Die Halbzeitbilanz der Großen Koalition ist wie erwartet positiv ausgefallen. Sowohl Union als auch SPD klopfen sich gegenseitig auf die Schulter, 83 Seiten lang. Man habe bislang viel erreicht und damit gut regiert. Als Erfolge werden auch die, in diesem Blog schon häufig kritisierten sozialpolitischen Entscheidungen wie „Gute-Kita-Gesetz“ und „Starke-Familien-Gesetz“ angeführt. Die Grundrente, die zu einer „Respekt-Rente“ werden sollte, fehlt noch in der Aufzählung. Vielleicht kommt sie noch, vielleicht auch nicht. Konzentrieren wir uns daher auf das, was bereits vorliegt. Und das ist weder „gut“ noch „stark“. Eine andere Halbzeitbilanz.
Seit Wochen läuft bereits eine Kampagne zur Fortsetzung der Großen Koalition. Die Bertelsmannstiftung kam kürzlich in einer Analyse zu dem Ergebnis, „Besser als ihr Ruf? „GroKo“ setzt ihre Versprechen zügig um“. Erklärt wird, dass es der Regierung gelungen sei, zwei Drittel ihrer Versprechen einzulösen oder anzupacken. Das sei mehr, als der Vorgängerregierung zu diesem Zeitpunkt gelungen sei. Leider komme diese offenbar positive Entwicklung bei den Wählern nicht an. Das ist nur nicht verwunderlich, da eine rein quantitative Betrachtung keine Aussage über die Sinnhaftigkeit und Qualität der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag trifft. Viel in relativ kurzer Zeit beschlossen zu haben, heißt ja nicht, dass es den Menschen substantiell auch etwas bringt.
Gute-Kita-Gesetz
Das Gute-Kita-Gesetz wird als Erfolg dieser Großen Koalition verkauft. Vor allem die SPD schreibt sich das auf ihre Fahnen. Dabei ist das Gesetz weder gut noch zielführend. Drei Gründe.
- Das Gesetz ist zeitlich befristet.
Die finanzielle Unterstützung läuft nach gegenwärtigem Stand 2022 einfach aus. Eine Regierung, die so etwas beschließt, handelt folglich nicht nachhaltig, sondern sendet das Signal einer Politik nach Kassenlage aus. Verbesserungen kann es aber nur dann wirklich geben, wenn auch die Finanzierung langfristig gesichert ist. Das ist deshalb wichtig, weil sich viele Länder in verantwortungsloser Weise per Gesetz und Verfassungsänderung zu Schuldenbremse und Schwarzer Null bekennen. Gerade die SPD muss sich daher fragen lassen, warum sie die Befristung überhaupt akzeptiert hat. So könnte vom Gute-Kita-Gesetz bei der Beerdigung der Sozialdemokraten nichts mehr übrig sein. Auf dem Grabstein stünde dann nur noch: Mit der Union war leider nicht mehr drin. - Die Mittel sind viel zu knapp bemessen.
Obwohl 5,5 Milliarden Euro zunächst einmal nach viel Geld klingt, muss diese Summe bis 2022 reichen. Die Förderung fließt außerdem erst dann, wenn mit allen Bundesländern Verträge geschlossen worden sind. Noch fehlen einige Länder wie Nordrhein-Westfalen. Nach den Expertenanhörungen im Bundestag müssten aber rund 18 Milliarden Euro jährlich aufgebracht und investiert werden, um das Ziel „Gute Kitas“ mit einer angemessenen Fachkraft-Kind-Relation tatsächlich zu erreichen. Zudem hat Familienministerin Giffey zehn Handlungsfelder bestimmt, die zu einer Verbesserung der Qualität beitragen sollen. Vorgeschrieben ist allerdings nichts. Die Länder können frei entscheiden, wo sie die Mittel einsetzen wollen. Da fehlt das Ziel. - Das Gesetz gibt keine Standards vor.
