Kahrs hat Angst

Geschrieben von: am 04. Sep 2018 um 13:28

Quelle: phoenix via YouTube, 04.09.2018

Mit einem trockenen Moin stellt sich der SPD-Politiker Johannes Kahrs gern vor. Er transportiert damit eine hanseatische Lockerheit und nicht selten auch eine gewisse Überheblichkeit im Austausch mit anderen. Doch all das Gehabe im kurzen Tagesgespräch auf phoenix (Video hier) konnte heute nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Herr Kahrs ganz sicher fürchtet und zwar vor der linken Sammlungsbewegung #aufstehen. Die hatte er anfänglich als Totgeburt bezeichnet. Heute spricht er von einem Wagenknecht-Fanclub oder Wagenknecht-Egotrip, der die Linkspartei spalte.

Er könne gar nicht verstehen, warum sich die Parteiführung (also die Linke) sich das gefallen lasse. Ganz offensichtlich hat Johannes Kahrs der in Berlin derzeit grassierenden Organspendepflicht nicht widersprochen. Anders lässt sich seine plötzliche Sorge um die Linkspartei nicht erklären.

Als Totgeburt kann man die Bewegung ganz sicher nicht bezeichnen, auch nicht als Egotrip, wenn es stimmt, dass sich bereits über 100.000 Menschen für die Bewegung aktiv interessieren und mitarbeiten wollen. Und dann sitzen da doch eine Menge Journalisten in der Bundespressekonferenz herum, die sich offensichtlich auch mehr für die angebliche Totgeburt interessieren, als für die wöchentlichen Updates der Bundesregierung. Etwas lustig war in diesem Zusammenhang der Rüffel des Vorstandes der Bundespressekonferenz, weil es unmittelbar vor Beginn der Veranstaltung bereits exklusive Interviews gegeben habe. Das widerspricht wohl der Logik des Berliner Hinterzimmer-Journalismus.

Die linke Sammlungsbewegung löst schon seit einigen Wochen öffentliche Reaktionen aus, die vornehmlich kritisch bis offen ablehnend ausfallen, aber im Grunde eine gewisse Furcht vor Veränderungen zum Ausdruck bringen. Die große Zahl an Wortmeldungen zeigt daher, dass die Bewegung eine Bedrohung für das bisherige politische Gefüge sein könnte. Die stärkste Kritik kommt dabei von den Linken oder vermeintlich progressiven Kräften selbst, die den Initiatoren am liebsten eine Nähe zu rechten Positionen unterstellen. Das spielt zweifellos denen in die Hände, die an den bestehenden Verhältnissen ohnehin nichts verändern wollen.

Die massiven Reaktionen auf das Tötungsdelikt in Chemnitz erfüllen dabei eine wichtige Funktion. Sie befeuern die Auseinandersetzung zwischen Gruppen und lenken von den Problemen ab, denen sich die linke Sammlungsbewegung widmen will. Auf der einen Seite demonstrieren Bürger sowie rechte und rechtsextremistische Gruppierungen zusammen. Der linke Reflex weiß dabei nicht mehr zu differenzieren und unterstellt allen Demonstranten gleichwohl ein rechtsextremistisches Leitmotiv. Die Medien skandalisieren den Vorgang und verlangen gleichzeitig ein kollektives Bekenntnis gegen „Rechts“ oder ein „Aufstehen gegen Rassismus“.

Wer differenzieren will, steht da auf verlorenem Posten, da er entweder beschuldigt wird, dann selbst Teil der rechten Bewegung zu sein oder eine rechte Gesinnung mindestens zu tolerieren. Letzterer Vorwurf ist schon reichlich schräg, da es nun einmal zum Wesen der Demokratie gehört, dass auch Idioten ihre Meinungen und Vorstellungen frei heraus plärren dürfen. Das entscheidende ist halt nur, ob man sie immer größer macht, als sie tatsächlich sind. Im Augenblick werden sie jedenfalls sehr groß gemacht und mit einer zunehmenden Stigmatisierung weiterer Bevölkerungsgruppen auch noch mit Zulauf versorgt.

Das könnte schließlich auch Absicht sein, um im Ergebnis eine Art Schulterschluss zwischen den etablierten neoliberalen Kräften und progressiven Gruppen zu erzwingen, die sich gemeinsam ganz pauschal gegen rechte Umtriebe wenden. Nicht umsonst adelt einer wie Kahrs die Beteiligung an dem Konzert #wirsindmehr in Chemnitz, zu dem 65.000 Menschen kamen, als die eigentliche Sammlungsbewegung. Das ist nicht ernst gemeint, sondern vereinnahmend und durchschaubar, weil es offensichtlich nur gegen die linke Sammlungsbewegung gerichtet ist. Sie soll an Kraft verlieren und damit auch deren Programm, das im Kern eine Überwindung des Neoliberalismus vorsieht.

Leute wie Kahrs wollen aber lieber, dass alles so bleibt, wie es ist. Wie gelegen kommt da der „rechte Mob“, gegen den es sich so schön mobilisieren lässt.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Satch  September 5, 2018

    „Auf der einen Seite demonstrieren Bürger sowie rechte und rechtsextremistische Gruppierungen zusammen. Der linke Reflex weiß dabei nicht mehr zu differenzieren und unterstellt allen Demonstranten gleichwohl ein rechtsextremistisches Leitmotiv.“
    Das verstehe ich nicht. Wenn ich als „Bürger“ an einer Versammlung teilnehme, an der eine nicht besonders kleine Minderheit durch Hitlergrüße und „Ausländer Raus!“-Gebrüll auffällt, dann gibt es mindestens zwei Möglichkeiten: Entweder ich finde das schlimm und gehe. Oder ich finde das nicht so schlimm und bleibe.
    Jetzt liegt doch nahe, dass, wer die zweite Variante wählt, eine gewisse Nähe zu rechtsextremistischem Gedankengut pflegt!?

    • André Tautenhahn  September 5, 2018

      Da stimme ich Ihnen zu. Sie und ich würden genau so handeln und an solchen Demos auch nicht teilnehmen. Es gehört aber m.E. auch dazu, sich in die Lage der Menschen hinein zu versetzen, die vor Ort leben. Die haben eine andere Wahrnehmung und andere Lebensumstände als beispielsweise ich hier im beschaulichen Speckgürtel von Hannover. Nur darauf weise ich hin. Das Problem ist ja, dass die massive Aufmerksamkeit und pauschale Verurteilung der Bevölkerung in der Öffentlichkeit dazu beiträgt, dass sich noch mehr Menschen an Demonstrationen beteiligen, die von Rechtsextremen gekapert werden, auch weil es genau die Aufmerksamkeit bringt, die sonst bei den Alltagsproblemen überhaupt nicht gegeben ist.

      Dass es bei vielen Menschen eine Nähe zu rechtsextremistischen Gedankengut gibt, ist keine Neuigkeit und würde ich auch nie bestreiten. Nur kann ich das ja nicht ändern, aber vielleicht dafür sorgen, dass die Lebensbedingungen für Menschen verbessert werden und es daher keinen Grund gibt, das menschenverachtende Gedankengut der Aufmerksamkeit wegen hinaus zu posaunen oder gar in Gewalt umschlagen zu lassen. Es sind immer die materiellen Bedingungen, die verbessert werden müssen.