Bei den Wahlverlierern von Union und SPD ist eine Erkenntnis gereift. Man müsse irgendwie mehr für den Klimaschutz tun. Zumindest bei der SPD glaubt man, auf diesem Gebiet, verlorenes Vertrauen zurückgewinnen zu können. Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, dass die SPD beim Thema Klimaschutz nicht auf dem Platz gewesen sei. Doch das ist komplett falsch. Denn im März erklärte Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles mit der Erfindung des Klimakabinetts noch vollmundig: „Jetzt ist Klimaschutz endlich politische Chefsache!“
Die SPD tut so, als hätte sie das Thema aus Versehen verschlafen. Dabei hat sie es vielmehr aktiv und wissentlich ausgeblendet und die Empörung darüber mit der Simulation von Politik in Form des Klimakabinetts kürzlich zu beruhigen versucht. Vorgesehen waren eigentlich eine Reihe von Kommissionen laut Koalitionsvertrag. Das hatten Stephan Weil und Armin Laschet als die für diesen Themenkomplex zuständigen Chefunterhändler so in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben.
Sehr schnell ging das damals. Bereits am zweiten Tag der Sondierungsgespräche im Januar 2018 räumten Union und SPD das Thema Klimaschutz ab. Vorher zeigte sich der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) noch kämpferisch:
„Gemeinsam mit meinem Ministerpräsidenten Stephan Weil, der Umwelt-Themen in Berlin für die SPD sondiert, werde ich darum kämpfen und dafür sorgen, dass Umwelt, Klimaschutz und Energie einen hohen Stellenwert in einem möglichen Koalitionsvertrag haben.“
Quelle: Greenpeace Magazin
Pustekuchen. Union und SPD gaben die Klimaziele für 2020 kurzerhand auf. An die Stelle trat ein Lippenbekenntnis im Koalitionsvertrag, das ohne Verbindlichkeit und konkreten Maßnahmenkatalog auskommt.
Lieber Schulterschluss, statt Schluss
Dass sich die Große Koalition absichtlich weniger um das Klima kümmern wollte, haben dann auch alle die sofort verstanden, denen es am Herzen liegt. Nun bejammert Andrea Nahles die immer noch gleiche Lage und will irgendwie eine Strategiefähigkeit zurückerlangen. Was auch immer das bedeuten soll. Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist da klarer und denkt als Reaktion auf die Anti-CDU-Videos von Rezo und weiteren Youtubern offen über eine Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet nach. Das wäre in der Tat kein Weiter so, sondern ein Rückfall in autoritäre Zeiten, in denen Zensur dem Machterhalt diente.
Lars Klingbeil sagte hingegen, dass die Youtuber ein deutliches Signal gesetzt hätten und die SPD nun schneller in Sachen Klimaschutz werden müsse. Leider gebe es, Sie ahnen es schon, Konflikte mit dem Koalitionspartner, der wie immer auf der Bremse stehe und der sich mit der SPD offenbar auch in Zukunft alles erlauben dürfe. Denn man könnte die Sache ja auch einfach beenden und einen Schlussstrich ziehen. Ein verständlicher Gedanke, den es nicht erst seit gestern gibt. Doch die SPD hat großes Interesse daran, weiterhin in der Großen Koalition zu bleiben, weil man ja schon viel Gutes beschlossen habe und noch einiges mehr umsetzen wolle.
Andrea Nahles machte in ihrer Stellungnahme eben nicht den Eindruck, als könnte bei der Halbzeitbilanz herauskommen, dass man sich vom Koalitionspartner trennen müsste. Ganz im Gegenteil. Viele Fragen hätten zwar eine neue Dringlichkeit bekommen, das klingt aber so, als suchte die SPD-Spitze im Schulterschluss mit der Union nach einer Sprachregelung, die GroKo doch noch über die Zeit zu retten. Sollte das so sein, ist die ganze Überprüfungsklausel im Koalitionsvertrag nicht mehr als ein Etikettenschwindel. Für den Erhalt des GroKo-Elends wird sich am Ende auch Nahles opfern.
Hohle Worte
Vermeintliche Kritiker wie Kevin Kühnert stört das auch nur am Rande. Eine Rücktrittsforderung ist von ihm, der Nahles einst mit zur Parteichefin wählte, nicht zu vernehmen, dafür etwas anderes wohl Bekanntes. So ist das Youtube-Video von Rezo ein Glücksfall für die Sozialdemokraten, die jetzt wieder ein Kommunikationsproblem geltend machen können. Kühnert meint:
„Wir sind in unserer Kommunikation nicht auf der Höhe der Zeit. Youtuber sind die Leitartikler unserer Zeit, was früher auf Seite 3 der großen Zeitungen stand, findet heute auf Youtube statt.„
Quelle: Twitter
Wie praktisch. Es liegt also wieder an der Vermittlung. Das hatten wir schon zuhauf. Doch diesmal wird der Wähler nicht mehr indirekt als Dummkopf beschimpft, weil er die guten Botschaften offenbar nicht kapiert, sondern umgekehrt eingeräumt, die SPD verstehe den jungen Wähler nicht mehr. Das wäre ja mal ein konstruktiver Ansatz, wenn nicht gleich wieder so ein widersprüchliches Sinnlospapier in die Welt gesetzt worden wäre. So haben sich die Quotenlinken Kühnert, Stegner und Miersch zusammengetan, um unter anderem folgende Passage aufzuschreiben:
„Wir können bei zentralen Themen keine Blockaden durch CDU und CSU mehr dulden. Die Groko muss liefern, wenn diese
Koalition Bestand haben soll. Deshalb muss noch vor Ablauf des Jahres ein konkretes und somit belastbares Klimaschutzgesetz verabschiedet werden, das es uns als Bundesrepublik Deutschland ermöglicht, unsere internationalen Zusagen einzuhalten und unserer Verantwortung diesem Planeten und seinen Menschen gegenüber gerecht zu werden.“Quelle: Matthias Miersch
Warum eigentlich vor Ablauf des Jahres und nicht sofort? Und warum hat man das nicht gleich in den Koalitionsvertrag geschrieben, über den es doch hieß, er enthalte eine überwiegend sozialdemokratische Handschrift? Schon wieder tönt es, ohne Wenn und Aber müsse jetzt gehandelt werden. Es sind bloß hohle Worte. Aber die Union ist keinesfalls besser. Man stellt ebenfalls Versäumnisse beim Klimaschutz fest, schickt aber den Spitzenkandidaten innerhalb von 24 Stunden von Berlin nach Brüssel und von Brüssel nach München, um ihn überall dasselbe in die Kameras sagen zu lassen. Eine tolle Klimabilanz.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.