Die SPD-Führung macht einfach weiter wie bisher. Im Prinzip habe man in der Regierung auch alles richtig gemacht, aber das vermittelte Bild nach außen sei halt katastrophal. Man müsse jetzt endlich klarer werden, was wohl heißt, dass man den „Erneuerungsprozess“, den man selbst eingeleitet und immer wieder in die Länge gezogen hat, zum Abschluss bringen will. Mehr Tempo soll es geben. Was da aber konkret herauskommen soll, ist schon länger bekannt.
Auf jeden Fall keine Aufarbeitung der bisherigen Fehler und mit Sicherheit kein Politikwechsel samt Austausch der Parteiführung. Generalsekretär Lars Klingbeil wird beispielsweise mit dem Satz zitiert: In der Sozialstaatspolitik hänge und streite man zu sehr über die Vergangenheit. Mit anderen Worten: Ihn langweilt das Gerede über Hartz IV. Das kennen wir schon. Im Übrigen halte er eine Diskussion über die Parteichefin Andrea Nahles für falsch. Andere sind da konsequenter.
Die SPD kehrt lieber zum alten Erklärungsmuster zurück. So bestehe ein massives Kommunikationsproblem. Wegen der anhaltenden Konflikte innerhalb der Großen Koalition, für die man selbst gar nichts könne („Wir erwarten von der Union, dass sie ihre inhaltlichen und personellen Konflikte schnell löst und zwar in einer Weise, dass die Regierungsarbeit dabei nicht belastet wird.“), würde eine gute sozialdemokratisch geprägte Politik überlagert.
So ähnlich fällt der Wortlaut des Fahrplans aus, den die Parteiführung um Andrea Nahles heute in die Parteigremien gereicht hat. „Sozialdemokratische Politik für ein solidarisches Land prägt die Tagesordnung des Deutschen Bundestages. So soll es sein.“ Man lobt sich also wieder selbst, um die Kritik zu entkräften, die an den handelnden Personen festgemacht werden könnte.
Rudolf Dreßler hat das nach der Landtagswahl in Bayern getan und gesagt:
„Das Schlimmste am Sonntagabend nach der Wahl an Erklärungen der SPD war: ‚Der Streit zwischen CDU und CSU hat unser Wahlergebnis ausgemacht‘. Für wie bescheuert muss man den Wähler halten, ihm so einen Unfug vorzulegen!“
Offenbar für ziemlich bescheuert, wie auch die Reaktion der Parteiführung nach der Landtagswahl in Hessen zeigt. Personelle Konsequenzen sind bei der SPD ausgeschlossen, wie Nahles in dem Moment klar macht als bekannt wird, dass Angela Merkel auf den Parteivorsitz der CDU verzichten würde. Inzwischen gibt es dort zahlreiche Bewerbungen. Merz, Kramp-Karrenbauer und Spahn wollen den Vorsitz übernehmen.
Das wirkt schon reichlich komisch. In der SPD muss sich was ändern, hatte Nahles gestern und heute noch gefordert, um dann einen Fahrplan anzukündigen, nach dem die Züge, in die die Menschen schon lange nicht mehr einsteigen wollen, immer noch in die gleiche Richtung fahren. Gehandelt wird dagegen in der CDU, die möglicherweise noch vor der SPD die Kurve kriegt. Es wird ja immer davon geredet, dass die SPD die GroKo verlassen könne. Das tun die Sozialdemokraten aber nicht. Vielleicht ist es dann ja genau andersherum und die Union macht irgendwann Schluss, weil die klammernde SPD einfach nicht mehr gebraucht wird.
Tagesordnung sieht weiterhin die neoliberale Agenda vor
Den Zeitpunkt des Bruches wollen die Konservativen aber selbst bestimmen, was Merkel auch deutlich gemacht hat, indem sie darauf pochte, dass die SPD bis zum Ende der Legislaturperiode gefälligst an der Seite der Union zu bleiben hat. Danach kann die Partei mit ihrer langen Geschichte und Tradition, was führende Sozialdemokraten immer wieder gerne betonen, zum Sterben von Muttis Rockzipfel gehen.
