„It’s time for Real Change“

Geschrieben von: am 01. Dez 2019 um 11:08

Die SPD Mitglieder haben entschieden. Das Ergebnis ist überraschend und lässt die Chance auf einen Kurswechsel wieder ein Stück größer werden. Das Ergebnis zeigt auch, dass die Unbeliebtheit von Olaf Scholz eben nicht bloß ein Mythos ist. Er war von allen Funktionären der alten Riege immer derjenige mit den schlechtesten Ergebnissen bei internen Wahlen. Entscheidender als der Wechsel an der Spitze der SPD ist aber, ob das geschlagene Partei-Establishment einer möglichen neuen Linie nun auch folgt. Daran bestehen nach wie vor berechtigte Zweifel, wie das Affentheater in der Bundestagsfraktion zu Beginn der letzten Woche gezeigt hat.

Die Medienöffentlichkeit hat sich bereits in Stellung gebracht. Sie beäugt das neue Führungsduo überaus kritisch. Hätte Scholz gewonnen, wäre das vermutlich anders gewesen. Ihn hatte man ja gerade in den Wochen der Mitgliederbefragung massiv unterstützt. Nun wird befürchtet, dass die Große Koalition zu einem jähen Ende kommen könnte. Das ist lustig, weil dieses Koalitionsende von denselben Medien immer mal wieder thematisiert wurde, obwohl es nie einen Grund dafür gab. Das ist jetzt natürlich anders, da Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken glaubwürdig sind. Sie könnten tatsächlich ernst machen, wenn es in der Regierung nicht zu den geforderten Verbesserungen kommt.

Furcht vor der Glaubwürdigkeit

Das zeigen auch die Reaktionen der politischen Gegner. Sowohl Union als auch FDP überbieten sich gerade darin, der SPD zu erklären, dass sie doch ins Chaos abdrifte und den Weg des Untergangs beschreite. Das Land stehe mal wieder am Abgrund. Das klingt so, als habe die FDP in den vergangenen zwei Jahren doch schon mitregiert und durch das Agieren der SPD ihre Vorstellung von neoliberaler Politik verwirklicht gesehen, siehe die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages mit Option auf mehr oder die Senkung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Das Festhalten an der Schuldenbremse durch einen SPD-Finanzminister fällt ebenso darunter.

Diese neoliberale Politik im Sinne der Rechten könnte sich nun ändern, sofern der Rückhalt für das neue Duo tatsächlich auch vorhanden ist. Das Partei-Establishment hat mit dem Showdown eine Woche vor dem Parteitag jedenfalls auch dafür gesorgt, dass die Zeit für die beiden Underdogs extrem kurz ist. Sie müssen nun einen Leitantrag entwerfen und sich auch die unkritische Regierungsbilanz vornehmen, die von den SPD-Funktionären bewusst vor der Entscheidung über den Parteivorsitz verfasst worden ist. Der Koalitionsvertrag sieht Nachverhandlungen ausdrücklich vor, obwohl die gesamte Medienöffentlichkeit wie auch die interessierten Kreise in der Politik so tun, als gäbe es diese Klausel gar nicht.

Sie war jedenfalls nie ernst gemeint, sondern sollte lediglich als Beruhigungspille dienen, um der SPD-Basis die Zustimmung zur Großen Koalition zu erleichtern. In Wirklichkeit wird aber seit Wochen für eine Fortsetzung der Großen Koalition getrommelt. Die SPD rede ihre Erfolge klein, ist ein gängiges Narrativ. Es kommt vor allem vom politischen Gegner und wird gern vom SPD Partei-Establishment aufgenommen, das sich zur eigenen Selbstbeweihräucherung mit Superlativen wie „Respekt-Rente“, „Gute-Kita-Gesetz“ und „Starke-Familien-Gesetz“ schmückt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sträuben sich bekanntlich die Nackenhaare, wenn er höre, wie das Erreichte schlecht geredet werde. Dabei hätte die niedersächsische Merkel ja auch für den Vorsitz kandidieren können, er tat das aber nicht und reißt nun die Klappe auf.

