Erst das Land, dann die Partei. So hätte es gern der ehemalige Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz. Im Tagesgespräch mit dem Sender phoenix empfiehlt er der Schwesterpartei im britischen Unterhaus, doch nun endlich staatspolitische Verantwortung zu übernehmen und an das Land zu denken. Als Begründung führt der heutige SPD-Hinterbänkler die damalige Zustimmung der SPD zum zweiten Griechenlandpaket unter Schwarz-Gelb an. Da habe man der Kanzlerin zwar das Amt gerettet, aber einem höheren Ziel gedient, so Schulz. Labour soll sich also zum nützlichen Idioten machen, keine gute Empfehlung.
Stichwort Dolchstoßlegende
Die Konservativen sind bereit, über Leichen zu gehen und alles aufs Spiel zu setzen, das ist inzwischen klar. Wer seine Regierungschefin dreimal in Abstimmungen brüskiert und die Regierung dennoch im Amt belässt, trägt aber auch allein die Verantwortung für das angerichtete Desaster. Nun geht es aber auch in Großbritannien mal wieder darum, den Schwarzen Peter möglichst weiterzugeben. Und wie immer rufen deutsche Sozialdemokraten schon mal lautstark „hier“. Schulz begreift offenbar nicht, welche Absicht Premierministerin Theresa May mit ihrem vergifteten Angebot an Labour verfolgt.
Lehnt Corbyn ab, trägt er natürlich auch die Verantwortung für einen harten Brexit. Stimmt er dem Deal von May zu, denn nur um ihn kann es ja gehen, da die EU inhaltlich nicht mehr verhandeln will, macht er sich ebenfalls angreifbar. Stichwort: Dolchstoßlegende. So blöd kann man eigentlich gar nicht sein, das nicht zu erkennen. Martin Schulz ist wohl die Ausnahme. Und dank solcher Sozialdemokraten, die es vermutlich auch auf der Insel gibt, kann man arbeiten. Vermutlich haben die Tories darüber sieben Stunden lang hinter verschlossenen Türen beraten. Wie bringt man Labour dazu, den nützlichen Idioten zu spielen?
Total unzuverlässig
Martin Schulz mag ja ein gutes Gedächtnis haben und es als Erfolg werten, dass die SPD damals 2012 in der Opposition staatspolitische Verantwortung übernahm, dem zweiten Griechenlandpaket zustimmte und der Kanzlerin so zu einer Mehrheit verhalf. Doch was war denn ein Jahr später im Wahlkampf? Da bezeichnete Angela Merkel ihre vermeintlichen Retter als „europapolitisch total unzuverlässig“. Ein bewusster Schlag, der eine noch dämlichere Reaktion der Sozialdemokraten zufolge hatte.
Die zeigten sich nämlich durch die Bank weg empört und verwiesen buchstabengenau auf ihr unterstützendes Abstimmungsverhalten als Oppositionspartei, damit der Wähler auch noch einmal vor Augen geführt bekam, wer die privaten Gläubiger raushaute und im Gegenzug das griechische Volk bestrafte. Der damalige Spitzenkandidat der SPD, Peer Steinbrück, meinte im Bundestag: „Sie müssen genau wissen, dass Sie damit Brücken zerstören.“ Er hatte nur vergessen zu erwähnen, dass sich die SPD zusammen mit den Grünen bereits darin überbot, künftig 1. Wurmfortsatz unter Merkel sein zu dürfen.
Verantwortungslose Einpeitscher
Martin Schulz, der von 2012 bis 2017 Präsident des EU-Parlaments war, bezeichnete im Jahr 2015 den damaligen griechischen Finanzmister Yanis Varoufakis als Spaßhansel. Und der ehemalige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel ließ via Bild-Zeitung parallel die Botschaft verbreiten:
„Deshalb werden Europa und Deutschland sich nicht erpressen lassen. Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“
Quelle: Sigmar Gabriel via Bild-Zeitung
Die Verlässlichkeit deutscher Sozialdemokraten bestand also darin, den rechtskonservativen Kräften bei der Durchsetzung ihrer neoliberalen Agenda als Einpeitscher oder auch nützliche Idioten behilflich zu sein. Gebracht hat dieser in der Tat verantwortungslose Kurs aber weder den Griechen etwas, die heute ärmer, arbeitsloser und verschuldeter dastehen, noch der deutschen Sozialdemokratie, die aktuell bei 15 Prozent in den Umfragen gehandelt wird.
Austrittserklärung widerrufen
Es gibt im Grunde nur eine Lösung, die allerdings das britische Unterhaus indirekt schon wieder verworfen hat. Die Regierung muss die Austrittserklärung zurücknehmen und danach endlich zurücktreten, eben weil sie mit allem gescheitert ist. Labour sollte hingegen nicht dabei helfen, die gescheiterte Regierung noch länger im Amt zu halten, wobei ein Austritt mit diesem Abkommen immer noch besser wäre, als ein Austritt ohne Abkommen. Es kommt also darauf an, wer besser mit dem harten Brexit (über)leben kann.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.