Land will Schuldenberg schneller abbauen, lautet eine Schlagzeile aus Niedersachsen in dieser Woche. Dieser Vorsatz dürfte wie so oft auf viel Wohlwollen stoßen oder wenn Kritik geäußert wird, dann nur daran, dass die Regierung nicht genug für den Abbau der Schuldenlast tue. Doch wie kann man in der jetzigen Lage eigentlich auf die wahnsinnige Schnapsidee kommen, öffentliche Schulden tilgen zu wollen? Den handelnden Personen fehlt offenbar immer noch jedes Verständnis für die Logik.
„Wir haben den Einstieg in die Tilgung von Altschulden geschafft und wir werden weitere Schulden tilgen“, sagte Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers in der Generaldebatte über den Landesetat 2019. Dafür gab es Applaus aus den eigenen Reihen, vielleicht auch Bewunderung bei den beobachtenden Journalisten, die es eigentlich besser wissen könnten. Es gab auch Kritik, aber nicht an der Unlogik der Politik selbst, sondern an der Dosis, mit der sie betrieben wird. Der Schuldenberg ist schließlich ganz schlimm und müsse so schnell wie möglich verschwinden, vermutlich wegen der künftigen Generationen, die immer dann herhalten müssen, wenn es darum geht, die größten Albernheiten zu rechtfertigen.
Was soll man zu derlei Unsinn noch sagen. Es geht um ein Dogma, an dem jeder Aufklärungsversuch immer wieder scheitert, obwohl die Aufklärung hier nicht einmal vonnöten wäre, sondern einfach nur das Verständnis simpler Logik. Es können nicht alle sparen, so einfach ist das. Denn keine Regierung oder Partei dieser Welt kann die Tatsache widerlegen, wonach Schulden zwangsläufig etwas mit Ersparnissen zu tun haben. Wenn nun auch die niedersächsische Landesregierung beschließt, Schulden abzubauen, sogar stolz darauf ist, bleibt die Frage bestehen, wer sich denn für die neue Ersparnis des Landes verschulden soll.
Drei Möglichkeiten
Da gibt es nun drei Möglichkeiten und die entspringen keiner schwarzen düsteren Lehre aus irgendeiner schmuddeligen linken Ecke – schön wäre es ja, wenn auch eine Mehrheit der Linken etwas von Volkswirtschaft verstünde. Da wären also zum einen die privaten Haushalte. Sie könnten sich verschulden, damit das Land mehr Ersparnisse hat. Das ist aber eher unwahrscheinlich oder sagen wir mal so, wenn die Armen noch ärmer würden, könnte es zumindest den Anschein eines Sparerfolgs geben. Dafür genügt es ja schon, die öffentlichen Leistungen noch weiter zu kürzen, am besten mit Verweis auf Schuldenbremse und die künftigen Generationen, die, so will es das Dogma ja, dann irgendwie besser leben könnten.
Unterm Strich sind die privaten Haushalte aber Sparer, weil es ihnen nicht zuletzt auch ständig durch die Politik eingetrichtert wird. Das Sparen für die Altersvorsorge ist dabei nur ein Beispiel. Also: die privaten Haushalte fallen als Schuldner aus, was auch die Zahlen belegen. Bleiben die Unternehmen. Sie können sich ja verschulden, damit das Land Ersparnisse hat. Der Gedanke ist nicht abwegig, denn so war es lange Zeit. Doch inzwischen sind auch die Unternehmen nicht nur hier, sondern beinahe überall auf der Welt zu Nettosparern geworden. Ein Grund dafür ist sicherlich die mangelnde Nachfrage von Menschen, denen man erzählt, dass Sparen eine Tugend ist und höhere Löhne in jedem Fall den Aufschwung gefährden.