Der lausige Superheld

Wie kann das neue Duo diese festgefahrenen Überzeugungen in der eigenen Partei durchbrechen und Änderungen durchsetzen? Selbst die Jusos gelten nicht als sonderlich progressiv. Zu befürchten ist, dass Walter-Borjans und Esken nur deshalb gewonnen haben, weil das Partei-Establishment mit Olaf Scholz einfach den schlechtesten Kandidaten ins Rennen schickte, den man finden konnte. Vielleicht sollte man noch einmal daran erinnern, wie dessen Kandidatur eigentlich zustande kam. Eine mysteriöse Telefonschalte zwischen Scholz, Dreyer und Schäfer-Gümbel ist Dreh- und Angelpunkt. Die soll es aber nie gegeben haben. Der Spiegel wiederum, der über dieses Schaltgespräch exklusiv berichtete, blieb bei seiner Darstellung. Scholz soll gesagt haben: „Ich bin bereit anzutreten, wenn ihr das wollt.“

Die Wahrheit ist also, dass aus dem Partei-Establishment niemand Bekanntes abtreten, aber auch nicht antreten wollte. Das führte schließlich zu der Verlegenheitslösung Scholz. Es war folglich auch eine enorme Herausforderung, dem langweiligen Finanzminister mit einem langen politischen Vorstrafenregister, das ihn als Sozialdemokraten eigentlich mehrfach disqualifiziert, ein positives Image zu verpassen. Der Versuch wurde dennoch unternommen und die Medien zeigten einmal mehr ihre Bereitschaft, das Märchen vom Superhelden Scholz zu verbreiten. Einen kleinen Ausschnitt der Huldigungen hatte Wolfgang Michal auf der Freitag zusammengetragen.

„Scholz will Steuerbetrüger mit Sondereinheit jagen“, „Olaf Scholz teilt aus“, „Olaf Scholz baut das Finanzministerium um“, „Der Vizekanzler schaltet auf Attacke“, „Scholz will Entschuldungsprogramm für 2.500 Kommunen“, „Olaf Scholz kaum zu bremsen“.

Menschen verdienen endlich Sozialdemokratie

Die gezielte Gehirnwäsche der Mitglieder ging am Ende aber nicht auf, das ist zu begrüßen. Jetzt müssen die Genossen der SPD nur noch begreifen, dass es nicht um sie und ihre Befindlichkeiten in Ortsvereinen, auf Regionalkonferenzen und Parteitagen geht, sondern um die Menschen da draußen, die den Glauben an eine Sozialdemokratie, die den Namen auch verdient, fast schon aufgegeben haben. Sie darf man jetzt nicht mit lächerlichen Grundrenten abspeisen oder mit Arbeitsministern, die die verfassungswidrigen Sanktionen bei Hartz IV durch die Hintertür doch wieder erlauben wollen, weil sie immer noch einem bescheuerten neoliberalen Weltbild anhängen.

Diese Menschen verdienen ein ernsthaftes sozialdemokratisches Programm, wie es gerade Labour in Großbritannien aufgelegt hat. Das ist wichtig, weil diese Menschen vor allem auch die Nase voll vom Gerede über Abgründe haben, die sich gerade jetzt mit einem neuem Führungs-Duo angeblich wieder auftun würden. So als ob es den Absturz der SPD auf rund 15 Prozent und weniger unter der Verantwortung des Partei-Establishments, dessen Nackenhaare sich sträuben, nicht gegeben hat. Deshalb: „It’s time for Real Change – For the many not the few“.


Bildnachweis: Screenshot von der Übertragung aus dem Willy-Brandt-Haus vom 30.11.2019

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Dieter  Dezember 1, 2019

    Ein Wandel ist auch notwendig, denn die SPD hat neben vielen Stammwählern, auch Hunderttausende Mitglieder verloren.

    Das man so etwas umekhren kann zeigte Jeremy Corbyn beii der Larbour Party in Großbritanien.
    Aber dieses Beispiel zeigt auch, das man weiterhin klar Position beziehen muss !

