Die Haushaltswoche: Empörungstheater

Geschrieben von: am 12. Sep 2018 um 16:34

Generaldebatte im Bundestag. Das heißt, es geht um den Haushalt. Eigentlich. Doch die Finanzen, etwa die Aufstockung des Budgets für Verteidigung bei gleichzeitiger Kürzung anderer Investitionen haben bislang weniger interessiert, als der Streit um die Wortwahl des Verfassungsschutzpräsidenten oder des Bundesinnenministers. Abgearbeitet wurde sich dann auch lieber an der AfD, gegen die sich die Demokraten erheben müssten. Die wundern sich allerdings nicht über die Wortwahl von Union, Grünen und FDP, die sich eine Beteiligung an Vergeltungsschlägen in Syrien vorstellen können.

Statt über Aufrüstung (+11 Prozent) und Kriegstreiberei diskutiert Deutschland lieber über verwackelte Videoclips, geheim tagende Ausschüsse und das Schicksal von Daniel Küblböck.

Der Aufstand

Wenn die AfD als erstes ans Rednerpult tritt, weiß jeder genau, was kommt. Es ist das übliche Spiel. Die einen provozieren, die anderen empören sich und Merkel ignoriert beide Seiten geflissentlich. Sie könnte auch für die Unterstützung dankbar sein, die das gesamte Haus mit diesem Schauspiel für sie leistet. Die AfD sorgt dafür, dass sich die Reihen hinter Merkel wieder schließen. Es war dann auch Martin Schulz aus der SPD, mutmaßlich ein Flügel der CDU, der aufstand und sich als erster empörte, weil er sich beim Zuhören von Gauland und Co an die Nazizeit erinnert fühlte. Steht auf, wenn ihr Demokraten seid, lautete seine Parole sinngemäß, die dann auch andere Redner am Pult übernahmen.

Dass man sich im Bundestag schon wieder nur mit Nebenkriegsschauplätzen beschäftige, bemängelte dagegen FDP-Chef Christian Lindner, nachdem er seine Mappe mit dem Redemanuskript frustriert zusammenklappte. Dann schlug er diese aber wieder auf, um sich weiter auf diesen Nebenkriegsschauplätzen herumzutreiben. Die Vorgehensweise stand wohl so in seinem Text. Lindner gab an, eigentlich mehr über den Haushalt der vertanen Gestaltungschancen reden zu wollen und beschwerte sich darüber, dass es wieder nur um die Migration gehe. Er selbst mochte über etwas anderes dann aber auch nicht mehr sprechen, wenn man einmal von der üblichen Forderung nach Steuersenkungen absehen mag.

Ach, die SPD

Dass die Regierung kaum für Entlastungen der Bürger sorge, wies die SPD-Chefin Andrea Nahles wiederum energisch zurück. An Lindner gerichtet zählte sie noch einmal auf, dass die SPD bei den Verhandlungen mit der Union ein weiteres Mal eingeknickt war und beispielsweise der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages um 0,5 Prozentpunkte zustimmte, obwohl doch nur 0,3 Prozent im Koalitionsvertrag vereinbart sind. Gleichzeitig legte sich Nahles aber für soziale Sicherheit und die gesetzliche Rente ins Zeug. Sie bemerkte den Widerspruch offenbar nicht. Immerhin will die SPD nicht, dass sich Deutschland an Militärschlägen in Syrien beteiligt.

„Die SPD wird weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligung Deutschlands am Krieg in Syrien zustimmen“, so Nahles in einer Stellungnahme. Das klingt ja so, als ob Deutschland noch gar keine Kriegspartei im Nahen Osten wäre. Dabei unternimmt die Bundeswehr mit Zustimmung der SPD und ohne UN-Mandat seit 2015 Aufklärungsflüge, um Ziele für Angriffe herauszufinden. Frau Nahles scheint das wohl vergessen zu haben, wie sie auch vergessen zu haben scheint, dass ihr Außenminister die jüngsten Angriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Syrien als angemessen und notwendig bezeichnet hatte.

