Am Bedarf vorbei

Geschrieben von: am 10. Apr 2019 um 16:00

Das Thema der Woche ist die Enteignungsdebatte. Dazu ist schon viel gesagt und geschrieben worden. Seltsam ist das Argument der Gegner, darunter auch wieder viele SPD-Politiker, die behaupten, dass durch Enteignungen schließlich kein neuer Wohnraum geschaffen werde. Bauen sei das Gebot der Stunde, um das Wohnungsproblem zu lösen. Doch diese Annahme ist höchst fraglich, da freiwerdende Wohnungen meist teuer weitervermietet werden, wie eine Studie von Stadtforschern aus dem September des vergangenen Jahres zeigt.

Diese Studie entstand im Schatten des Wohngipfels und als Antwort auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Beirates des Bundeswirtschaftsministeriums, das empfahl, den sozialen Wohnungsbau und die Mietpreisbremse gleich ganz abzuschaffen. In der Studie mit dem Titel „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“ wird der Schutz von Bestandsmieten gefordert und für Gemeinnützigkeit und Demokratisierung plädiert. Es wird auch das Argument entkräftet, wonach eine verstärkte Bautätigkeit allein ausreiche, um den Anstieg der Mieten zu bremsen.

Kein Sickereffekt

In der Behauptung, die in der aktuellen Enteignungsdebatte wieder vorgetragen wird, steckt die Annahme eines sogenannten „Sickereffektes“. Das bedeutet, wenn neuer Wohnraum vor allem im gehobenen Standard geschaffen werde, würde dies zu Umzügen führen. Ältere und preiswertere Wohnungen stünden dann wieder für Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung. Diese Rechnung geht aber überhaupt nicht auf.

So überzeugend das Modell klingen mag, mit der empirischen Realität hat es kaum was zu tun. Nur wenige Studien haben versucht die modellhaft angenommenen Sickereffekte empirisch zu überprüfen. Eine Untersuchung von empirica konnte zwar zeigen, dass Neubauten Umzugsketten auslösen und „durch den Umzug in einen Neubau immer Wohnungen frei [werden], die etwas kleiner, etwas älter und etwas preiswerter sind.“ Zugleich stellte die Studie fest, dass die „frei gezogenen Wohnungen […] meist teurer weiter vermietet“ wurden (empirica 2016). Im Ergebnis muss demnach festgestellt werden, dass eine verstärkte Neubautätigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu einer Ausweitung von bezahlbaren Wohnungsangeboten führt, sondern vielmehr die Ertragssteigerungen im Bestand beschleunigt.
Auch internationale Studien weisen in eine ähnliche Richtung: eine modellbasierte Simulation von Ökonomen der University of Cambridge kam zu dem Ergebnis, dass die Ausweitung des Wohnungsangebotes nur einen geringen Einfluss auf die Versorgungslücken mit erschwinglichen Wohnungen hat (Fingleton et al. 2018). Dagegen ist uns keine einzige empirische Studie zu angespannten Wohnungsmärkten bekannt, die Sickereffekte auf das Niveau bezahlbarer Wohnungsversorgung belegen kann.

Quelle: Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik

Das Problem besteht also nicht im Angebot, sondern beim Mietzins, für den eine strengere Regulierung gefunden werden muss. Es ist zwar richtig, dass Wohnraum überall fehlt, also mehr investiert und gebaut werden muss, doch das Problem der steigenden Mieten wird dadurch nicht gelöst. Dazu braucht es weiterer staatlicher Eingriffe. Das kann eine Mietpreisbremse sein oder ein Mietenstopp, wie aktuell von der SPD gefordert wird, die damit aber nur eine Forderung der Linken von vor fünf Jahren aufgegriffen hat.

Verpackung ist keine Strategie

Damals hätte es theoretisch vielleicht eine Mehrheit im Bundestag für einen Stopp von weiteren Mietsteigerungen geben können, doch die SPD wollte lieber mit der Union eine weitgehend wirkungslose Mietpreisbremse verwirklichen. Dieses Gesetz ist so ähnlich konstruiert wie „Gute-Kita-Gesetz“, „Starke-Familien-Gesetz“ und künftig die „Respekt-Rente“. Starker Name, schwacher Inhalt. Es ist also gut möglich, dass die Große Koalition wieder ein Gesetz verabschieden wird, das für gute PR, aber kaum für bessere Wahlergebnisse taugt.

Denn es ist schon reichlich dämlich von den führenden Sozialdemokraten, wenn sie sich mit denselben falschen Parolen ausgerechnet an die Seite der Neoliberalen aus CDU, CSU, FDP und der Immobilienwirtschaft stellen und sich dafür auch noch von der Bild-Zeitung feiern lassen, wie Lars Klingbeil in dieser Woche. Die SPD könnte progressiver sein und eine Alternative benennen, doch gefällt man sich offenbar immer noch in der Rolle eines treuen Koalitions-Pudels, auch mit nur noch 15 Prozent in den Umfragen.

