Die Sommerpause ist vorbei und allmählich nähert sich der politische Betrieb dem Normalzustand. Am Sonntag hat der Koalitionsausschuss getagt. Olaf Scholz, der nun doch SPD-Parteichef werden will, traf auf die Kanzlerin. Es heißt ja, Scholz suche noch nach einer Partnerin. Dabei hat er sie wohl längst in Angela Merkel gefunden. Beide sind sich schließlich einig bei Schwarzer Null und Schuldenbremse. Die Differenzen in der GroKo sind überschaubar und eigentlich nicht wirklich existent. Selbst wenn die Debatte um Soli und Grundrente etwas anderes vermuten lässt.
„Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, egal welches Parteibuch er hat“, hat Olaf Scholz in seiner ersten Regierungserklärung am 22. März 2018 gesagt. Das war eindeutig. Die Aussage gilt auch heute in Zeiten der sich eintrübenden Konjunktur. Dabei erwecken die Medien den Eindruck eines Sinneswandels. Das liegt am Soli, dessen Abbau Scholz und die Medien als eine Art Konjunkturlokomotive verkaufen. Da lacht aber die Rezession, hat Thomas Fricke in seiner Kolumne am vergangenen Freitag treffend gespottet. Warum? Die Entlastung findet nicht da statt, wo es ständig behauptet wird. Die unteren Einkommensgruppen, die mehr konsumieren würden, wenn sie denn könnten, zahlen kaum oder gar keinen Soli und die oberen Einkommen geben auch dann nicht mehr aus, wenn sie noch mehr Geld dazubekommen. Sie haben einfach schon genug.
Würde der Soli in ein paar Monaten sogar vollkommen abgeschafft, blieben zwar fast zwei Drittel des Geldes als Netto-Einkommensplus auf den Konten der Einkommens-Top-Zehn-Prozent der Bevölkerung – immerhin gut elf Milliarden Euro. Blöd nur: Selbige Top Ten geben nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Mittel rund 40 Prozent ihres Einkommens gar nicht aus – von jedem zusätzlichen Euro, der etwa durch Soli-Aus netto mehr bleibt, dürften es noch mehr sein.
Quelle: Thomas Fricke auf Spiegel Online
Die schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist ohnehin ein merkwürdiges Unterfangen, da die bereits begonnene Rezession die Steuereinnahmen des Staates mindern wird. Zu glauben, dass nun eine Entlastung der wohlhabenderen Bevölkerungsschichten Konsum und Investitionen beflügeln würde, bleibt ein Trugschluss. Einen Anlass zur Abschaffung des Solis gibt es ohnehin nicht, auch wenn immer wieder behauptet wird, dass er auslaufe. Der erste Soli von 1991 war befristet, was Helmut Kohl seinerzeit als Zugeständnis an die FDP im Nachgang bedauerte. Die zweite Einführung 1995, die bis heute gilt, geschah daher unbefristet.
Was ausläuft, ist der Solidarpakt II, eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, die eine Verteilung von Steuermitteln regelt. Dafür gibt es aber bereits eine Folgevereinbarung der Bund-Länderfinanzbeziehungen, die bereits 2017 verabschiedet worden ist. Es war das größte Vorhaben der letzten Großen Koalition. Eine Reihe von Grundgesetzänderungen und die umstrittene Privatisierung der Autobahnen waren in dem Paket kurz vor Ende der Legislatur parallel zum Schauwahlkampf gebündelt worden. Jetzt soll der Solidaritätszuschlag, der damit eigentlich nichts zu tun hat, auch noch fallen. Privatisierung und Steuererleichterungen, das ist eine Politik gegen die Normalverdiener und für die Vermögenden in diesem Land.
Olaf Scholz ist außerdem noch einen Schritt auf die Union zugegangen, indem er eine Stufenregelung für 6,5 Prozent der Steuerzahler vorschlug, was ziemlich sicher vor einem Gericht landen und gekippt werden wird. Und das Ganze nur, um vielleicht eine Grundrente zu bekommen, für die gerade ein Arbeitskreis eingerichtet worden ist, der sich mit der absurden Frage einer Bedürftigkeitsprüfung beschäftigen soll. Am Ende wird es möglicherweise die Gerechtigkeitsprüfung geben und die SPD jubeln. Nur wird das auch nichts daran ändern, dass die wenigsten die Hauptbedingung der sogenannten „Respekt-Rente“, nämlich 35 Beitragsjahre, erfüllen werden.
Rückblick
Ursprünglich hatte die SPD den Plan, den Soli zwar abzuschaffen, auf das Volumen von knapp 20 Milliarden Euro aber nicht einfach so zu verzichten. Dies sollte durch eine Anpassung des Spitzensteuersatzes gelingen. Diese berechtigte Forderung fiel aber bereits in den Koalitionsverhandlungen und wurde durch einen Kompromiss ersetzt, wonach nur noch 10 Milliarden Euro durch die höheren Einkommensgruppen finanziert werden sollten. Dieser Kompromiss ist nun noch einmal zugunsten der Besserverdienenden aufgeweicht worden und wenn es nach Wirtschaftsminister Altmaier und anderen aus seinem Lager ginge, könnte der Soli sogar gleich komplett fallen.
Das würde aber einen Einnahmeausfall von 20 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Nur zum Vergleich, die angeblich so teure und damit unfinanzierbare Grundrente würde nach Berechnungen des Arbeitsministers mit 3,8 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen. Es ist erstaunlich, dass die Verteidiger von Schwarzer Null und Schuldenbremse im Angesicht der Konjunkturkrise bereit sind, ein dermaßen großes Loch im Haushalt zuzulassen. Es ist dann auch fraglich, woher das Geld für die zu erwartenden Mehrausgaben für Maßnahmen zum Schutz des Klimas kommen sollen, die bereits angekündigt worden sind. Es blieben dann ja nur wieder Kürzungen im sozialen Bereich, wenn das Dogma vom Neuverschuldungsverbot weiterhin Bestand haben soll.
Den größten Applaus für seine Entscheidung, sich nun doch um das höchste SPD-Parteiamt zu bewerben, erhielt Scholz übrigens von der Union. Die ist erleichtert, weil er damit im Grunde den Fortbestand der Großen Koalition sichert und dazu gern ein deutscher Finanzminister ist, der sich zu einer „soliden Haushaltführung“ bekennt. Die rote Null Scholz ist für die neoliberale Rechte eine ideale Besetzung. Ihn kann man problemlos mit Anerkennung überhäufen und beim weiteren Einbruch der Wirtschaft als unfähigen Sozi brandmarken, der dann auch die Kritik an der ähnlich unfähigen Kanzlerin zu übernehmen hat.
Das erinnert ein bisschen an die beiden hier und den angeblich größten Krisenmanager aller Zeiten. Wie hieß der doch gleich?
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.