Das Brexit-Theater bittet zum vermeintlich letzten Akt. Komiker machen sich schon lustig. Das britische Unterhaus würde noch über den Brexit diskutieren, wenn die EU sich schon längst aufgelöst hat (Extra 3). Oder: Der britische Abgang, da verabschiedet man sich, geht aber nicht (Carolin Kebekus). Nach der erneuten Abstimmungsniederlage für die britische Premierministerin Theresa May im Unterhaus ist der Deal mit der Europäischen Union tot. Kommt nun der harte Brexit? Möglich, wahrscheinlicher ist aber ein anderes Szenario.
Den harten Brexit will nur eine Minderheit im britischen Unterhaus. Das wird auch heute vermutlich wieder zu sehen sein, wenn das Parlament über genau diese Frage abstimmt. Bereits vor Wochen hat das House of Commons mit deutlicher Mehrheit erklärt, auf jeden Fall einen Deal zu wollen, nur halt nicht jenen, den Theresa May und die EU im Prinzip unverändert erneut vorlegten. Unter normalen Umständen müsste dieses Regierung abtreten. Tut sie aber nicht, was die Sache etwas kompliziert, aber nicht unlösbar macht.
Diskutiert wird nun eine Verschiebung des Austrittsdatums. Das Unterhaus stimmt darüber am Donnerstag ab. Diesem rein technischen Vorgang müssten dann wiederum alle EU-Staaten zustimmen. Das könnte klappen, aber auch schwierig werden, da Einigkeit unter so vielen Partnern immer so eine Sache ist. Es hat aber andererseits auch überhaupt keinen Sinn, dem Wunsch der britischen Regierung nicht zu entsprechen, da sie auch völlig frei wäre, den gesamten Brexit abzublasen, ohne dass dagegen irgend ein EU-Staat etwas ausrichten könnte. Die Rücknahme des Antrags nach Artikel 50 EU-Vertrag ist jederzeit möglich, wie der EuGH letztes Jahr feststellte.
Und was wäre dann? Außer Spesen nichts gewesen. May, die auch dann vermutlich nicht zurücktreten würde, wer weiß das schon in diesem absurden Trauerspiel, hätte sogar gute Argumente für die Rücknahme der Austrittserklärung. Schließlich kann sie nur auf diese Weise erfüllen, was das Parlament ihrer Regierung aufgetragen hat. Was will das Parlament? Auf jeden Fall keinen harten Brexit, was nach heute gleich doppelt unterstrichen sein wird. Das Parlament will zwar auch einen Deal, aber nicht den von May und der EU. Folglich bleibt nach Abwägung aller Vor- und Nachteile nur die Rücknahme des Austritts, um den harten Brexit zu vermeiden.
Danach könnte das lustige Parlament in Westminster in aller Seelenruhe und mit welcher Regierung auch immer bis zum Sankt Nimmerleinstag darüber beraten, welchen Deal mit der EU denn seine Zustimmung fände und dann, wenn auch Einigkeit mit den EU-Staaten darüber hergestellt ist, erneut den Austritt erklären. Fertig. Falls noch Zeit bleibt, könnte man vielleicht auch eine Sekunde über die Sinnhaftigkeit von Referenden ausgerechnet in den Ländern nachdenken, die sich ein parlamentarisches System für ihre Demokratie ausgesucht haben.
Dazu mal folgende Thesen:
- Die Sachfrage ist manipulierbar:
Wenn wir davon ausgehen, dass es eine Medienmacht gibt, die sich für bestimmte Interessen von Konzernen und Reichen erfolgreich einspannen lässt, dann ist es auch möglich, die Entscheidung über spezifische Sachfragen durch entsprechende Berichterstattung in eine Richtung zu beeinflussen. - Der Volksentscheid als Denkzettel:
Ein Volksentscheid wird entsprechende Aufmerksamkeit erzielen und damit potenziell auch attraktiv für einen Missbrauch. So könnte man die Entscheidung über eine Sachfrage umdeuten in eine Abrechnung mit der ein oder anderen Regierung. Siehe Brexit. Um das eigentliche Thema geht es in diesem Fall gar nicht mehr. - Der Volksentscheid passt nicht zum Prinzip des Parlamentarismus:
Der Volksentscheid wirft die Frage der Legitimität auf. Was wiegt denn schwerer, die Wahl von Abgeordneten, die das Volk vertreten und in seinem Namen Entscheidungen treffen sollen oder der Volksentscheid, über den möglicherweise viel weniger Menschen abstimmen, als bei der Wahl zur jeweiligen Nationalversammlung. - Direkte Demokratie ersetzt nicht die Erosion von Demokratie:
Befürworter von Volksabstimmungen sehen darin eine Form der lebendigen Demokratie. Das nützt nur nichts, wenn die Technokraten der Institutionen an einer anderen Agenda festhalten und auch die dafür nötigen Druckmittel besitzen. Was hatten denn die Griechen von ihrem „OXI“ (Nein) zu einem Deal mit der Troika. Weniger Geld am Automaten und noch mehr brutale Kürzungen.
Vielleicht schafft es die EU ja auch in dieser Zeit, in der die Briten weiter „yeah, yeah“ und „hear, hear“ rufen, den bescheuerten Austrittsartikel 50 aus den EU-Verträgen zu tilgen. Das wäre wohl ein Deal oder vielmehr eine Lehre aus diesem absurden Theater.
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.