Sozialklimbim

Geschrieben von: am 17. Mai 2019 um 13:28

Wenn ein Unionspolitiker über Sozialklimbim spricht, ruft das natürlich sofort die SPD auf den Plan. Katja Mast sagt:

„Wie einige aus der Union heute wieder über unseren Sozialstaat reden zeigt, was sie eigentlich von ihm halten. Wenig. Uns als SPD-Bundestagsfraktion geht es um die Anerkennung von Lebensleistung von Menschen, die hart arbeiten, erziehen oder pflegen. Sie haben nicht nur einen starken Sozialstaat verdient, sondern auch eine Wortwahl und Politik, die sie nicht herabwürdigt, sondern ihnen den Rücken stärkt.“

Quelle: SPD Bundestagsfraktion

Man solle also zuerst netter sprechen. Allerdings ist die Wortwahl nicht entscheidend, sondern Taten.

Denn auch eine schönere Wortwahl wie „Gute-Kita-Gesetz“, „Starke-Familien-Gesetz“ oder künftig die „Respekt-Rente“ helfen den hart Arbeitenden kaum. Es wäre schön, wenn die SPD das endlich einmal begriffe. Was sie veranstaltet, ist nämlich tatsächlich Sozialklimbim. Der Anspruch ist zwar, das Leben der Menschen zu verbessern. Doch springen dabei immer nur minimale Fortschritte heraus, für die man sich dann noch über den grünen Klee lobt. Kommt Kritik, heißt es schnell, mit der Union sei eben leider nicht mehr drin.

Dämpfungsfaktoren

Worum geht es: Die Grundrente ist zurzeit Thema innerhalb der Großen Koalition. Von ihr sollen künftig Beitragszahler profitieren, deren Ansprüche zu niedrig sind, um über die Grundsicherung hinaus zu kommen, also jenen Satz, den jeder im Alter erhält, egal ob er jahrelang in die Rentenversicherung eingezahlt hat oder nicht. Dass das ungerecht ist, hat die SPD erst jetzt erkannt. Es war aber schon absehbar, als in den rot-grünen Reformjahren der Umbau des Sozialstaates beschlossen wurde.

Der Quatsch mit der Riesterrente – ein Betrug auf Raten – auf der einen Seite, kombiniert mit allerhand Dämpfungsfaktoren in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der anderen Seite und anhaltend niedrige Löhne haben dazu geführt, dass das Rentenniveau immer weiter sinkt und nun über doppelte Haltelinien und Grundrenten nachgedacht werden muss. Gebe es die alte Rentenformel und eine funktionierende Arbeitslosenversicherung ohne Hartz IV noch, die Welt sähe vermutlich ganz anders aus.

Deshalb würde sich eine SPD, die sich für eine Wiederherstellung der Rentenformel einsetzte und sich beispielsweise an dem Weg des Nachbarlandes Österreich orientierte, wo der Standardrentner im Schnitt 800 Euro im Monat mehr zur Verfügung hat, vermutlich auch wieder an neuer Zustimmung bei den Wählern erfreuen können. Eine SPD aber, die sich mit der Union darüber streitet, wie man auf dem bisherigen Irrweg im Kleinklein irgendwie weiterkommt, macht sich nur noch lächerlich.

Sollbruchstelle

Nicht falsch verstehen: Die Richtung der Vorschläge stimmt, jedoch gibt es keine Mehrheit für den großen Wurf. Bleibt also nur die Schönfärberei von Gesetzen übrig, die unterm Strich kaum etwas bringen. Sollte man es daher gleich ganz lassen? Natürlich nicht. Es wäre aber sinnvoller, die drängenden sozialpolitischen Fragen zu einer Sollbruchstelle dieser Koalition zu machen und nicht erst darauf zu warten, bis irgendwann einmal der Termin für eine Überprüfung der bisherigen Regierungsarbeit auf der Tagesordnung steht.

Das ist unglaubwürdig, weil es den Verdacht nährt, die Führungsebenen wollen zum Schein mit einem Ende dieser Koalition drohen, in Wirklichkeit aber nur Zeit schinden. Die Überprüfungsklausel im Koalitionsvertrag ist im Augenblick noch immer die Beruhigungspille für Anhänger und Öffentlichkeit, die glauben sollen, dass es zu einem vorzeitigen Ende der Regierung doch noch kommen könnte. Vermutlich wird man im Herbst aber feststellen, dass es gerade noch so gereicht hat, um die Koalition bis 2021 fortzusetzen.

Möglicherweise wird es dann eine Form der Grundrente geben, ob mit Bedürftigkeitsprüfung oder nicht ist egal, die SPD-Führung wird es als großen Erfolg zu verkaufen wissen. Vergessen ist dann die Vorgeschichte mit einer katastrophalen Politik, die man selbst zu verantworten hat. Das Rentendesaster beschäftigt die Bundesregierung in wechselnder Zusammensetzung, aber immer mit den gleichen Personen seit 2011.

Simulation

Damals versuchte sich die Arbeitsministerin von der Leyen an einer Zuschussrente, die 2012 dann Lebensleistungsrente hieß und 2013 als solidarische Lebensleistungsrente immer noch nicht kam. Aus der gesetzlichen Solidarrente im Jahr 2016 wurde bekanntlich ebenfalls nichts. Also an hübschen Formulierungen hat es nie gemangelt. Wenn dann einem wie dem Pfeiffer der Kragen platzt, ist das natürlich reine Simulation.

„Wir schütten die Leute mit Geld zu und sie werden trotzdem nicht zufriedener.“

Quelle: FAZ

Der Spruch ist natürlich eine Frechheit, weil es ja nur Formulierungen waren, mit denen man die Leute übergoss. Aber das darf die SPD ja nicht offensiv benennen, weil sie ebenfalls viel von hübschen Worten hält. Und so wird es weitergehen mit der Simulation von Politik und Streit. Das lenkt dann auch ein wenig von Dingen ab, die noch mehr empören sollten. So hat Deutschland der Nato gerade den größten Anstieg der Verteidigungsausgaben seit Jahrzehnten gemeldet.

Man möchte dem Irren im Weißen Haus und seiner kriegslüsternen Truppe gefallen. Dafür müssen halt nicht nur der statistische Eckrentner, sondern auch alle anderen Abstriche in Kauf nehmen. Aber auch hier dürfte Pfeiffers Satz in leicht abgewandelter Form ebenfalls Gültigkeit haben: „Wir schütten das Militär mit Geld zu und die Amerikaner werden trotzdem nicht zufriedener.“ Nur würde sich das der Unionspolitiker nie trauen, offen auszusprechen. Die SPD vielleicht schon, nur Konsequenzen hat das leider nicht.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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