So können die Länder die Mittel des Bundes auch dafür verwenden, Wahlversprechen wie die Gebührenfreiheit zu finanzieren. Fünf von acht Bundesländern tun das und entlasten damit vor allem auch Besserverdiener. Die Gebührenfreiheit ist nicht das entscheidende Kriterium für eine gute frühkindliche Bildung, sondern ausreichend Kapazitäten in den Einrichtungen, angemessene Betreuungsschlüssel und Personal, das anständiger und besser bezahlt wird als das heute der Fall ist. Die Gebührenfreiheit schafft zunächst einmal nur mehr Nachfrage bei unzureichendem Platzangebot. Sinnvoller wäre es gewesen, erst in den Bau neuer Kitas und in das entsprechende Personal zu investieren. Gegenwärtig werden jedenfalls die Kommunen sehr stark unter Druck gesetzt, die gestiegene Nachfrage, einen Rechtsanspruch auf Betreuung und den Ausbau der Kita-Kapazitäten unter einen Hut zu bekommen. Gleichzeitig werden die Kommunen an den Kosten der vom Land versprochenen und beschlossenen Gebührenfreiheit beteiligt, was wiederum Spielräume für andere Aufgaben schrumpfen lässt.
Starke-Familien-Gesetz
Auch das Starke-Familien-Gesetz wird als Erfolg dieser Großen Koalition verkauft. Die SPD schreibt sich das ebenfalls auf ihre Fahnen. Doch stark ist daran kaum etwas. Drei Gründe.
- Flickwerk im untauglichen System.
Gerade hat das Bundesverfassungsgericht über die Sanktionspraxis des SGB II ein Urteil gesprochen. Die bisherigen Regelungen sind teilweise verfassungswidrig. Zuvor hat es schon ein Urteil der Karlsruher Richter zur Ermittlung der Regelbedarfe in der Grundsicherung gegeben. Am 9. Februar 2010 wurde die Bemessung der Regelsätze für verfassungswidrig erklärt. Eine Folge davon war auch die Einführung des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT), das allerdings die meisten Anspruchsberechtigten bis heute nicht erreicht. Der Paritätische hat in einer Kurzexpertise vor etwa einem Jahr geschrieben: „Dabei wird deutlich, dass mindestens 85 % der grundsätzlich Leistungsberechtigten nicht von dieser Leistung profitieren.“ Das Starke-Familien-Gesetz schafft nun eine Verbesserung beim Kinderzuschlag. Kinder, die diese Leistung erhalten, haben auch Anspruch auf Leistungen aus dem BuT. Das ist also vor allem Flickwerk im bestehenden untauglichen System. Dagegen gibt es immer noch keine Gesamtstrategie zur Vermeidung von Armut, also beispielsweise Berechnungen darüber, wie viel Geld ein Kind für Versorgung, soziale Teilhabe und Bildung tatsächlich benötigt. - Das Gesetz ist ein Bürokratiemonster.
Um in dem geschaffenen (Un)Ordnungssystem der Sozialleistungen den Überblick zu behalten, müssen die Mitarbeiter in den Ämtern zudem spezielle Lehrgänge absolvieren, damit sie überhaupt die Anträge erklären und beim Ausfüllen behilflich sein können. So gibt es beispielsweise ein Merkblatt, das ob seines 23-seitigen Umfangs, eigentlich als kleine Einführung in die öffentliche Verwaltung bezeichnet werden müsste. Um das alles nachvollziehen und verstehen zu können, braucht es ganz sicher starke Familien und starke Nerven. - Starke Selbstzweifel sogar bei den Machern.
Das eigentliche Problem klammert das Starke-Familien-Gesetz dann auch aus. Kinder gehören nicht in ein System, bei dem es vorrangig um die Eingliederung der Eltern in den Arbeitsmarkt geht. Die können auch weiterhin, sofern sie gegen obskure Mitwirkungspflichten verstoßen, sanktioniert werden. Leistungskürzungen von 30 Prozent sind immer noch möglich, von denen dann unmittelbar die Familien, also auch die Kinder betroffen wären. Die SPD fordert daher eine eigenständige Kindergrundsicherung, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil sie genau weiß, dass an ihrem „Starke-Familien-Gesetz“ eben doch nur der Name und sonst wenig stark ist.
Der Beitrag hat sich jetzt bewusst nur auf diese beiden Aspekte der Regierungsbilanz konzentriert, da hier eben auch ein auffälliges Marketing von Seiten der Regierung betrieben worden ist. Man könnte auch noch weitere Punkte anführen, wo die Bilanz der Regierungsarbeit nicht nur hinter den Erwartungen zurückbleibt, sondern auch im Ausblick verheerend ist. So will der Finanzminister und sehr wahrscheinlich künftige SPD-Chef Olaf Scholz an Schuldenbremse und Schwarzer Null unbedingt festhalten. Das hat Folgen, die gerade diejenigen zu spüren bekommen werden, die auf die Bereitstellung von öffentlichen Leistungen angewiesen sind.
Bildnachweis: Chris Reading auf Pixabay
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.