Nachdem Angela Merkel ihren Verzicht auf den Vorsitz der CDU erklärt hat, schlägt die Stunde der Legendenbilder. Die noch handelnden Personen erzählen die Geschichte plötzlich ganz anders. So behauptet Alexander Dobrindt, die Verhandlungen zu Jamaika im letzten Jahr seien nicht an Christian Lindner, sondern an Angela Merkel gescheitert. Das ist ein Versuch der Imagekorrektur, um die davongelaufene FDP mit ihrem mutlosen Vorsitzenden wieder ins Spiel zu bringen.
Das Ziel der Jamaika-Verhandlungen war, diese irgendwie zum Scheitern zu bringen. Regieren wollten nur die Grünen zusammen mit Angela Merkel. Insofern stimmt der Eindruck schon, dass der Kanzlerin Schwarz-Grün lieber gewesen wäre. Was jetzt aber von Dobrindt und Lindner daraus gemacht wird, ist eine große Verklärung der Ereignisse.
Gescheiterte Pläne
Lindner hat sich nie getraut, laut die Ablösung der Gottkanzlerin zu fordern. Das wäre damals aber strategisch klug gewesen. Er hätte dann immer noch sagen können, wir regieren nicht mit, weil Merkel als Wahlverliererin unbedingt weiter Kanzlerin bleiben will und damit einem Politikwechsel im Weg stünde. Das wäre glaubhafter gewesen, als der Quatsch mit dem Satz vom falschen Regieren, der nur nötig wurde, da sich die Grünen von Dobrindt mit Rückendeckung der Liberalen nicht vertreiben ließen.
Die Grünen hingegen hatten nie ein Problem mit der Gottkanzlerin. Sie ließen sich von Kettenhund Dobrindt über Wochen hinweg blutig beißen, es war ihnen egal. Sie waren und sind immer noch bereit, ihre Überzeugungen zu opfern, nur um mitregieren zu dürfen. Niemand wollte öffentlich an der Gottkanzlerin rütteln, obwohl die ein jämmerliches Ergebnis für die Union eingefahren hatte und zudem noch erklärte, dass sie nicht wüsste, was sie hätte anders machen sollen. Jetzt tun die Buddies Lindner und Dobrindt aber so, als wäre alles ganz anders gewesen, um zu vertuschen, dass ihr eigentlicher Plan, die Grünen zu vertreiben, gescheitert war.
Nach dem Wahlergebnis am 24. September hofften ja alle auf etwas ganz anderes, nämlich auf die Neuauflage der Großen Koalition. Diese war zwischen den führenden Köpfen von Union und SPD auch fest vereinbart worden, sofern die SPD ihre 23 Prozent plus X erzielt hätte. Thomas Oppermann, man muss daran noch einmal erinnern, hatte das in einer Lanz-Sendung nach der Wahl ja auch zugegeben. Da die SPD aber bei nur noch 20,5 Prozent landete, verführte der bekannte Panikmodus dazu, das Ende aller Regierungsgeschäfte zu erklären. Dafür gab es dann auch den erhofften Jubel von den Naivlingen wie Kevin Kühnert und Co.
Die Rechnung der Parteispitze ging auf. Sie war gerettet, während Merkel in der Elefantenrunde noch darum bettelte, die SPD möge eine Nacht darüber schlafen und dann zur vereinbarten Neuauflage der GroKo stehen. Ihr war wohl klar, dass es mit Jamaika schwierig werden würde, weil die CSU mit den Grünen nicht konnte und die FDP unter keinen Umständen wieder bloß ein Anhängsel von Merkel sein wollte, was letztlich mit dem Auszug aus dem Deutschen Bundestag bestraft wurde. Grüne und FDP taten auch überrascht, als es plötzlich hieß, die SPD mache nicht mehr mit. Wer die Talkrunden aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass sich Kubicki und Göring-Eckhardt eigentlich nur über das Verhalten der SPD beklagten.
Die SPD ist raus
Nun wird von Dobrindt behauptet, an der Frage des Solidaritätszuschlages sei Jamaika gescheitert. Damit übernimmt der CSU-Landesgruppenchef eine Legende der FDP, die ihren Rückzug aus den Verhandlungen immer damit erklärt hatte, dass ihnen nur das Wahlprogramm der Union vorgelegt worden sei. Richtig ist, dass genau in dieser Frage des Solidaritätszuschlages bis zuletzt weitreichende Angebote an die Liberalen gemacht worden waren. Statt vier Milliarden Euro Entlastung, wie im Wahlprogramm der CDU gefordert, hätten es bis zu 13 Milliarden sein dürfen. Am Soli hat es also nicht gelegen.
Der Rückzug von Merkel ändert nun einiges. Die FDP wittert ihre Chance und bietet plötzlich sogar eine Tolerierung von Schwarz-Grün an. Es ist der Versuch, aus dem Abseits herauszukommen, in dem AfD und FDP kaum noch voneinander zu unterscheiden sind. Nun fordert Lindner auch den Verzicht von Merkel aufs Kanzleramt. Dafür wäre er bereit, sogar Schwarz-Grün zu unterstützen. So ganz logisch ist das aber nicht, zumal er Merkel gleichzeitig vorwirft, sie hätte 2017 nur Schwarz-Grün mit den Stimmen der FDP bilden wollen. Nun bietet Lindner dasselbe Modell als „konstruktive Begleitung“ an. Was wäre also anders?
Nun ja, die SPD ist raus. Sie wird nicht mehr gebraucht. Selbst eine Drohung, die GroKo jetzt oder irgendwann zu verlassen, verpufft angesichts der aktuellen Ereignisse. Die Bild-Zeitung hat bereits das Duell der Merkel-Gegner ausgerufen. Es sind mit Merz und Spahn aber zwei CDU-Politiker. Als Merkel-Befürworter gelten ja die Sozialdemokraten, die sie immer wieder zur Kanzlerin wählten. Sie müssen im Grunde auf Annegret Kramp-Karrenbauer hoffen, damit die GroKo noch ein wenig länger Bestand hat.
Doch eigentlich spielt das keine Rolle mehr. Nun geht es nur noch um das „Danach“. Die Personaldebatte innerhalb der Union wird, wie von den Spin-Doktoren gewünscht, als positiver Wettbewerb verstanden und verkauft, von dem die Union als Ganzes profitiert. Da wird sogar die Strategie einer Erneuerung aufgehen, obwohl ganz klar eine Verschärfung der neoliberalen Agenda droht. Friedrich Merz meint beispielsweise, dass man der gesellschaftlichen Spaltung am besten dadurch begegne, indem mehr Menschen zu Aktionären würden.
Für den Grabstein
Er sagt das in dem Moment, als bekannt wird, dass in Deutschland immer noch rund 15,5 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Erforderlich wäre also ein ganz andere Politik, für die eine SPD mal gestanden hat. Doch die ist nur noch damit beschäftigt, sich irgendwie in dieser Großen Koalition zu halten. Sie fordert mal wieder einen Mindestlohn von 12 Euro, um dann im Kabinett einen viel niedrigeren Kompromiss zu verabschieden. Noch schlimmer ist es bei der Rentenpolitik. Die Sicherung eines Armutsniveaus, das es überhaupt nur wegen der schlimmen Agenda 2010 gibt, wird als „sich auf den Ruhestand freuen“ verkauft. Auf dem Grabstein der SPD wird vermutlich einmal stehen:
„Von Merkel immer für die Agenda 2010 gelobt.“
R.I.P.
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.