Es mag ja nur eine Randnotiz sein, aber die Grünen halten auch nicht viel vom Klimaschutz. Sie halten nur viel vom Regieren. Offenbar muss man gerade jetzt, wo die Partei dank der jungen Generation durch die Decke zu schießen scheint, etwas Wasser in den Wein gießen. So lange ist es ja noch nicht her, dass Grüne zusammen mit der FDP und der Union in einem Boot Platz nahmen, um fröhlich nach Jamaika zu segeln.
Aus der gleichnamigen Koalition wurde bekanntlich nichts. Dennoch lohnt es sich, diese gescheiterten Sondierungsgespräche noch einmal in Erinnerung zu rufen. Denn die Grünen waren es, die ohne sonderliche Gegenwehr progressive Themen Stück für Stück über Bord warfen, nur um nicht als die zu gelten, denen man ein Scheitern der Gespräche hätte anlasten können. Aber der Reihe nach.
Personalsicherung
Die Absicht von Union und SPD war immer eine Fortsetzung der Großen Koalition. Da das Wahlergebnis der Sozialdemokraten allerdings nicht nur überschaubar schlecht, sondern so richtig miserabel ausfiel, musste sich die Parteiführung etwas überlegen, um einer Palastrevolte zuvor zu kommen. Die Idee vom Gang in die Opposition war geboren. Sie löste die erhofften Jubelstürme im Willy-Brandt-Haus aus und erstickte eine Personaldebatte im Keim.
Denn wenn eins die Sozialdemokraten nach Wahlniederlagen nicht gebrauchen können, sind es Personaldebatten. Das hört man immer wieder, auch nach der Europawahl vom letzten Sonntag. Damals drehte der SPD-Chef Martin Schulz in der Elefantenrunde richtig auf, motzte herum und beschimpfte die Kanzlerin. Die war wiederum irritiert und sagte sinngemäß, dass sich die SPD das mit der Großen Koalition doch noch einmal in Ruhe überlegen sollte. In Gedanken schob sie den Satz noch nach: Das war doch auch so abgemacht.
Schulz blaffte aber „Nein!!“ und verbreitete das Märchen, wonach Jamaika längst ausgemachte Sache gewesen sei. Wie wir alle wissen, sollte es ein halbes Jahr später unter tatkräftiger Unterstützung des Herrn Bundespräsidenten dann doch zu einer Großen Koalition kommen. Doch wegen der akuten Personalsicherungsmaßnahmen bei den Sozialdemokraten musste die Kanzlerin zunächst mit dem ungeliebten Lindner von der FDP und den regierungsgeilen Grünen verhandeln. Letztere erwiesen sich als ausdauernde und vor allem widerstandsfähige Bewunderer der Gottkanzlerin.
Die Aufgabe der CSU war es, die Verhandlungen immer wieder zu stören und schließlich zum Scheitern zu bringen, es aber so aussehen zu lassen, dass der andere die Brocken hinschmeißt. Der Plan war ja immer noch die Große Koalition. Kettenhund Dobrindt übernahm den Job gerne und verbiss sich anfangs ganz fest in den natürlichen Gegner der bajuwarischen Stammtischhaubitzen. Die Grünen ließen sich aber nicht provozieren, sondern hatten im Gegenteil nur das erlösende Finale im Visier. Nein, nicht das Scheitern, sondern die langersehnte Regierungsbeteiligung. Das war das Ziel.
Atmender Rahmen
Cem Özdemir sah sich schon als kommender Außenminister, der adrett und jugendlich locker durch die Welt jettet und sich um Bonusmeilen oder Hanfpflanzen im Fensterbrett nie wieder hätte Sorgen machen müssen. Um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, gaben die Grünen alles auf. Als erstes die Vermögensteuer, die sie als einzige im Wahlkampf offensiv forderten. Dazu brauchte es den Dobrindt noch nicht. Unter einer grünen Regierungsbeteiligung hätte es außerdem keine neuen Substanzsteuern gegeben. Ohne Gebell und Beißattacken gaben die Grünen aber auch ein Bekenntnis zu Schwarzer Null und Schuldenbremse ab.
Beim Thema Klima zierten sie sich erst ein wenig, räumten dann aber ganz überraschend das umkämpfte Feld. Es war die Spätphase des Jamaika-Segeltörns. Özdemir und Co erkannten wohl, dass sie vertrieben werden sollten. Sie erfanden daraufhin den atmenden Rahmen. Der galt für die Flüchtlingspolitik (so viel zum Thema Fels in der Brandung), den Kohleausstieg und das Ende des Verbrennungsmotors. Feste Termine gab es nun nicht mehr. Also genau das, was man später beim Koalitionsvertrag von Union und SPD wiederum scharf kritisierte. Kettenhund Dobrindt antwortete allerdings auf die heruntergelassenen grünen Cordhosen so:
„Wenn man Schwachsinnstermine abräumt, dann ist das ja noch kein Kompromiss.“
Die Grünen blieben trotzdem, auch ohne Rückgrat, standhaft am Verhandlungstisch und wären es sicherlich noch lange geblieben, vermutlich bis zur absoluten Unkenntlichkeit, wenn nicht irgendwann der Lindner gesagt hätte, dass es besser sei gar nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Dem Chef der Liberalen ist der Klimaschutz vermutlich ähnlich schnuppe wie den Grünen, aber in einem Punkt, der den Grünen offenbar dann doch über alles geht, scheint er sich von ihnen zu unterscheiden. Dem Merkelschutz.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.