Seit der Landtagswahl in Bayern befinden sich Teile der Republik in Aufruhr. Also hauptsächlich Politiker und Medien. Es werden tiefgründige Analysen und personelle Konsequenzen angekündigt, was soviel heißt, dass gar nichts weiter passieren wird. Die Devise lautet, die Sache aussitzen und die Leute ins Koma monologisieren (ein schwaches Verb), wie CSU-Parteichef Horst Seehofer in dieser Woche in der Bundespressekonferenz eindrucksvoll demonstrierte.
Am merkwürdigsten ist aber das Verhalten einiger Medien, die in ihrer Naivität, ob gespielt oder nicht, sogar auf bekannte leere Drohungen führender Sozialdemokraten hereinfallen.
So wird beispielsweise Fliegenmann Karl Lauterbach mit dem Satz zitiert: „Wenn es nicht besser wird, hallo, dann machen wir auch nicht weiter.“ Wie muss man das jetzt verstehen? Als Drohung? Natürlich nicht, das kann man schließlich auch im Original nachhören. Die Andeutung ist aber wichtig, weil sie prima als Beruhigungspille für Kevin und die Basis taugt, die über die Große Koalition schon wieder laut am Mosern sind. Es ist verwunderlich, dass die Politikredakteure großer Medienhäuser dieses durchschaubare Manöver nicht erkennen. Dabei ist das gar nicht neu.
Beruhigungspillen
Vor fast genau einem Jahr am 24. September entschied sich die SPD-Parteispitze eine Minute nach 6 Uhr abends dazu, in die Opposition zu gehen. Da brandete spontaner Jubel im Willy-Brandt-Haus und mutmaßlich auch daheim an den Rundfunkempfängern auf. „Das Ergebnis ist eine klare Absage an die Große Koalition. Wir werden den Oppositionsauftrag der Wähler annehmen. Es gibt keine Hintertür… Ach so. An der Parteispitze ändert sich nichts und alle anderen behalten wegen ihrer tollen Verdienste selbstverständlich ihre Posten. Danke und auf Wiedersehen.“
So ist es in etwa abgelaufen. Heute regiert die SPD wieder mit, mit den gleichen Leuten wie vorher, bis auf einige, die sich zu dämlich anstellten. Es waren halt schwierige Umstände. Konnte ja keiner ahnen, dass sich Posterboy Lindner mit der frischen Luft auf dem Balkon zufrieden geben würde und sich dann mit Verweis auf die „staatspolitische Verantwortung“ vom Acker macht. Moment mal, dass war doch unser Text, beschwerte sich die SPD, deren Mitglieder mehrheitlich erneut für Merkel und auch Seehofer stimmten, dem die SPD-Oberen sogar ein Superministerium zuschussterten, nur damit Olaf Scholz als neuer Finanzminister aus der schwarzen eine rote Null machen darf.
Sprachliche Brocken
Damit die Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmten, baute die SPD-Führung eine Bestandsaufnahmeklausel nach der Hälfte der Legislaturperiode ein. Auch das kann man naiver Weise als eine „Drohung“ auffassen, nach dem Motto des Fliegenmannes: „Wenn es nicht besser wird, hallo, dann machen wir auch nicht weiter.“ Ziel all dieser sprachlichen Brocken ist aber eben nicht, die Konsequenzen zu ziehen, sondern die Disziplinierung. Die Basis soll das Maul halten. Oder wie der Chefanalytiker der SPD, Johannes Kahrs zum Thema ätzte:
„Das ganze Gerede über den Rückzug aus der Großen Koalition und die Ablösung des Spitzenpersonals nervt nicht nur mich gewaltig, sondern die meisten Wählerinnen und Wähler.“
Ist das so? Einer Überprüfung hält diese kühne Behauptung jedenfalls nicht stand. Klarer kann das Ergebnis gar nicht ausfallen. Die Wähler sind wohl eher genervt von einer SPD, die nur mit Sprachbrocken über soziale Gerechtigkeit regiert, konkret aber jede neoliberale Schweinerei mitträgt, deren Folgen sie hinterher unter empörter Schuldabweisung laut bejammert.
Kahrs meint aber weiter: „Ich finde es unglaublich, wie hier mit unserem politischen Personal umgegangenen wird.“ Richtig. Das ist noch viel zu milde.
Phantom Neuwahlen
Da aber der Einfluss von Leuten wie Kahrs in der SPD trotz ihres Auftretens immer noch bedeutend ist, wird es logischerweise auch keine vorzeitige Aufkündigung der Großen Koalition geben. Dennoch tun einige Journalisten wieder so, als stünde die Koalition kurz vor ihrem Ende und Neuwahlen unmittelbar bevor. Oder sie meinen, dass sich die SPD zumindest auf Neuwahlen vorbereiten müsse. So ein Quatsch. Seit wann bedeutet ein Austritt aus einer Koalition automatisch Neuwahlen? Merkel ist schließlich vom Bundestag gewählt und könnte auch ohne Mehrheit weiterregieren. Es sei denn, ein konstruktives Misstrauensvotum führte zum Erfolg. Aber auch dann bräuchte es keine Neuwahlen.
Die kann es überhaupt nur dann geben, wenn die Kanzlerin eine Vertrauensfrage stellt und verliert. Aber auch in diesem Fall muss der Bundespräsident das Parlament nicht auflösen, wenn er das für richtig hält. Der Bundestag ist immer handlungsfähig, die Regierung auch. Das ist ja gerade die Stärke dieser Demokratie, die allerdings auf einer Verfassung fußt, die immer häufiger auch von ihren Repräsentanten mit Füßen getreten wird. Das haben schon andere Kanzler mit ihren fingierten Vertrauensfragen bewiesen, die aber nachträglich vom Verfassungsgericht toleriert wurden, um den Preis einer Schwächung des Parlaments.
Doch von echten und unechten Vertrauensfragen oder gar einem Koalitionsbruch ist diese Regierung weit entfernt. Sollte Merkel mal eine Abstimmung verlieren, würde sie vermutlich sagen: „Das ist eine Stunde der Demokratie, in der gibt es auch Niederlagen, und da gibt es auch nichts zu beschönigen, aber jetzt arbeiten wir erfolgreich weiter, herzlichen Dank.“ Vielleicht erkennen die Medien ja irgendwann, dass der für eine Demokratie notwendige Politikwechsel nur dann eine Chance auf Erfolg hat, wenn man die Regierung endlich einmal für das Festhalten am neoliberalen Dogma zur Rechenschaft zieht. Kindische Aufgeregtheiten, die zwar viele Klicks generieren, aber wenig Aufklärung bieten, taugen dagegen nichts.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.