Dagegen wird der Grüne Hipster und Überflieger Robert Habeck zum Klassenfeind erklärt, weil er vorsichtig andeutete, Enteignungen großer Konzerne nicht per se ausschließen zu wollen, die Wohnungen nur als reine Anlageobjekte betrachten. Wie blöd kann man in der SPD eigentlich noch sein, so eine sinnvolle und im Übrigen auch verfassungstreue Überlegung rasch vom Tisch zu wischen? Diese Konzerne machen schließlich keinen Hehl aus ihrem Geschäftsmodell, Wohnungsbestände aufzukaufen, um anschließend die Mieten zum Zwecke der Gewinnmaximierung zu erhöhen.

Lieber setzt man auf gefühlte Sozialdemokratie. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagt:

„Enteignungen schaffen keinen neuen Wohnraum. […] Öffentliche Unternehmen und Genossenschaften sind starke Akteure im Wohnungsneubau und sichern bezahlbaren Wohnraum. Das hilft besser gegen Wohnungsnot und steigende Mieten.“

Quelle: Presseportal

Sicher sind Wohnungsbaugenossenschaften starke Akteure vor Ort. Doch auch sie können keinen bezahlbaren Wohnraum schaffen oder erhalten, da es das Gemeinnützigkeitsgesetz seit 1989 nicht mehr gibt und damit auch Genossenschaften als GmbHs firmieren müssen. Sie unterliegen also betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und sind zur Ausschüttung von Gewinnen/Dividenden verpflichtet worden.

Die Gemeinnützigkeit wiederherstellen und Spekulation beenden

Viele Genossenschaften bekennen sich aber weiterhin zur Gemeinnützigkeit sowie dem Kostendeckungsprinzip und können daher vergleichsweise niedrigere Mieten anbieten, doch müssen auch sie Kostensteigerungen bei der Instandhaltung etwa aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen an die Mieter weitergeben. Beim Neubau schlagen die hohen Baupreise zu Buche. Um eine Finanzierung von Projekten zu stemmen, muss der Mietzins am Ende passen. Eine Folge davon sind deutlich kleinere Wohnungen, damit die Kombination aus höherer Miete und geringere Quadratmeteranzahl zu einem „bezahlbaren Wohnraum“ wird.

Ob das aber den eigentlichen Bedarfen entspricht, bleibt fraglich. Jedenfalls argumentieren auch die Genossenschaften mit dem „Sickereffekt“, den es laut oben genannter Studie aber gar nicht gibt. Die Wissenschaftler sprechen hingegen von einer sozialen Blindheit des Marktes. Er versagt und schafft Wohnraum an den Bedarfen vorbei. Das Investment muss sich rentieren. Wohnraum entstehe somit verstärkt dort, wo eine gute Verzinsung des Kapitals erwartet, aber nicht dort, wo Wohnraum vielleicht am dringendsten benötigt wird.

In Deutschland beobachten wir genau diesen Effekt. So wird gegenwärtig zwar viel gebaut, dies aber am Bedarf vorbei. Ein großer Teil der 278.000 im Jahr 2016 neu gebauten Wohnungen waren Eigentumswohnungen oder teure Mietwohnungen (Statistisches Bundesamt 2017). Lediglich rund 9 Prozent, also knapp 25.000 Wohnungen, waren geförderte Sozialwohnungen (Bundesregierung 2017: 3). Zunehmend wird das Wohnungsangebot im günstigen Segment knapper – der Markt versagt in der adäquaten und sozial ausgewogenen Versorgung mit Wohnraum.

Quelle: Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik

In Wirklichkeit stehen die kommunalen Genossenschaften und öffentlichen Wohnungsunternehmen unter einem Marktdruck, der zunächst beseitigt werden müsste. Die Gemeinnützigkeit für kommunale Wohnungsunternehmen muss wiederhergestellt werden. Und ja, auch Enteignungen gegen Entschädigung sind eine berechtigte Forderung. Der Staat kann aber auch die zuvor privatisierten öffentlichen Wohnungsbestände zurückkaufen. Schließlich wendet er auch rund 18 Milliarden Euro jährlich für Wohngeld und Kosten der Unterkunft auf.

Es ist nicht einzusehen, mit höheren Sozialleistungen für die Unterkunft steigende Mieten und damit die Gewinne der Immobilienwirtschaft weiter zu subventionieren. Das Geld wäre besser in der Wohnraumförderung direkt aufgehoben. Völlig verfehlt bleiben aber Maßnahmen wie das Baukindergeld.

Der Ausbau der Förderung von Eigenheimen hingegen ist nicht nur aus raum- und umweltpolitischen Gründen eine fatale Entscheidung. Als verdeckte Mittelschichtsförderung geht sie auch am dringlichsten Bedarf aus sozialpolitischer Sicht vorbei.

Quelle: Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik

Neue Wohnungen zu bauen ist wichtig, aber was ist mit den Mietern, die aus ihrer derzeitigen Wohnung gar nicht wegwollen, von den neuen Immobilienbesitzern Deutsche Wohnen, Vonovia und Co aber dazu gedrängt werden. Die Spekulation mit dem vorhandenen Wohnraum muss daher als erstes beendet werden.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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