    „Mit dem Aufkommen von New Labour in den 1990er Jahren stieg die Mitgliederzahl von ungefähr 260.000 im Jahr 1991 auf etwa 405.000 im Jahr 1997 an. Während der Labour-Regierungen ab 1997 unter Tony Blair und seines Nachfolgers Gordon Brown (ab 2007) sank sie wieder und erreichte mit 156.000 einen Tiefpunkt zum Jahresende 2009. Eine Eintrittswelle ereignete sich, nachdem Jeremy Corbyn am 12. September 2015 zum neuen Parteivorsitzenden gewählt worden war. Nachdem die Mitgliederzahl im September 2016 einen Höhepunkt von 640.000 erreicht hatte, sank sie bis März 2017 wieder auf 517.000.“

    https://de.wikipedia.org/wiki/Labour_Party#Mitgliedschaft_und_Mitgliederzahlen

  2. Bernie  Dezember 2, 2019

    Ich bleibe skeptisch, zumal ich derzeit selber von Hartz IV betroffen bin. Die SPD wird für mich glaubwürdig wenn sie sich für die Hartz-Gesetzgebung entschuldigt, und sich davon in der Form distanziert, z.B. indem sie wieder die alte Arbeitslosenhilfe einführt und Millionen von Erwerbslosen die Chance auf eine normale Wiedereingliederung ins Berufsleben gibt statt diese in offenbar sinnlose Weiterbildungsmaßnahmen abzuschieden die nur dem Maßnahmeträger nützen, und dem Jobcenter, aber nicht dem davon Betroffenen.

    • Dieter  Dezember 2, 2019

      @Bernie
      Hartz 4, Agenda 2010, massive Rentenkürzungen und Ausweitung von sachgrundlosen Befristungen sowie Zeitarbeit, ist ein Grund des stetig gestiegenen Krankenstandes, hohe Zahl an schweren Pflegefällen, geringe gesunde Lebenserwartung von nur 56,5 Jahren ( viertniedrigster Wert in der EU ) und natürlich auch für das geringe Produktivitätswachstum ( niedrigster Wert seit Jahrzehnten ).
      Das neoliberale System ist asozial und schädlich für die Realwirtschaft. Es hilft eher den Finanzzockern.
      Daher sagte der Finanzexperte und Multimilliardär George Soros, das festhalten am Marktfundamentalismus seit Thatcher und Reagan hat zu einer Superblase geführt, de nun zu Platzen drohe. Das System basiert auf einem Irrtum, die Finanzindustrie strebt kein Gleichgewicht an.
      Wer soll das besser wissen als ein Finanz Guru wie George Soros ?

  3. Matti Illoinen  Dezember 2, 2019

    Wenn gerade einmal etwas mehr als die Hälfte aller Mitglieder am Votum teilgenommen, sagt das doch mehr als tausend Worte. Der einen Hälfte der SPD Mitglieder ist es völlig gleichgültig, was in Zukunft aus der SPD wird.

    • André Tautenhahn  Dezember 2, 2019

      Das kann viel bedeuten. Ein Problem ist das aber nicht, zumal die SPD auch ein Quorum von 20 Prozent für die Gültigkeit der Wahl vorgegeben hat. Solche Mitgliederbefragungen erreichen i.d.R. selten hohe Beteiligungswerte. Das ganze Verfahren ist aber aus einem anderen Grund abzulehnen. Die Führungsebene hatte geglaubt, mit der Neuerfindung von Doppelspitzen und einer möglichst langen Tingel- und Quasseltour durchs Land, die Basis einbinden und Ruhig stellen zu können. Die Entscheidung dann auch noch kurz vor den Parteitag zu legen, auf dem es um die Halbzeitbilanz der GroKo gehen soll, war ebenfalls kalkuliert. Ein Gewinner-Duo Scholz/Geywitz hätte das Votum als Rückenwind für ein Weiter so verstanden und genutzt. Für Walter-Borjans und Esken ist die Zeit nun knapp, die Delegierten, die ja einer Funktionärsebene entstammen sowie den nach wie vor amtierenden Vorstand von einem Politikwechsel zu überzeugen. Im Zweifel läuft es auch hier auf ein Weiter so hinaus, nämlich dann, wenn der Parteitag die neue Spitze zwar wählt, den Leitantrag aber verwässert oder ablehnt. Dann wäre das neue Führungs-Duo bereits beschädigt.