Nach der Europawahl hat es mal kurz im Karton gerappelt. „Bätschi“ und „in die Fresse“ waren gestern. Inzwischen geht in Berlin alles wieder seinen gewohnten Gang. Die GroKo hält fest zusammen, wie nach der großen Klausur der Fraktionsvorstände deutlich wurde. So demonstrieren CDU, CSU und SPD die altbekannte Harmonie, obwohl die Union die SPD bei einigen Themen wie der Grundsteuerreform schon wieder über den Tisch zieht. Gemeinsamkeiten werden dennoch betont, das Erreichte herausgestellt und der Wille bekundet, auch weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten zu wollen. Die Streitpunkte bleiben dabei außen vor. Das Bündnis soll ja halten, bis zum regulären Ende. Daran ändert auch die Sprechblase Halbzeitbilanz nichts.
Unsolide
„Gutes Regieren lohnt sich“, sagt der kommissarische Fraktionschef der SPD, Rolf Mützenich. Seine Fraktion habe sich in der großen Koalition außerdem mal wieder durchgesetzt, heißt es im vorwärts beinahe euphorisch. So soll es dabei bleiben, was bisher schon galt. Der Solidaritätszuschlag für die oberen zehn Prozent. Für die anderen 90 Prozent gibt es die Steuererleichterung. So steht es im Koalitionsvertrag. Eine Entlastung ist das aber auch in dieser Form nur für die Besserverdienenden, da der Soli an der festgesetzten Einkommensteuer bemessen wird und nicht am zu versteuernden Einkommen. Das heißt, wer schon jetzt wenig Steuern zahlt, hat auch nicht viel vom Wegfall des Soli.
Jens Berger von den NachDenkSeiten hatte das vor der letzten Bundestagswahl mal durchgerechnet und kam zu folgendem Ergebnis:
Ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahresbrutto von 25.000 Euro zahlt beispielsweise gar keinen Soli. Ein Single dieser Einkommensklasse kommt auf 143 Euro pro Jahr – also auf 0,5% seines Jahresbrutto, die ihm dann nach den SPD-Plänen erlassen werden. Bei einem Single mit 40.000 Euro Jahreseinkommen sind es 353 Euro (0,8%), bei einem Verheirateten 179 Euro (0,4%). Und auch bei besserverdienenden Arbeitern und Angestellten mit einem Jahresbrutto von 60.000 Euro ist die Entlastung durch den Wegfall des Soli (709 Euro bzw. 1,2% bei Singles, 444 Euro bzw. 0,7% bei Verheirateten) noch überschaubar. Erst bei Spitzenverdienern lohnt sich das „Geschenk“ aus dem Hause Schulz so richtig. Ein Single mit einem Jahresbrutto von 250.000 Euro kann nämlich mit einer Entlastung von 5.073 Euro (2,0%) rechnen, da tut dann auch die Mehrbelastung durch die moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes nicht mehr so weh.
Im Wahlprogramm der SPD war damals immerhin noch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes im Gespräch, davon hört man heute gar nichts mehr. Steuererhöhungen bleiben tabu und damit auch mehr Stimmen für die SPD, denn für deren Klientel bringt eine solche Politik, die sich explizit auf „Leistungsträger“ konzentriert eben nichts. Wie dem Papier der Fraktionsspitzen „Wohlstand für alle – durch nachhaltiges Wachstum“ zu entnehmen ist, hat die SPD offenbar auch noch Steuergeschenken an Unternehmen zugestimmt.
Wir sorgen dafür, dass sich Leistung in unserem Land lohnt, und entlasten die Unternehmen wie auch Beschäftigten bei den Steuern und setzen damit Anreize für die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in unserem Land.
Alle anderen wie Rentner zum Beispiel gehören nicht zu den „Leistungsträgern“. Sie haben ihr Arbeitsleben schließlich hinter sich und müssen sich gedulden mit dem Wohlstandsversprechen der GroKo für alle. Die Grundrente stand halt nicht auf der Tagesordnung und war somit kein Thema in der Klausur der Fraktionsspitzen, vielleicht aber am Sonntag im Koalitionsausschuss. Wer weiß das schon. Bis dahin wird wie gewohnt lamentiert. „Die Union trage den sehr guten Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil leider nicht mit“, so der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider.
Neoliberaler Aberglaube
Als Bonbon für die Öffentlichkeit servierte das neue Dreigestirn Dobrindt, Brinkhaus, Mützenich dagegen eine Funkmast-Offensive. Eine Mobilfunk-Infrastrukturgesellschaft soll sich um die weißen Flecken im Land kümmern. Ein weißer Riese sozusagen. Es dürfte aber eher bei einem lauen Lüftchen bleiben, wie so oft nach Ankündigungen dieser Art. Und überhaupt. Warum versteigert man eigentlich erst Mobilfunklizenzen an private Betreiber, die es bis heute nicht schaffen, eine lückenlose Netzabdeckung zu realisieren. Vielleicht hätte sich diese GroKo mal zu der Erkenntnis durchringen können, dass ein funktionierendes Mobilfunknetz, das ja mittlerweile zur Daseinsvorsorge zählt, sinnvollerweise nur durch ein Staatsmonopol sichergestellt werden kann. Stattdessen glaubt man weiterhin daran, dass es die nur noch drei privaten Oligopole schon irgendwie hinkriegen werden. Im Notfall mit staatlichen Subventionen neben den teuren Gebühren für die Kunden natürlich, die auch in Zukunft den hohen Preis für die Lizenzen finanzieren müssen.