Das heißt, die Unternehmen schwimmen gegenwärtig im ersparten Geld, was nicht zuletzt durch die unproduktiven Kapitalflüsse auf den Finanzmärkten deutlich wird. Die öffentlichen Sparfüchse in Land- und Bundestagen hält das aber nicht davon ab, abermals Steuererleichterungen für diesen volkswirtschaftlichen Sektor in Aussicht zu stellen, in der irrigen Annahme, dies würde nun endlich zu jenen Investitionen in die Realwirtschaft führen, die es schon nach den letzten Unternehmenssteuersenkungen nicht gab. So beknackt kann man eigentlich gar nicht sein. Aber das nur am Rande.
Nun haben wir private Haushalte und Unternehmen, die allesamt Sparer sind. Wer soll sich also verschulden, damit das Land selbst auch Ersparnisse hat? Es bleiben nur die anderen Länder. Sie müssen sich verschulden, damit es hier Ersparnisse gibt. Das tun sie auch und zwar inzwischen in einem solch hohen Umfang, dass sie gerade von denen kritisiert und verspottet werden, die auf die Schulden des Auslands zwingend angewiesen sind, damit sie selbst Ersparnisse vorweisen können. Aber am Verrücktesten ist doch, diese Politik des öffentlichen Schuldenabbaus auch noch als stabile und vor allem nachhaltige Finanzpolitik in den Parlamenten hochleben zu lassen.
Keine Welt ohne Schulden
Das ist sie nicht. Der Abbau öffentlicher Schulden gefährdet die Stabilität nach innen wie nach außen. Es führt kein Weg daran vorbei. Wenn private Haushalte und Unternehmen sparen, muss der Staat die Position des Schuldners übernehmen. Es ist aber grundfalsch, dies nur dem Ausland zu überlassen, das ja auch in Zukunft die Forderungen noch bedienen können muss. Es ist daher kein Wunder, wenn der Protektionismus immer mehr an Bedeutung gewinnt. Erstmals haben sogar die G20-Staaten beim Gipfel in Buenos Aires zu Beginn des Monats auf eine Absage an den Protektionismus verzichtet, wenngleich sich die Bundesregierung hinter der vereinbarten Reform der Welthandelsorganisation versteckt.
Der Protektionismus kann gefährlich für Länder wie Deutschland werden, die permanent Leistungsbilanzüberschüsse anhäufen, also darauf vertrauen, dass andere Volkswirtschaften weiter Schulden machen. Dabei ist etwas anderes erforderlich. Die öffentliche Hand hier muss endlich mehr investieren und zwar mit neuen Krediten, statt auf die Unternehmen zu hoffen, denen man zum bislang Ersparten durch Verzicht auf weitere Steuern noch etwas dazulegt. Es ist auch geradezu unverantwortlich, die niedrigen Zinsen nicht dafür zu nutzen, die eigene, zum Teil marode Infrastruktur vergleichsweise günstig zu modernisieren. Ja, die Baukosten werden immer teurer, aber auch nur deshalb, weil die Unternehmen erst wieder Kapazitäten aufbauen müssen, die sie durch die jahrelange Zurückhaltung der öffentlichen Hände haben reduzieren müssen.
Leider fehlt auch der Opposition der erforderliche Sachverstand. Gesagt wird beispielsweise, dass die Regierung vergesse, in die Zukunft des Landes zu investieren. Das ist zweifelsohne richtig. Die Alternativvorschläge sind jedoch genauso vom Geist schwarzer Nullen und der Schuldenbremse infiziert. Sie taugen daher nicht, die chronische Unterfinanzierung bei Krankenhäusern und Pflege, Schulen und Wissenschaft, Polizei und Justiz, kurz des Gemeinwohls zu beseitigen. Und so bleibt es bei der Tendenz, dass vor allem an der öffentlichen Daseinsvorsorge weiterhin gespart wird, während einige wenige immer obszönere Privatvermögen ansammeln können. Wer die soziale Frage und die immer ungleichere Verteilung der Vermögen durch das Dogma des Schuldenabbaus derart aus dem Blick verliert, darf sich über Proteste, wie sie derzeit in Frankreich zu beobachten sind, nicht wundern.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.