Blogger haben es leicht. Um die Glaubwürdigkeit brauchen sie sich keine Gedanken zu machen. Sie machen ja auch keinen Journalismus, wie diejenigen immer wieder betonen, die für große Magazine Geschichten erfinden und dafür auch noch Preise gewinnen. Warum eigentlich? Vermutlich weil ihre Artikel so schön zu lesen sind und in ein vorgefertigtes Weltbild passen, das man eigentlich gar nicht haben sollte, wenn man doch daran interessiert ist, etwas Neues herauszufinden.
Nun ist die Aufregung um den Reporter Claas Relotius etwas seltsam. Er allein hat doch nicht die Glaubwürdigkeit des Journalismus beschädigt.
Die NachDenkSeiten gibt es seit 15 Jahren. Sie sind gegründet worden mit dem Anspruch, Denkfehler und kollektive Vorurteile aufzudecken. Der Befund eines Glaubwürdigkeitsverlusts der Medien war also schon vor 15 Jahren bekannt und er besteht bis heute fort, wie NachDenkSeiten-Herausgeber Albrecht Müller kürzlich in einem Interview noch einmal deutlich gemacht hat. Jetzt also so zu tun, als habe ausgerechnet ein mit Preisen überhäufter Schönschreiberling aus der Spiegelfamilie die Glaubwürdigkeit der Medien angekratzt, ist gerade zu lächerlich. Eklatante Fehlleistungen gibt es schon viel länger.
Seit 13 Jahren ist Angela Merkel Kanzlerin. Ihr ist es mit Hilfe der Medien gelungen, diese im Kern schreckliche Zeit für Deutschland und Europa als großen Erfolg darzustellen. Jede Regierungserklärung zur Innenpolitik beginnt stets mit einem Lob der eigenen Politik und der Feststellung, dass es den Menschen noch nie so gut gegangen sei wie im Augenblick, obwohl doch vor allem die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander geht. Wie kann dieses falsche Bild bis heute durch die Medien akzeptiert und weiterverbreitet werden? Über das realitätsferne Image von Merkel gibt es hier ebenfalls mehr zu lesen.
Das Gejammer über die Verrohung der Sitten ist das Ergebnis einer Politik, für die Merkel verantwortlich zeichnet. Die Medien finden die im Grundsatz richtig. Sie beschönigen pausenlos die Lage und erheben beispielsweise keinen Einspruch gegen den Versuch, die private Altersvorsorge weiter auszubauen. Sie erheben keinen Einspruch gegen die absurde Forderung, die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Exportüberschüsse ständig zu erhöhen. Sie erheben auch keinen Einspruch gegen die verbale wie auch faktische Aufrüstung, die den Frieden in Europa und der Welt immer mehr bedroht.
Schaut man ins Außen- oder in das Verteidigungsministerium kann man den Eindruck gewinnen, hier gelte der Grundsatz: „Mehr Feindbild wagen.“ Von Entspannungspolitik fehlt mittlerweile jede Spur. Den volkswirtschaftlichen Sachverstand sucht man ebenfalls vergebens. Heiner Flassbeck schreibt:
Die Wirtschaftsberichterstattung ist mindestens so fragwürdig, weil sie Objektivität vorgaukelt, wo regelmäßig Ideologie die Feder führt.
Die Medien merken auch nicht, dass sie die AfD als Rüpel vom rechten Rand permanent in Szene setzen und damit den anderen Parteien, die längst weit nach rechts gewandert sind, einen großen Gefallen tun. Die erscheinen ja plötzlich als gemäßigt oder gar sozialdemokratisiert. Das sind sie aber nicht. Es dennoch immer wieder so aussehen zu lassen, hat daher entweder etwas mit Dummheit oder mit Absicht zu tun.
Die Ära Merkel als einen erfolgreichen Abschnitt der Geschichte darzustellen, ist eine der größten Fehlleistungen der Medien. Aber was wissen schon kleine Lokalreporter oder Blogger über diese Dinge. Eigentlich sehr viel, weil sie tagtäglich erleben, was die Menschen vor Ort bewegt. Sie sehen, wie sich beispielsweise die Folgen der schwarzen Null bemerkbar machen, welche absurden Verteilungskämpfe um die Finanzen geführt werden, obwohl das gar nicht notwendig wäre, wenn Logik und Vernunft, statt Verbohrtheit und Ideologie das Handeln bestimmen würden.
In den großen Zeitungen und Magazinen liest man darüber nichts. Stattdessen wird aktuell mit Friedrich Merz die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Er habe sich für einen Sitz am Kabinettstisch ins Spiel gebracht, heißt es. Dabei ist das eigentlich auch nur wieder eine erfundene Geschichte von Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die Merz fragten, ob er sich denn einen Ministerposten vorstellen könne. Das klingt wie eingefädelt, um eine Polarisierung zu erzeugen, die es eigentlich gar nicht gibt, aber nützlich sein kann, um Wahlen für die marktkonforme Demokratie und den Neoliberalismus zu gewinnen.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.