Zur Europawahl aus deutscher Sicht ein paar kurze Absätze…
- Dramatische Verluste für die SPD. Die Analyse im Willy-Brandt-Haus lautet aber so: Man hätte mehr für Umweltschutz und Digitalisierung tun müssen. Genau. Die Grünen mit grünen Themen schlagen. Das wird bestimmt genauso gut funktionieren, wie der Versuch der Union, die AfD mit rechten Parolen klein zu halten. Die Erkenntnis, dass der Wähler lieber das Original wählt, scheint schon wieder vergessen zu sein. Das Problem der SPD ist, dass sie unterirdische Werte bei ihrer Kernkompetenz hat. Der Sozialpolitik. Da müsste man ansetzen, aber nicht mit diesem Personal.
- Die Linke hat von den herben Verlusten der SPD überhaupt nicht profitieren können, schneidet sogar noch schlechter ab, als beim letzten Mal. Die beiden Parteivorsitzenden, die auf das gleiche Hipster Milieu setzen, wie die Grünen, lächeln das Ergebnis einfach weg und klammern sich an eine mögliche Regierungsbeteiligung in Bremen, für die sie sich vermutlich ordentlich verbiegen würden. Eine Debatte über den künftigen Kurs der Partei, die ihre Zugpferde in verantwortungsloser Weise weg mobbt, ist dringend erforderlich.
- Die Union hat sich dafür gefeiert, dass die Wahlbeteiligung gestiegen ist und Nationalisten wie Rechtspopulisten nicht so stark geworden sind, wie befürchtet. Im gleichen Atemzug forderte man aber den Posten des Kommissionspräsidenten ein. Aus nationalem Interesse versteht sich. Doch Manfred Weber wird kämpfen müssen im Geschacher um das Amt. Zu schwach ist das Ergebnis der Union und für einen Spitzenkandidaten, den keiner kennt. Daher hat das schmierige Werben um die Grünen bereits begonnen, da Macron, dessen Bewegung zu den Liberalen geht, den deutschen Weber nicht will.
- Die Grünen bleiben im Moment der heißeste Scheiß im politischen Deutschland, verkörpern aber mitnichten einen Politikwechsel. Das ist die Pointe, die keinen Spaß bereitet. Die Grünen stehen unter anderem zur Schuldenbremse in Bremen und damit für eine dogmatische Haushaltspolitik, die mit CDU und FDP eine Fortsetzung finden könnte. Was macht die Partei also mit ihrem unbestrittenen Wahlerfolg? Werden sie einen CSU-Hardliner zum Kommissionspräsidenten wählen und einen CDU-Politiker zum Bürgermeister von Bremen?
Ausgeschlossen ist das nicht. Die Partei, der ein progressives Image immer noch anhaftet, bleibt damit ein erstaunlich großes Missverständnis in der Gegenwart. Deutschland zwischen Misserfolg und Missverständnis. Schon erstaunlich…
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.