Satirestunde mit dem Seeheimer Kreis

Geschrieben von: am 09. Jan 2019 um 9:27

Wenn die SPD-Bundestagsfraktion zu einer Klausur am 10. Januar in Berlin zusammenkommt, gibt es eine Menge zu besprechen. Die Sache mit der Kanzlerkandidatur natürlich, vor allem aber auch eine Reihe von Positionspapieren, die plötzlich erschienen sind und einen linkeren Kurs von der SPD in der Regierung verlangen. Das Lustige dabei ist, die Forderungen werden von Parteigliederungen erhoben, die eigentlich der konservativen Strömung angehören. Da wird wohl einmal mehr bloß über Bande gespielt.

So haben sich die Sozialdemokraten aus Niedersachsen/Bremen und Nordrhein-Westfalen zu Wort gemeldet. Die Bundestagsabgeordneten aus den beiden größten Landesgruppen treffen sich bereits am 8. und 9. Januar zu einer Klausur in Osnabrück. Der Vorsitzende der Landesgruppe Niedersachsen/Bremen, Johann Saathoff, sagt:

Wir werden die SPD als Partei der Gerechtigkeit, des Friedens und der Arbeit positionieren. Es geht nicht mehr darum, ob wir Hartz IV reformieren, es geht nur noch darum, wie und wann.

Quelle: HAZ

In einem gemeinsamen sechsseitigen Papier rufen Saathoff und sein NRW-Pendant Achim Post die SPD zu mehr Selbstbewusstsein und Mut auf. Eine schnellere Erneuerung wird gefordert. Dazu gehören eine drastische Reduzierung befristeter Beschäftigungen, die Einführung einer Grundrente und ein Mindestlohn von „mindestens“ 12 Euro. Überzogene Sanktionen im Hartz IV-System wolle man abschaffen und längere Ansprüche auf Arbeitslosengeld I durchsetzen.

Außerdem soll der Solidaritätszuschlag für höhere Einkommen bestehen bleiben und darüber hinaus Spitzensteuersatz und Reichensteuer angehoben werden. Ein ähnliches Papier hat dann auch der Seeheimer Kreis herausgebracht. Die ganz Rechten in der SPD kommen aber mit vier statt sechs Seiten aus. Aber auch Kahrs und Co wollen den Sozialstaat plötzlich grundlegend reformieren und unter anderem die Abschaffung der Leih- und Zeitarbeit erreichen.

Die Seeheimer plädieren auch für einen Mindestlohn von 12 Euro mit der Begründung:

Es ist würdelos, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, auf weitere Unterstützung durch den Staat angewiesen sind. Sie haben im „Hartz IV-System“ ebenso nichts verloren.

Quelle: Seeheimer Kreis

Bricht die SPD-Rechte etwa nun mit der Agenda 2010, wie die taz meint? Natürlich nicht. Die beiden Papiere zeigen eigentlich nur eines. Die Gewissheit, sie nie umsetzen zu müssen, da die erforderlichen Mehrheiten so eindeutig fehlen wie nie.

In der letzten Legislaturperiode mit einer theoretischen Mehrheit aus SPD, Linken und Grünen im Parlament hätten sich Seeheimer und Co. so etwas vermutlich nicht getraut. Da war es ja schon peinlich genug, die Bettelei zur Ehe für Alle immer wieder vortragen zu müssen, obwohl man darüber doch nur hätte abstimmen brauchen, wie es dann ja auch geschah, allerdings mit Muttis Zustimmung. Das ist wichtig, auch für Johannes Kahrs, der sich als Rumpelstilzchen zwar immer wieder reichlich Mühe gibt, aber nie etwas unternehmen würde, was diese oder irgend eine andere GroKo gefährden würde.

Traditionelles Halbjahr vor wichtigen Wahlen 

Es gilt also auch dieses Mal wieder der Grundsatz, den das Satire-Blog Postillon einmal sehr treffend mit der Schlagzeile beschrieb: „SPD läutet traditionelles linkes Halbjahr vor wichtigen Wahlen ein“ Diesmal beteiligen sich halt auch die Seeheimer an prominenter Stelle, denn die Umfragen zur anstehenden Europawahl sowie im Osten der Republik deuten auf furchtbar schlimme Wahlergebnisse für die SPD hin. Außerdem wird die Bürgerschaft in Bremen am 26. Mai neugewählt. Die letzte Umfrage dazu stammt aus dem September. Rot-Grün hätte keine Mehrheit mehr. Da muss man halt was tun.

So kann es dann auch sein, dass die Kandidatendebatte von Olaf Scholz nicht aus Versehen, sondern von ihm absichtlich losgetreten worden ist, denn so dumm ist auch er nicht, um zu durchschauen, was Bild-Redakteure mit ihren Fragen bezwecken. Er hätte diesen leicht ausweichen können, denn das ist das erste, was Berufspolitiker im Umgang mit den Medien lernen. Doch er tat es nicht, weil es besser ist, wenn sich die Öffentlichkeit mehr mit ihm und einer absurden Kandidatenfrage befasst und nur am Rande mit dem erneuten inhaltlichen Täuschungsversuch vor wichtigen Wahlen.

Fakt ist ja, dass alle Forderungen, die jetzt erhoben werden, schon längst Realität hätten sein können. Doch die SPD zog es vor, sich strategisch aller Machtoptionen zu berauben, um ausschließlich als Juniorpartner der Union zu dienen. Nun ist es aber so, dass auch diese Perspektive schwindet. Die Grünen sind drauf und dran, die SPD als Juniorpartner in Zukunft abzulösen.

Business as usual

Heute trifft sich wieder das Bundeskabinett, also die Regierungsmannschaft, in der sich auch SPD-Minister befinden. Einen Willen zum Aufbruch oder gar „Mut zu mehr“ spürt man hier aber nicht. Die schreibende Zunft sieht sogar einen eher müden und erschöpften Start ins zweite Regierungsjahr. Von einem Neustart oder gar einer Profilschärfung kann also keine Rede sein. Die soll das Regierungsgeschäft auch gar nicht beeinflussen, sondern außerhalb stattfinden. Lächerliche Debattencamps und ähnliches sorgen für Beschäftigung.

Konkret wird weiter neoliberale Politik mit Zustimmung der SPD umgesetzt. So soll heute beispielsweise das „Starke-Familien-Gesetz“ von Franziska Giffey und Hubertus Heil verabschiedet werden. Es verspricht einen höheren Kinderzuschlag, mehr Geld für Bildung und für Alleinerziehende. Als Realsatire bezeichnet Heinz Hilgers vom Kinderschutzbund das Paket, das vor allem wieder stark an Bürokratie sei und daher nur wenige und dazu noch mit weiterhin unzureichenden Leistungen erreichen werde.

Der SPD wird das Vorhaben aber sicherlich wieder eine Jubelmeldung wert sein, was allein schon an der übertriebenen Titulierung selbst deutlich wird. Neben dem „Starke-Familien-Gesetz“ zählt dazu beispielsweise auch das „Gute-Kita-Gesetz“. Das positive Wording soll eben dazu dienen, die offenkundigen Schwächen zu überdecken, die man bereits im Koalitionsvertrag bereit war, zu akzeptieren. Auch dieser wurde ja mit der übertriebenen Behauptung versehen, eine deutliche SPD-Handschrift zu tragen, was dann auch die Künstliche Intelligenz zu bestätigen schien. Wieso sollte die SPD also etwas verändern? Dafür müsste man ja den menschlichen Verstand bemühen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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