Es ist nicht so ganz klar, welche Haltung die SPD vertritt, wenn Merkel die Losung ausgibt: „Auch um Frieden zu sichern, brauchen wir völlig neue Instrumente. Wir selbst müssen uns dafür stärker einsetzen. Allein mit der Haltung, dass wir uns überall heraushalten, wird es nicht gehen. […] Aber von vornherein einfach Nein zu sagen, egal was auf der Welt passiert, kann nicht die deutsche Haltung sein.“ Was heißt denn das? Und was sind denn das für neue Instrumente? Moderne Waffen etwa oder eine hochgerüstete Armee, die in noch mehr Einsätze entsandt werden kann? Die SPD stimmt jedenfalls einem Haushalt zu, in dem das Budget für Verteidigung wächst und wächst.

Themenwechsel: Ich will mein Geld zurück

Themenwechsel: Mehr Netto vom Brutto, fordert Dobrindt. Themenwechsel: Einen Haushalt ohne neue Schulden finden alle toll, sogar die AfD. Die bezweifelt nur, dass das auch stimmt und weist einerseits auf Target II-Bilanzen (lach) und andererseits auf Bernd Raffelhüschen (doppellach) hin. Mehr Unsachverstand aus der Resterampe der Altparteien geht ja wohl nicht. Aber diese Übereinstimmungen in der neoliberalen Politik von der ganz rechten Seite des Hauses bis weit hinein in die SPD-Fraktion interessiert die Öffentlichkeit kaum. Dass die Alternative für Deutschland eben deshalb keine Alternative ist, weil sie inhaltlich genau das gleiche will, wie die anderen auch, bemerken leider nur sehr wenige.

Die Gemeinsamkeiten sollen auch gar nicht so offen angesprochen werden, weil es sich dann ja nicht mehr so schön empören lässt. Johannes Kahrs freute sich schließlich und mit ihm einige Linke, dass er die AfD-Fraktion kurzzeitig aus dem Plenarsaal vertreiben konnte. Wieso gehen die aber bei dem empört stiften und nicht bei Merkel, fragt sich der irritierte Zuschauer? Vermutlich weil sie die Kanzlerin dann doch lieber mögen und für ihr Drehbuch brauchen. Schlechte Schauspieler, durchschaubare Handlung, ich will mein Geld zurück, wäre da eine berechtigte Forderung.

Die gespielte Empörung kann man übrigens sehr schön daran erkennen, dass nach der hektischen Aufregung meist ein ruhiger Blick aufs Smartphone folgt – eingefangen von den Kameras des linearen Fernsehens – um dort nachzuschauen, ob die zur Schau gestellten Wutausbrüche in den digitalen Netzwerken, die man sonst so sehr geißelt, auch korrekt gespiegelt werden. Wie peinlich. Besonders unterhaltend oder gar voranbringend ist dieses Schauspiel jedenfalls nicht.

Die Neuigkeiten zum Schluss

Über die wirtschaftliche Fehlentwicklung hört man beispielsweise wenig. Merkel wiederholte zum x-ten Male, dass es dem Land doch gut gehe. Deutschland gehöre zu den sichersten und wohlhabendsten Ländern der Welt. Schon wieder gebe es einen Haushalt ohne neue Schulden, was ein gutes Signal für die Jugend sei. Es ist Herbst. Die jungen Leute werden diese Botschaft sicherlich rasch durch die pfeifenden Fenster und Türen ihrer maroden Schulgebäude hören. Der Aufschwung seit 13 Quartalen, niedrige Unternehmensinsolvenzen und bald 45 Millionen Erwerbstätige seien ein Grund, stolz zu sein. Merkel lobt sich und ihre Regierungsbilanz. Mal wieder.

Die SPD stimmt da gern mit ein. Die Große Koalition sei ein Hort der Stabilität, urteilte der AfD-Chef-Vertreiber Johannes Kahrs. Dabei steigen die Risiken für Wirtschaft und Konjunktur. Peter Altmaier als zuständiger Minister taucht aber erst am Donnerstag in der Runde der Schönredner auf. Vorab gab es aber schon einmal die Pressemitteilung seines Hauses, wonach alles immer noch ganz gut aussieht. Toll, mehr muss die Öffentlichkeit nicht erfahren. Wir schalten schnell um zum Parlamentarischen Kontrollgremium. Da gibt es auch Neuigkeiten, über die aber nicht weiter berichtet werden dürfe, da die Mitglieder dieses Ausschusses zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  September 12, 2018

    Selten hat mich eine BT-Debatte so angwiedert wie dieser Offenbarungeid.
    Abgeordnete und Kanzlerin haben sich vom einfachen Volk dermaßen abgehoben, das es kaum noch eine Annäherung geben wird.
    Was ist aus diesem Land geworden ?