Beziehungsfähigkeit

Geschrieben von: am 12. Mrz 2019 um 12:45

Sahra Wagenknecht will nicht mehr für den Fraktionsvorsitz der Linken im Bundestag kandidieren. Es war die Top-Nachricht am gestrigen Tag. Die Ankündigung hat zu vielen Reaktionen geführt. Am respektvollsten äußerste sich dabei noch der politische Gegner, während die vermeintlichen Parteifreunde beim vereinzelten Nachtreten blieben. Aber das war zu erwarten. Wirklich schräg ist jedoch die Behauptung, dass nun durch den Rückzug Wagenknechts neue progressive Bündnisse möglich würden.

Diesen Unsinn verbreitete der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner im ZDF. Er sieht plötzlich eine Perspektive für Rot-Rot. Der Mann muss vollkommen blind sein. Rot-Rot liegt in Umfragen zwischen 23 und 27 Prozent. Aber nicht nur das. Nähme man die Grünen noch hinzu, obwohl die sich derzeit lieber nach einer Koalition mit der Union sehnen, stünde das angeblich progressive Bündnis immer noch ohne Mehrheit da. Und das liegt vor allem an einer schwachen SPD.

Die Untoten aus dem Nichts

Mit Werten um die 15 Prozent ist die einstige Volkspartei nur noch ein Schatten ihrer selbst. Besonders deutlich wird dieser Zombie-Zustand an der jüngsten Debatte um eine mögliche Wahl Annegret Kramp-Karrenbauers zur nächsten Bundeskanzlerin. Das würde die SPD ja auf gar keinen Fall mitmachen, hieß es plötzlich wie aus dem Nichts. So als ob es bei der nächsten Kanzlerwahl auf die untoten Sozialdemokraten noch ankäme.

Eine Machtoption jenseits der Union gibt es derzeit nicht. Sie gab es einmal im Parlament, blieb aber vor allem durch die SPD sträflich ungenutzt. Ihr war das Regieren mit der Union und das anschließende Jammern über den Koalitionspartner lieber, als die Umsetzung progressiver Politik, zu der übrigens gerade Sahra Wagenknecht im Bundestag immer wieder aufrief, auch um die Glaubwürdigkeit eines versprochenen Politikwechsels vor der letzten Bundestagswahl zu verbessern. Eine Fortsetzung des Merkel-Kurses lehnte Wagenknecht hingegen zu Recht als Wählertäuschung ab.

Es ist nicht unsere Aufgabe, der SPD das Leben einfacher zu machen. Unsere Aufgabe ist es, uns für eine sozialere Politik einzusetzen. Es ist in Koalitionen übrigens nicht üblich, dass sich der eine Koalitionspartner das Personal des anderen aussucht. Entweder will die SPD tatsächlich eine sozial gerechtere Politik, dann kommt sie an uns als Partner nicht vorbei, oder sie will einfach nur die Kanzlerschaft und politisch ein „Weiter so“. Eine Fortsetzung von Merkels Politik unter einem Kanzler Schulz ist mit Unterstützung der Linken nicht zu machen.

Quelle: Sahra Wagenknecht

Der Vorwurf, dass sich Wagenknecht immer dagegen gestemmt habe, die eigene Partei auf einen Regierungskurs zu bringen, ist schlichtweg falsch. Regierungskurs oder auch Regierungsfähigkeit sind ja nur Tarnbegriffe, die ein Bekenntnis zur neoliberalen Agenda voraussetzen. So hat gerade die SPD einen Politikwechsel im Bundestagswahlkampf 2017 immer wieder versprochen. „Zeit für mehr Gerechtigkeit“, lautete der Wahlslogan, mit dem sie auch und ausgerechnet bei der FDP um Zustimmung warb. Vielleicht zu Recht.

Denn das Wahlprogramm war eine tiefe Verbeugung vor den Interessen der Konzerne und der Vermögenden. Soziale Gerechtigkeit kam allenfalls noch als der Versuch einer halbherzigen Absturzsicherung vor, wie etwa in der Frage der Rente, die auf einem niedrigen Niveau gehalten werden sollte. Im Bundestagswahlkampf 2013 forderte die SPD immerhin noch die Rücknahme der Rente mit 67, mittlerweile plädiert sie weiterhin für ergänzende privatwirtschaftliche Altersvorsorgemodelle, obwohl die nachweislich kaum Sicherheit, dafür viel Risiko bieten und folglich nur die Taschen der Versicherungskonzerne füllen.

Anpassung ist kein Politikwechsel

Von SPD und Grünen kam auch der Vorwurf, die Linke sei außenpolitisch unzuverlässig und deshalb nicht koalitionsfähig. Wer sich nun aber die Außenpolitik des SPD-Ministers Heiko Maas anschaut, dem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits zweimal ins Stammbuch schrieb, ein völkerrechtswidriges Verhalten entweder gebilligt (Angriffe auf Syrien) oder selbst betrieben zu haben (Anerkennung eines selbsternannten Präsidenten in Venezuela), kommt zu einem anderen Urteil. Verlässlichkeit sollte doch wohl nicht mit einem Bekenntnis zu solch einer stümperhaften Außenpolitik erkauft werden.

Die, die auch jetzt wieder von einer besseren Regierungsfähigkeit der Linken oder gar neuen Bündnissen träumen, meinen im Kern auch nur eine weitere Variante neoliberaler Koalitionen, die zu allererst auf Schwarze Nullen, Schuldenbremsen und offene Konfrontationen setzt, also die Möglichkeiten politischen Handelns zu Gunsten der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens eher einschränkt, denn ausbaut.

Die Aussage des SPD-Finanzministers Olaf Scholz in seiner ersten Regierungserklärung dokumentiert ja sehr schön die grundsätzliche Linie, der sich alles unterzuordnen hat und die sich überhaupt nicht von den Überzeugungen seiner Vorgänger unterscheidet.

Ich habe überall in Europa gesagt: Ein deutscher Finanzminister ist ein deutscher Finanzminister, egal welches Parteibuch er hat. Ich glaube, die Botschaft ist gut angekommen.

Quelle: Olaf Scholz, erste Regierungserklärung als Bundesfinanzminister

Mit schlechtem Marketing versucht die SPD dennoch den Eindruck zu erwecken, so etwas wie eine progressive Sozial- und Europapolitik zu betreiben. Dabei kommen dann Werbe-Claims wie „Gute-Kita-Gesetz“, „Starke-Familien-Gesetz“ und „Respekt-Rente“ heraus. Diese peinlichen Übertreibungen sollen den mageren Inhalt offenbar aufwerten.

In Wirklichkeit ist mit SPD und Grünen kein Politikwechsel möglich. Sie haben schon vor Jahren den Pfad der Anpassung gewählt. Sie finden schwarze Nullen und Schuldenbremsen gut, sie unterstützen eine Steuerpolitik, die Unternehmen und Vermögende begünstigt, sie sperren sich nicht ernsthaft gegen Aufrüstung und gegen die transatlantischen Forderungen nach mehr militärischem Engagement und wirtschaftlichem Druck. Sie schrecken nicht einmal davor zurück, die gute Tradition der Entspannungs- und Friedenspolitik über Bord zu werfen und dafür am Aufbau neuer Feindbilder mitzuwirken.

Sie sind nicht beziehungsfähig, sondern allenfalls zu Netzwerken bereit, die Karrieren fördern und die Sozialdemokratie zerstören. Kurzum: Es gibt keine progressiven Mehrheiten mehr.

1

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge