder in Erwägung gezogen werden. Die Mehrarbeit ist dann vom übrigen Mitarbeiterstamm zu leisten oder wird, wie heute schon gang und gäbe, einfach teurer fremdvergeben und die Kosten dafür in Schattenhaushalte ausgelagert. Somit dürfte auch dem Modell der öffentlich-privaten Partnerschaft eine weitere Blüte beschieden sein.

Atmung

Was abschließend noch einmal zu den Grünen führt. Deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende und erklärte „Wirtschaftskennerin“ Anja Hajduk hat sich in dieser Woche ähnlich haarsträubend vergaloppiert, wie die Kanzlerin in der Haushaltsdebatte ein paar Tage zuvor, was aber, wie oben bereits erwähnt wurde, für die künftige Zusammenarbeit offenbar notwendig ist. Hajduk meint, dass die Schuldenbremse positiv dazu beigetragen habe, die Gesamtverschuldung von über 80 auf unter 60 Prozent des BIP zu verringern. Das habe das Vertrauen in die Politik gestärkt. Folglich müsse die Schuldenbremse erhalten bleiben. Sie soll künftig aber atmen dürfen, was auch immer das bedeuten mag.

Jedenfalls ignoriert Hajduk, die „Wirtschaftskennerin“, das deutsche Modell, das einen Leistungsbilanzüberschuss nach dem anderen anhäuft. Gerade eben hat das statistische Bundesamt wieder eine Zunahme des Exportüberschusses verkündet. Mit anderen Worten: Das Ausland macht für Deutschland die Schulden, die hierzulande ignoriert werden und unter den Tisch fallen, damit es leichter ist, vermeintlich gute Bilanzen begeistert feiern zu können. Da aber, wie oben gezeigt, alle volkswirtschaftlichen Sektoren zu Nettosparern geworden sind, entsteht spätestens dann ein Problem, wenn das Ausland dies ebenfalls tut. Dann muss in einer geschlossenen Volkswirtschaft der Staat die Schulden machen, sofern er möchte, dass seine Wirtschaft weiter funktioniert.

Es ist daher vollkommener Unsinn, etwas gut an einer Schuldenbremse zu finden. Noch absurder ist es sogar, irgendwelche Grenzen der Gesamtverschuldung zu benennen, von denen längst klar ist, das sie frei erfunden sind und rein gar nichts über die Stabilität einer Volkswirtschaft aussagen können. Und ob das Vertrauen in die Politik gestiegen ist, ist angesichts der wiederholten Wahlerfolge im rechten Lager mehr als fraglich. Tief Luft holen und nachdenken, täte daher so manchem Politiker gut, bevor er oder sie seine Redezeit mit dem größtmöglichen Nonsens vergeudet, der überall auf der Welt für ein fassungsloses Kopfschütteln sorgt, nur in Deutschland nicht. Da klatscht man für derartige Peinlichkeiten auch noch Beifall im Parlament.


Bildnachweis: geralt / Pixabay:

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  Dezember 13, 2019

    Die Wirtschaftsverbände, alle namenhaften Wirtschaftswissenschaftler, die Unternehmervorstände wie Joe Kaeser ( Siemens AG ), IWF und OECD kritisieren die „Schwarze Null“. Aber ein paar Politiker halten daran fest.