Die Schwarz-Grüne Mehrheit steht. Wie von Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten vorausgesagt, hat der innerparteiliche Wettbewerb um die Spitzenkandidatur bei der CDU zu einem positiven Auftrieb in den Umfragen geführt. Nur einen Monat hat das gedauert und die CDU steht wieder bei 30 Prozent, zumindest im Augenblick. Da können die Kandidaten noch so langweilig und austauschbar sein. Wenn der politische Gegner pennt, ist es eben leicht.
Während Juso-Naivling Kevin Kühnert Personaldebatten in seiner Partei immer noch für völlig unnötig hält, gewinnt die CDU mit drei gleichen Kandidaten, die so tun, als unterschieden sie sich voneinander, bei den Wählern offenbar hinzu. Zudem berichten alle Medien vom Huldigungs-Parteitag live. Der große Abschied. Dabei sitzt Merkel als Kanzlerin fest im Sattel, ist sogar laut Deutschlandtrend die Politikerin, mit der die Menschen am zufriedensten sind. Andrea Nahles dagegen wird immer unbeliebter.
Was bleibt, ist die Liebe zur eigenen Arroganz, die sich vor allem im schäbigen Nachtreten gegen jene äußert, die man noch als Sozialdemokraten bezeichnen kann. Von den Jusos ist derweil keine Wende oder irgendein Impuls zu erwarten. Dieser Haufen debattiert lieber über reichlich belanglosen Kram. Und so muss die Parteiführung auch kaum Widerstände fürchten, wenn sie schon wieder Ankündigung an Ankündigung reiht.
Taktische Übertreibung für die neoliberale Agenda
Die Durchsetzung der neoliberalen Agenda wird dadurch nur noch einfacher. Was ist denn wohl der Vorteil, wenn man mit dem Thema Aktien als Altersvorsorge negative Schlagzeilen macht? Die längst in Gang gekommene Privatisierung der Rente ist plötzlich nicht mehr so präsent oder erscheint als vergleichsweise harmlos. So will doch gerade die SPD mit dem Dreisäulenmodell die kapitalgedeckte Altersvorsorge weiter fördern und ausbauen, echauffiert sich aber in Gestalt von Generalsekretär Lars Klingbeil über die „Privatisierungsfantasien der CDU“.
Wir sind gerade dabei, die gesetzliche #Rente zu stärken. Das ist der richtige Weg. Nicht die Privatisierungsfantasien der #CDU. #Merz pic.twitter.com/2zlXzGLrzz
— Lars Klingbeil 🇪🇺 (@larsklingbeil) 3. Dezember 2018
In Wirklichkeit liefert der Vorschlag von Merz eine bewusste Übertreibung, die notwendig ist, um die Bereitschaft für die weitere Privatisierung von öffentlichen Leistungen mit anderen Mitteln zu erhöhen. Dank Merz kann zum Beispiel ein Marcel Fratzscher mit dem seriös klingenden Vorschlag eines Deutschlandfonds plötzlich wie Kai aus der Kiste springen.
Manche entgegnen Merz, dass die gesetzliche Rente allein eine Absicherung für das Alter sein kann. Das ist falsch. Die Politik muss den Menschen endlich reinen Wein einschenken und ihnen ehrlich sagen, dass die gesetzliche Rente für die große Mehrheit nicht auskömmlich ist […]
Es ist dringend an der Zeit, die private Vorsorge in Deutschland zu stärken. Dazu muss der Staat Geld ausgeben und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.
Das passt ins Bild. Denn Fratzscher hatte im Auftrag des ehemaligen SPD-Vorsitzenden und damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel bereits vorgeschlagen, die Infrastruktur des Landes als Anlageobjekt für private Investoren zu öffnen. Die Vorbereitungen zur Umsetzung dieses Plans sind weitestgehend abgeschlossen und zwar durch die Grundgesetzänderungen der letzten Großen Koalition, die eine Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und die Gründung einer Autobahngesellschaft erlauben.
Weitere Grundgesetzänderung
Allerdings musste der Bund auf Anraten des Bundespräsidialamtes noch einmal nachbessern und eine weitere Änderung des Grundgesetzes in dieser Legislaturperiode beschließen. Das geschah weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit letzte Woche unter dem Stichwort „Digitalpakt Schule“. In dem Gesetzespaket war auch eine Anpassung des Artikels 143e enthalten, der es den Ländern künftig ermöglicht, Bauprojekte auf Antrag auch in eigener Regie zu übernehmen. Damit werde eine im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen eingeführte einfachgesetzliche Regelung für die Bundesautobahnen verfassungsrechtlich abgesichert.
Das ist im Prinzip nur eine redaktionelle Korrektur. Doch was hinter der gesamten Reform der Bundesfernstraßenverwaltung mit neuem Fernstraßen-Bundesamt (FBA) und der gerade neu gegründeten Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen (IGA) steckt, nämlich die Schaffung attraktiver Anlagemöglichkeiten, wird leider nicht mehr sonderlich prominent diskutiert. So sind die ersten Beratungsfirmen wie Roland Berger durch das Bundesverkehrsministerium in diesem Jahr bereits mit Aufträgen versorgt worden, um den Aufbau der zentralen Autobahngesellschaft beratend zu begleiten.
Es gilt auch als wahrscheinlich, dass mit der Neuordnung das Prinzip der öffentlich-privaten Partnerschaften weiter gepflegt und ausgebaut werden wird. Beratungsunternehmen, Banken, Versicherungen und Rechtsanwaltskanzleien dürften sich ob der rosigen Aussichten weiterhin die Hände reiben. Und was beispielsweise bei der A1 mobil oder Toll Collect schon schiefgegangen war, wird einfach mit Ansage wiederholt. Dennoch ist überall von einer Erneuerung die Rede, bei der es in Wirklichkeit jedoch bloß um Formulierungen geht, die das „Weiter so“ umschreiben.
Chance mal wieder verpasst
So richtig die Empörung über die Aussagen von Friedrich Merz ist, so enttäuschend sind die bisherigen Reaktionen. Merz hatte das Aktiensparen schon bei seiner Auftaktpressekonferenz Ende Oktober angekündigt. Damals interessierte das aber kaum jemanden, weil sie alle so fasziniert von der Erscheinung waren. Nun passt die Aufregung den Kritikern ganz gut in den Kram, um von ihrer wohlwollenden Einstellung zum Neoliberalismus und zu Privatisierungen weiter abzulenken. Denn würden sie gegen den Neoliberalismus aktiv vorgehen, könnten sie vermutlich auch Wahlen gewinnen.
In Frankreich machen sie gerade Revolution mit Forderungen die klar benannt worden sind und für die es sich aufzustehen lohnt. Doch Deutschland schaut nicht nach Paris, sondern lieber nach Hamburg auf einen Parteitag der CDU, auf dem es eigentlich nur Applaus für das Vortragen von Floskeln gibt. Zu sehen gibt es hier nichts von Belang, wenn man einmal von den albernen Tischwahlkabinen absieht, die doch extra fürs Fernsehen im Konrad-Adenauer-Haus erfunden worden sind. Ansonsten gilt, was Jens Berger schon schrieb:
Die Medien scheinen vielmehr endgültig Opfer ihrer eigenen Fehl-Assoziationen geworden zu sein. Wer Merkels Politik derart abstrus falsch darstellt und dabei ein Image aufgebaut hat, das mit der Realität nur sehr wenig zu tun hat, muss natürlich auch daran scheitern, wenn nun drei inhaltlich kaum zu unterscheidende Kandidaten anhand dieses Zerrbilds vermessen werden sollen.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.