Angela Merkel hat gestern mit Volker Kauder ihren treuesten Paladin verloren, schreibt Gabor Steingart in seinem Morning Briefing. Koalition ohne Zukunft, meint er. Die Wahl von Brinkhaus sei mehr als nur ein Stottern in Merkels Machtmaschine, da sich die Fraktion in einer der wichtigsten Fragen gegen die Kanzlerin gewandt habe, ergänzt Spiegel Online das morgendliche Kaffeesatzgeschwätz.
Eine Sensation ist die Wahl von Ralph Brinkhaus zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber nur auf den ersten Blick. Die Überraschung könnte ja auch gemacht und Teil einer Strategie zum Machterhalt sein, da herbe Wahlniederlagen absehbar sind. Ganz nebenbei wird aber eine große wie unverschämte Unternehmenssteuersenkung vorbereitet. Das ist der eigentliche Skandal.
Seit längerem ist klar, dass CDU, CSU und SPD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen deutliche Verluste werden hinnehmen müssen. Das war aber auch schon absehbar, als sich die drei Parteien zu einer Neuauflage der Großen Koalition im Bund verständigten. Aus diesem Grund startete die SPD parallel einen Erneuerungsprozess, der bislang kaum über den Status einer Beschäftigungstherapie für interessierte Mitglieder hinausgekommen ist. Die Union machte etwas Ähnliches und begann mit der Ausarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms, das 2021 fertiggestellt werden soll. Union wie auch SPD betonen den innerparteilichen Diskussionsprozess und adeln das Verfahren als urdemokratische Angelegenheit.
Dieser Prozess dient allerdings nur dazu, den Wahlverlierern neue Bewegungsfreiheit zu verschaffen, damit die das Regierungsgeschäft mehr oder weniger unbehelligt erledigen können. Die Strategie des Machterhalts fordert aber auch ihre Opfer, die unter Wahrung einer möglichst breiten öffentlichen Aufmerksamkeit zur Schlachtbankattrappe geführt werden. Attrappe deshalb, weil am Ende meist eine Beförderung dabei herausspringt. Wie die jüngsten Beispiele Maaßen und Kauder nun zeigen, geht die Rechnung auch auf. An den großen inhaltlichen Übereinstimmungen bei Sachthemen gibt es dagegen kaum ein öffentliches Interesse. Sie stehen aber für die Stabilität des Bündnisses, das nach außen Turbulenzen bloß simuliert.
Die Turbulenzen gibt es sicherlich. Die Frage ist nur, sind sie gewollt oder ungewollt. Würde die Sacharbeit unter den Turbulenzen leiden, wäre das ein Indiz für den tatsächlichen Zerfall der Koalition. Leidet die Sacharbeit hingegen nicht, was derzeit der Fall ist, ist das Bündnis auch nach wie vor stabil. Inszenierte Turbulenzen können eine Funktion erfüllen und zwar den Erneuerungsprozess nachzuholen oder nachzuahmen, der bislang ausgeblieben ist. Gelingt es, den Eindruck des Neuen zu vermitteln, was durch einen Wechsel nach 13 Jahren Fraktionsführung durchaus plausibel klingt, könnte das als Argument für die Fortsetzung der Regierung benutzt werden, auch dann, wenn es weitere Wahlniederlagen gibt.
Die Begrifflichkeiten und Formulierungen weisen auf die Strategie bereits hin. Merkel sprach bei der Wahl von Brinkhaus von einer Stunde der Demokratie, in der es auch Niederlagen geben könne. In der Causa Maaßen sprach sie von einem Irrtum und Fehlern, die gemacht worden seien. Hat sie und ihre Regierung nun an Macht verloren? Auf den ersten Blick soll das wohl so erscheinen. Das Manöver könnte aber gerade auch dem Zweck des Machterhalts dienen, wie die Äußerungen von Dritten zeigen, die in dem Eingestehen von Fehlern eine starke Tugend zu erkennen glauben. Zumindest im Augenblick geht die Strategie demnach auf, da die Zusammenarbeit in der Regierung funktioniert und es deshalb keinen Grund für die Parteispitzen gibt, die Brocken einfach hinzuwerfen.
Empörungstheater dient der Tarnung
Ein parallel veranstaltetes Empörungstheater taugt dabei gut als Tarnung. Doch die Argumente der Empörten sind denkbar schwach. Sie sehen einen Machtverlust der Kanzlerin ausgerechnet darin, dass eine Fraktion ihren eigenen Willen bekundet. Soll das nicht eigentlich auch so sein? Soll die Regierung etwa nicht das Parlament überzeugen und umgekehrt das Parlament die Regierung kontrollieren? Nun ist es aber mitnichten so, dass Ralph Brinkhaus eine Art Opposition zu Merkel darstellt. Im Gegenteil, er gehört eigentlich zu ihren treuesten Unterstützern. Das jetzt etwas anderes unterstellt wird, nutzt daher der Regierung, die sich nach außen hin geläutert zeigt, wie etwa beim Tag der Industrie gestern.
Nun gilt die Losung, die Selbstbeschäftigung zu beenden, mehr in Koalitionsausschüssen miteinander zu reden und, na sowas, die Unternehmenssteuern zu senken. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier fordert gar einen Wachstumspakt, bestehend aus Innovation, Entlastung und Bürokratieabbau. Das klingt natürlich hübscher, macht es aber nicht besser. Dass Steuersenkungen für Unternehmen eben nicht zu Investitionen führen, ist längst bekannt. Das soll aber trotzdem die Antwort der Regierung auf den Vorwurf zu hoher Leistungsbilanzüberschüsse sein. Ein wirklicher Skandal.
Doch die morgendlichen Kaffeesatzauswerter sehen die Zusammenhänge mal wieder nicht. Immerhin bringt Gabor Steingart in seinem Briefing noch den Hinweis auf einen Sack voller Staatsgeld an, den Altmaier den BDI-Delegierten mitgebracht habe. Doch darin will der Top-Journalist nur eine Bestechung sehen, um sich das Wohlwollen der Industrie zu erkaufen. Wenn er sich da mal nicht irrt. Der vielfach beklagte „Selbstgespräche-Modus“ der Regierung könnte doch auch Absicht sein, um genau den Stillstand zu simulieren, den es schließlich für den großen Befreiungsschlag braucht. Dass es sich dabei um ein dickes Geschenk an die Unternehmen handelt, fällt dann nicht mehr so auf.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.