Jedenfalls dürfte das Manöver von Merkel der Union eher nutzen. So gesteht die Vorsitzende ihrer Partei ein Demokratiespiel zu, an dem sich die Mitglieder nun „erfreuen“ können. Nicht nur die, denn die gesamte Republik wird in den kommenden sechs Wochen mit der Frage beschäftigt sein, wer die Merkel-Nachfolge an der Spitze der CDU wohl antreten wird. Das hat Panik-Potenzial. Dabei ist viel interessanter, was im Bundestag auf der Tagesordnung steht. Ab dem 7. November geht es unter der Kuppel ja wieder los.
Da wird zum Beispiel über die Rente gesprochen und einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der aber kaum mehr enthält, als die Zusicherung für viele, im Alter auch garantiert in der Altersarmut zu landen. Gesprochen wird auch über ein Familienentlastungsgesetz, dass aber eher die Wohlhabenden beschenkt. So haben Familien, die Hartz IV beziehen nichts von einer Erhöhung des Kindergeldes, Spitzenverdiener profitieren dagegen durch die Anhebung des Kinderfreibetrags mit bis zu 182 Euro pro Kind und Jahr. Sozial gerecht, nennt das vermutlich die SPD.
Gerecht scheinen die Sozialdemokraten auch die Tatsache zu finden, dass die geplanten Entlastungen bei der kalten Progression den höheren Einkommen deutlich stärker zugute kommen. Nun könnte man sagen, wer mehr verdient, soll eben auch mehr haben. Nur wenn die Steuerlast für die oberen 30 Prozent der Haushalte in den letzten 20 Jahren immer wieder gesenkt und die für die unteren 70 Prozent ständig erhöht worden ist, entsteht ein weiteres Glaubwürdigkeitsproblem für eine Partei, die vorgibt, sich um den Sozialstaat von morgen Gedanken machen zu wollen.
Angsthasen halten am Fahrplan fest
In den Sachfragen herrscht nach wie vor große Einigkeit. Da gibt es ja keinen Streit, der angeblich die Ursache für schlechte Wahlergebnisse gewesen sein soll. Ob bei den sozialen Fragen wie Rente und Pflege, bei Umweltthemen wie Diesel und Kohle oder in der Außenpolitik, bei der die SPD nun auch das Erbe ihrer Entspannungspolitik geopfert hat. All das eint die Große Koalition. Merkels Restlaufzeit als Kanzlerin dürfte bis auf weiteres gesichert sein, weil nun auch viel Bewunderung für ihre Entscheidung zu vernehmen ist. Die Grünen waren schon eifrig dabei, die SPD zog nach, siehe weiter unten.
Den Superlativ beansprucht Merkel sowieso für sich. „Ich bin mir bewusst, dass dieses Vorgehen in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel ist.“ Ein Satz, der für sich genommen schon wie ein Denkmal klingt. Das ist anmaßend. Doch Merkels Erklärung hinterließ auch den souveräneren Eindruck. Nahles und Klingbeil wirkten im Vergleich dazu eher wie Angsthasen, die mit dem x-ten Beschwichtigungsversuch um die Ecke kamen und wieder so tun, als würde es eine erneute Ankündigung zum Neustart der GroKo schon richten. Zu befürchten ist aber, dass nur die Union und andere Parteien am Ende profitieren.
Die SPD hilft dabei jedenfalls nach Kräften gern. So lobte auch Nahles die scheidende CDU-Chefin über den grünen Klee. Der eigene Fahrplan verkam dabei noch mehr zur Groteske. Man wolle auch nicht mehr so aufs Tempo drücken, sondern Rücksicht auf die Befindlichkeiten der CDU nehmen, die zunächst ihre Dinge ordnen müsse. Der Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn am 9. Dezember dürfte ohnehin viel spannender sein, als das, was die SPD-Spitze da zu Papier gebracht hat. Grundlegende Klärungen erzielen und intensive Gespräche über das Erscheinungsbild der Großen Koalition führen, wer findet das eigentlich nicht total lächerlich?
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.