Die ganze Debatte um Hartz IV und das bedingungslose Grundeinkommen krankt an dem falschen Eindruck, Menschen würden es lieber vorziehen, in einer sozialen Hängematte zu liegen. Dieses absurde Bild haben die Agenda-Befürworter einst erfolgreich in die Hirne gepflanzt, um das Prinzip des Förderns und Forderns als notwendig erscheinen zu lassen. Heute wird nur noch in diesem Begriffspaar gedacht. Als Abwandlung ist später sogar die Formel „Solidarität nur gegen Solidität“ entstanden, die in der Eurozone mit scharfer Präzision zur Anwendung kommt, um hier eine dogmatische Politik zu exekutieren, bei der die Demokratie in den Mitgliedstaaten regelrecht hintanstehen muss. Fördern und Fordern ist die moderne Waffe des Neoliberalismus und sie wird auch von den Linken benutzt.
Auch in Europa herrscht das Bild vor, die Südländer würden nur faul in der Hängematte herumliegen und das Geld des Nordens sinnlos zum Fenster hinauswerfen. Nichts von alldem stimmt. Trotzdem müssten diese Länder auf den Pfad der Tugend gezwungen werden, notfalls durch die Macht der Märkte. Die Marktkonforme Demokratie: Vor ein paar Jahren löste diese Äußerung der Kanzlerin noch Empörung aus, heute gehört sie zum Standardrepertoire von sogar vermeintlich progressiven Stimmen. Schlimm ist, dass linke Kräfte auf die neoliberale Begriffswelt einmal mehr hereingefallen sind und solche Dinge wie das bedingungslose Grundeinkommen plötzlich als eine tolle Sache willkommen heißen.
Zu dieser Vorstellung kann aber nur der kommen, der fest an das Prinzip des Förderns und Forderns glaubt, also der Meinung ist, dass Menschen eigentlich gar nicht arbeiten wollen und es daher legitim erscheint, sie gegen ihren Willen zu etwas oder allem zu zwingen, wenn sie denn Leistungen der Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen. Die Linke will diese Menschen nun befreien, so scheint es jedenfalls. Die Menschen brauchen aber keine Befreiung, sondern Anerkennung durch würdevolle Arbeit und Löhne, die eben nicht bloß zum Leben reichen, sondern die Teilhabe ermöglichen. Teilhabe und Wohlstand. Begriffe, die es im Denken der Linken offenbar nicht mehr gibt. Das ist aber der Deal oder wenn man so will, der Sinn des contrat social, also des Zusammenlebens in einem Staat.
Wie war es nur vor der Agenda 2010? Ein flächendeckender Sozialstaatsmissbrauch? Natürlich. In der Bildzeitung ist er doch dokumentiert. Arno Dübel und Florida Rolf. Alberne Einzelfälle, die zu Gesetzesänderungen und Stigmatisierung von all jenen führten, die gerade oder schon ziemlich lange keinen Job mehr hatten. Vor dieser Boulevardisierung des Diskurses hat man noch über wissenschaftliche Begriffe wie Reservearmee nachgedacht. Also einen gewollten Zustand der Erwerbslosigkeit, verursacht durch die herrschenden Kreise und nicht durch die Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Aber ihnen die Schuld an ihrer Lage zu geben, das war die Aufgabe der sogenannten Reformpolitik unter Rot-Grün. Bild, Bams und Glotze taten ihr Übriges dazu. Das Ergebnis war ja zu verlockend. Eine weitere massive Schwächung der Arbeitnehmerschaft durch Hartz IV.
Begonnen hatte diese Schwächung schon viel früher. Das Wirken Lambsdorffs bis hin zu seinem Papier wird dabei genannt. Der linke Kurzschluss bestand damals wie heute nun darin, auf die Naturwüchsigkeit hereinzufallen, also auf eine scheinbare Gesetzmäßigkeit, die aber von den Monetaristen bewusst herbeigeführt worden ist und daher selbstverständlich veränderbar und korrigierbar bleibt. Die Linke durchschaut diese Entwicklung aber nicht und kommt zwangsläufig zu dem Schluss, dass das ganze System gescheitert sein muss. Dadurch wird aber nur das geschaffene Elend akzeptiert (wem nützt das wohl?) und heute so ein Unfug wie das Grundeinkommen erfunden, das Linderung verspricht. Was für ein Stuss. Nicht der Kapitalismus ist Schuld, sondern die Kapitalisten, die Krisen bewusst erzeugen und dank einer naiven Linken weiter ihre Profite erhöhen.
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.