Das Wachstumsprogramm der GroKo-Spitzen ist weiterhin vom neoliberalen Aberglauben beseelt. So betonte Brinkhaus, das es nun nicht auf „kurzfristige Konjunkturimpulse“ ankäme (warum eigentlich nicht?), sondern es wichtig sei, „dass wir die Strukturen setzen müssen, dass dieses Land in zehn, 15 und 20 Jahren auch noch wettbewerbsfähig ist.“ Dieser Satz ist so schwachsinnig, dass es mittlerweile wehtut. Wenn Unternehmen im Wettbewerb stehen, ist das eine Sache. Geht Betrieb A pleite, freut sich Betrieb B über mehr Umsatz, vorausgesetzt, die Leute aus Betrieb A finden wieder einen Job und verdienen Geld, mit dem sie einkaufen gehen können. Geht ein ganzes Land pleite und nur das kann ja mit dauernder Wettbewerbsfähigkeit gemeint sein, bricht ein ganzer Absatzmarkt weg. Das ist ziemlich schlecht, wenn man etwas exportieren möchte.
Wettbewerb zwischen Ländern ist also mehr oder weniger Unsinn. Land A muss ein Interesse daran haben, dass es Land B gut geht. Der Handel muss folglich möglichst ausgeglichen sein. Doch wenn man sich Deutschland anschaut, so ist das nicht der Fall. Es werden laufend mehr Güter ex- als importiert, was zu veritablen Verwerfungen in den internationalen Beziehungen führt und einen Verrückten im Weißen Haus zu Maßnahmen greifen lässt, die man ihm nicht einmal vorwerfen kann. Das Gegenteil von dem ist richtig, was Brinkhaus unter zustimmendem Nicken des SPD-Provisoriums daherschwatzt. Es braucht Konjunkturimpulse. Warum? Weil sich Deutschland seit rund einem Jahr in einer Rezession befindet, die aber nicht so genannt werden darf.
Die Reichen gewinnen
Dass nun ausgerechnet Steuerentlastungen ein Konjunkturfeuerwerk zünden, gehört ebenfalls in die Fabelwelt des neoliberalen Aberglaubens. Diese Politik nutzt nur Besserverdienern und Vermögenden. Mit der SPD gewinnen also die Reichen mehr, auch bei der Reform der Grundsteuer. Hier wird der Druck auf Finanzminister Olaf Scholz immer größer. Schließlich geht es um 15 Milliarden Euro jährlich für die Kommunen. Scholz muss liefern und zwar einen Kompromiss, der ihm und der SPD nicht schmeckt, was aber keine Rolle spielt, da man an der GroKo unter allen Umständen festhalten will.
Länder wie Bayern dringen daher auf eine asoziale Öffnungsklausel, um eigene Regelungen zum Wohle der armen Häuslebesitzer am Starnberger See treffen zu können. Diese Unverschämtheit werden Söder und Co auch bekommen, weil sie wissen, dass die Sozialdemokraten bei der Stange bleiben. Oder wie es im Bericht des Handelsblattes ja beinahe schon demütigend heißt:
In der Union dagegen ist die Freude schon jetzt groß. Dort geht man davon aus, dass Scholz den Kompromissvorschlag den eigenen Truppen schon irgendwie verkauft bekommt.
Da ist was Wahres dran. Vielleicht gibt es im Gegenzug doch die Grundrente, die die SPD dann als großen Erfolg feiern kann, obwohl es wieder keiner wäre, weil viele Menschen es eben nicht schaffen, mindestens 35 Jahre in die Kassen einzuzahlen. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass trotz Grundrente dennoch Grundsicherung beantragt werden muss. Zumindest legen das Rechenbeispiele nahe, die die Seite Seniorenaufstand einmal angestellt hat. Es wäre also nur ein Trippelschritt in die richtige Richtung und damit einfach viel zu wenig für eine Sozialdemokratie, die ums politische Überleben kämpft.
Doch das interessiert die Spitzenfunktionäre in der SPD nicht. Dampfplauderer wie Carsten Schneider geben da immer noch die Marschrichtung vor. Und sie singen das altbekannte Lied. „Wir sind erfolgreich, der dumme Wähler merkt es nur nicht.“
Die Koalition muss ihre Erfolge noch besser kommunizieren. Wir müssen in der Regierungsverantwortung wieder Lust am Gestalten zeigen. Zu regieren ist eine große Verantwortung und eine Ehre.
Quelle: SPD-Bundestagsfraktion
Schlimmer kann man die eigene Profillosigkeit eigentlich nicht in Worte fassen.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.