Wer wissen will, warum das mit der Grundrente so lange dauert, dürfte seit gestern etwas klarer sehen. Diejenigen, die an der Großen Koalition unbedingt festhalten wollen, sind auf eine Einigung erst dann angewiesen, wenn es bei der SPD zur Stichwahl kommt. Mit anderen Worten: Die Union wird dem glanzlosen und unpopulären Finanzminister Olaf Scholz und seinem weiblichen Anhang Klara Geywitz an die Spitze der SPD verhelfen.
Seit Wochen läuft bereits die Kampagne zur Fortsetzung der Großen Koalition. Medien berichten darüber, dass eigentlich schon Vieles umgesetzt worden sei, doch statt über Erfolge werde nur über Streitereien und das vorzeitige Ende der GroKo diskutiert. Wenn jetzt noch die Grundrente als sozialpolitisches Großprojekt – was sie bei näherer Betrachtung nur leider nicht ist – von der SPD durchgesetzt würde, gebe es doch nun wirklich keinen Grund mehr, an der GroKo zu zweifeln. Die Halbzeitbilanz, die nie mehr als eine clevere Beruhigungspille war, wäre damit leicht zu überstehen.
Da nun zwei Kandidatenpaare in die Stichwahl zum SPD-Parteivorsitz eingezogen sind, die sich in der Frage einer Fortsetzung der Großen Koalition zum Teil widersprechen, wird es ebenso leicht sein, die Mitglieder unter Verweis auf den jüngsten Erfolg mit der Grundrente davon zu überzeugen, dem unpopulären Finanzminister die benötigten Stimmen zukommen zu lassen, damit es bei der aktuellen Bundesregierung bleiben kann. Denn weder die SPD Funktionäre noch die Union haben ein Interesse daran, dass diese Regierung vorzeitig endet.
Dennoch war gestern vielfach zu lesen, dass nun die linken Kräfte in der Partei einen Vorteil hätten, eben weil Scholz als bekanntestes Gesicht zwar die meisten Stimmen, aber doch ein sehr schlechtes Ergebnis erhalten hat. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken landeten auf Platz zwei. Rechnet man aber die Stimmen des sogenannten linken Lagers zusammen, sind es knapp unter 100.000. Gemeint sind die Kandidatenpaare Nina Scheer und Karl Lauterbach sowie Gesine Schwan und Ralf Stegner, wobei hier zu sagen ist, dass es sich eben nicht um linke Kräfte handelt, sondern um klassische Täuscher, die natürlich lieber ein Weiter so betreiben würden, als irgend etwas zu erneuern. Nur gegen die GroKo zu sein, reicht da eben nicht.
Das einzige linke Pärchen, das es neben Walter-Borjans und Esken noch gab, waren Hilde Mattheis und Dierk Hirschel, die aber zugunsten der Wahlchancen von Walter-Borjans und Esken auf ihre weitere Kandidatur verzichteten. So gesehen bleiben die linken Kräfte in der SPD auch weiterhin in der Minderheit, selbst wenn die Genossen, die Stegner, Lauterbach und Co. unterstützten, nun zu Walter-Borjans und Esken wechseln würden. Bleiben die Wähler, die Boris Pistorius und Petra Köpping ihre Stimmen gaben. Sie werden ziemlich sicher zum Scholzomaten gehen. Doch was ist mit den Genossen, die aus welchem Grund auch immer das Pärchen Michael Roth und Christina Kampmann klasse fanden.
Genau die sind das Problem. In dem Staatsminister Roth, der unter dem unsäglichen Außenminister Heiko Maas seinen Dienst verrichtet, sehen viele dennoch jemanden, der für einen erfrischenden Aufbruch stehen könnte, weil er sich mit großer Leidenschaft für ein Europa einsetzt, von dem allerdings, ob der hohlen Phrasen, die gedroschen werden, niemand so genau weiß, was es konkret bedeuten soll. Geschwenkt wird schließlich nur die Flagge mit den Sternen. Er wird auch dafür gemocht, sich gegen die politische Rechte klar zu positionieren und sich gegen juristische Angriffe aus dem Lager öffentlichkeitswirksam zur Wehr zu setzen. Roth steht damit sinnbildlich für den inhaltlichen Offenbarungseid, unter dem die SPD seit Jahren jämmerlich leidet.
Offenbar verwirrte Genossen glauben daher auch, Roth sei links, nur weil er gegen rechts ist. Werden diese Mitglieder nun zu Walter-Borjans gehen? Einige denken so und kündigen auch ein solches Wahlverhalten an, weil sie Scholz sowieso schon immer doof fanden. Vermutlich werden Roth und Kampmann aber eine Wahlempfehlung für Scholz aussprechen und die Verwirrten damit noch weiter verunsichern. Am Ende ist es dann so, wie es immer war. Die Parteispitze, von der behauptet wird, sie gebe es seit fünf Monaten nicht, hat die Dramaturgie in ihrem Sinne fest im Griff. Notfalls wird wie beim letzten Mitgliedervotum über die Große Koalition ein dreiseitiges Werbeschreiben, diesmal für Scholz, verschickt. Oder anders ausgedrückt: Der Scholzomat hat mächtige Fürsprecher und die Medien auf seiner Seite.
Bildnachweis: Screenshot, Phoenix vom 5. Februar 2018
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.