Jakob Augstein meint, das Verhalten der SPD bei der Abstimmung über ein Tempolimit auf Autobahnen sei die Art von Politik, die keiner mehr versteht. Doch da irrt Augstein.
Grundsätzlich ist die Kritik an einem den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufenden Abstimmungsverhalten richtig, doch sind die Gründe der SPD-Fraktion diesmal durchaus nachvollziehbar. Erstens ist da der Koalitionsvertrag. Man habe versucht, den Regierungspartner zu überzeugen, ist aber gescheitert und muss nun vertragstreu sein. Das ist die übliche Litanei, die aber, hier von Kirsten Lühmann vorgetragen, nicht wie das übliche Gejammer klingt, sondern durchaus überzeugend ist.
Nun könnte man ja Konsequenzen fordern, das habe ich auch schon oft getan. Denn wenn es nicht gelingt, die eigene Programmatik in dieser Koalition durchzusetzen, muss man sie eben beenden. Ja, aber doch nicht für das Tempolimit. Dieses Thema ist, so traurig es auch sein mag, ein Rohrkrepierer, auch wenn eine Mehrheit der Bürger dafür ist. Erzähl dem Wähler, wir lassen die Regierung platzen, weil CDU und CSU weiter für das Rasen sind. Damit löst man noch weniger Begeisterungsstürme aus, als für die in der letzten Wahlperiode gelungene Abstimmung zur Ehe für Alle.
Und da wären wir schon beim zweiten Punkt. SPD, Grüne und Linke, die für ein Tempolimit eintreten, haben keine Mehrheit im Bundestag. Für die SPD-Fraktion gebe es also gleich doppelt nichts zu gewinnen. Richtig ist drittens auch der Hinweis auf den Bundesrat, in dem gerade die Grünen einen sehr viel stärkeren Einfluss geltend machen könnten. Doch die Regierungsverantwortung in den Ländern übt einen ähnlich disziplinierenden Einfluss auf die Grünen aus, wie das bei der SPD im Bundestag zu beobachten ist.
Viertens werden die guten Argumente für ein Tempolimit auf Autobahnen, also weniger Unfälle, weniger Tote und weniger Verletzte durch die absurde Behauptung weniger CO2 konterkariert. Ob nun mit 130 oder 160 oder 200 gefahren wird, spielt fürs Klima absolut keine Rolle (*). Es muss prinzipiell weniger mit dem Auto gefahren werden. Das ist der Punkt.
Fünftens, wie oben schon anklang, wird die Bedeutung des Tempolimits politisch total überschätzt. Gerade Wähler, die die SPD über die Jahre verloren hat, werden nicht zu ihr zurückkommen, nur weil sich die Partei hart in der Frage einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gezeigt hat. Diese Wähler haben andere Sorgen. Sie fänden eine SPD attraktiv, die wieder für sozialdemokratische Inhalte stünde und die Interessen von Gering- und Normalverdienern auch tatsächlich vertritt, statt sie bloß vor den Karren der Vermögenden zu spannen.
Bildnachweis: Christine Sponchia auf Pixabay
(*) Ergänzung: Ein Leser hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der CO2-Ausstoß sehr wohl steigt, je höher die Geschwindigkeit ist. Das stimmt. Folglich ließe sich viel CO2 einsparen, würde es ein Tempolimit geben. Mein Problem mit dieser Argumentation ist, dass sie sich nur auf den Teilaspekt Geschwindigkeit bezieht. Die Zahl der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die weiterhin steigt, bleibt genauso außen vor wie auch die Tatsache der Motorisierung. So wird beispielsweise angenommen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung den Anreiz zum Kauf sehr stark motorisierter Fahrzeuge sinken lasse. Daran habe ich Zweifel, da der Anreiz zur Nutzung stark motorisierter Fahrzeuge eben nicht die Geschwindigkeit, sondern u.a. der steuerliche Vorteil ist.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.