Kaum zu fassen. Ökonomen beginnen zu glauben, dass die Einführung der Schuldenbremse ein Fehler war. So oder so ähnlich ist der Eindruck, der sich gerade breit macht, weil das Handelsblatt die Meinung von ein paar populären „Experten“ zitiert, die bislang durch einen absurden ökonomischen Blick aufgefallen sind. Wer genauer hinschaut, wird dann auch feststellen, dass sie nur deshalb plötzlich Kritik an der Schuldenbremse üben, weil sie den Fortbestand der neoliberalen Agenda gefährdet sehen.
Wieso sollte ausgerechnet ein Michael Hüther gegen die Schuldenbremse sein? Er ist es im Prinzip auch gar nicht, hat aber gemerkt, dass die verlockenden Steuersenkungen, zu denen die Politik gerade wieder bereit ist und die seine Brötchengeber lautstark einfordern, mathematisch kaum zu realisieren sind, wenn dem Staat durch eine bereits begonnene Rezession die Einnahmen wegzubrechen drohen. Hüther nennt das dann so:
Die Schuldenregel wirke wie eine Bremse für Steuersenkungen und Investitionen, sagte der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) dem Handelsblatt. „Wir haben uns eingemauert.“
Quelle: Handelsblatt
Die Äußerung zeigt, Hüther ist nicht von einem plötzlichen Erkenntnisgewinn getroffen worden, sondern hält an alten absurden Denkmustern fest. Er stellt nämlich erneut einen Zusammenhang zwischen Steuersenkungen und Investitionen her. Den gibt es aber nicht, was auch leicht zu beweisen ist. So haben die letzten Steuersenkungen für die Unternehmen eben nicht zu einer stärkeren Investitionstätigkeit in der Realwirtschaft beigetragen, sondern im Gegenteil zu einer Reduktion geführt.
Dafür wachsen die Vermögenspositionen der Unternehmen seit Jahren unentwegt (siehe Makroskop und Spiegel). Sie sind zu Nettosparern geworden, schwimmen also im Geld. Jetzt zu behaupten, dass durch noch mehr Geld, resultierend aus Steuersenkungen, genau jene Investitionstätigkeit angeregt würde, die es gerade nicht gibt, obwohl den Unternehmen das Geld aus eigenen Rücklagen in Massen zur Verfügung stünde, ist an Dämlichkeit kaum noch zu unterbieten. Da hilft es vielleicht tatsächlich, das Fenster zu öffnen, um einmal frische Luft zu atmen.
Neoliberaler Wolf im Schafspelz
Doch zurück zur Schuldenbremse. Da gibt es ja noch den Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bei dem man immer denkt, er bezöge eine Gegenposition. Fratzscher, der zusammen mit Sigmar Gabriel einmal vorschlug, private Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zu erlauben und diese mit staatlich garantierten Renditen abzusichern, ist allerdings ein neoliberaler Wolf im Schafspelz, der in der Regel mit wirren Formulierungen auffällt. Wie dieser Unsinn hier:
„Für Deutschland ist die Schuldenbremse kontraproduktiv, da sie der Regierung in guten Zeiten zu viel Spielraum lässt und in schlechten Zeiten zu wenig.“
Quelle: Handelsblatt
Was soll das denn heißen? Ist die Schuldenbremse laut Fratzscher nur falsch eingestellt? Offensichtlich, denn frühere Äußerungen des „Ökonomen“ legen nahe, dass er eine Schuldenbremse an sich für richtig hält.
„Die Schuldenbremse ist zwar richtig und notwendig und hat zu einer Reduzierung der Staatsschulden beigetragen, leider aber auch zulasten öffentlicher Investitionen.“
Quelle: via Makronom
Eine Schuldenbremse ist überhaupt nicht notwendig, gerade dann nicht, wenn alle anderen volkswirtschaftlichen Sektoren zu Nettosparern geworden sind. Irgend einer muss sich verschulden. Das ist Logik, die durch nichts widerlegt werden kann. Das immer wiederholen zu müssen, zeigt, wie verfestigt das Dogma von den angeblich so schlimmen Staatsschulden ist.
Dogmatische Nullen unter sich
Wie dogmatische Nullen, die sich auch noch als seriöse Zahlenmenschen exponieren, das Thema unter sich weiter diskutieren, kann man hier nachlesen. Wirklich schlimm. Über intellektuelle Leichtgewichte im Bundestag wie Otto Fricke kann man eigentlich nur noch lachen. Auf seiner Webseite schreibt der Haushaltspolitiker der FDP dreist:
Politik braucht Zahlenmenschen. Ich möchte der Generation meiner Kinder die Welt so übergeben, dass sie freie Entscheidungen treffen kann und ihnen alle Wege offen stehen. Doch auf einem Schuldenberg sollen unsere Kinder nicht sitzen. Daher setze ich mich für eine verantwortungsvolle, nachhaltige und bildungsorientierte Wirtschaftspolitik ein. Es ist unfair, mit den Schulden von heute, die Generation von morgen zu belasten.
Quelle: Otto Fricke
Dann soll sich der verantwortungsvolle Zahlenmensch doch erst mal für die Begleichung der offenen Rechnungen jener FDP Fraktion einsetzen, die 2013 achtkantig aus dem Bundestag flog und in der Fricke einer von vier parlamentarischen Geschäftsführern war. Denn deren millionenschweres Schuldenerbe darf nun die Allgemeinheit tragen. Parallel dazu gibt es die liberale Dummschwätzerei aber schon wieder gratis obendrauf. Verantwortungsvoll und nachhaltig, versteht sich.
Leute wie Fricke, Hüther, Fratzscher und Co. begreifen nicht, dass ihre Vorstellung von Haushaltspolitik, die leider immer noch mehrheitsfähig ist und beinahe überall in Europa mit Nachdruck exekutiert wird, eine vernünftige volkswirtschaftliche Entwicklung über Jahre hinweg verhindert hat. Die Geldpolitik der EZB ist inzwischen am Ende. Die Zentralbank hat ihr Pulver verschossen. Trotz Niedrigstzinsen kommt die Wirtschaft nicht mehr in Gang. Eine Rezession hat nun auch Deutschland erfasst. Ein fiskalischer Impuls ist dringend notwendiger denn je.
Doch nichts dergleichen. Die Bundesregierung hält an der Schwarzen Null fest, an der Schuldenbremse sowieso und auch am Ausland, dass die notwendigen Schulden weiter übernehmen soll, damit Deutschland Überschüsse hat und Exportweltmeister bleiben kann. Kein Wunder, dass Finanzminister Scholz, eine weitere dogmatische Null, vor den Amerikanern beim Thema Digitalsteuer kuscht und den Schwanz einzieht, wenn es um mehr Transparenz geht. Er fürchtet die Strafzölle, die das unhaltbare Exportmodell der Deutschen noch schneller zum Einsturz bringen können.
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.