Erlösung oder Ruhe im Rentenstreit. So lauten die Schlagzeilen heute, nachdem sich die Koalitionsspitzen am Dienstagabend im Kanzleramt geeinigt hatten. Die Bundesregierung beschloss daraufhin am heutigen Mittwoch im Kabinett das Paket von Sozialminister Hubertus Heil, nachdem es letzte Woche von der Tagesordnung verschwunden war. Warum eigentlich?
Weil es nie um die Rente ging, da ist sich die GroKo nämlich einig, wie ich hier gezeigt habe, sondern um die Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Statt 0,3 Prozentpunkte, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, geht es um 0,5 Prozentpunkte nach unten. Das freut natürlich die Arbeitgeber.
Dass die öffentlich-rechtlichen Medien ihrem Auftrag nicht gerecht werden, beweist einmal mehr die Tagesschau. Sie verwendet heute fast alle Zeilen eines Artikels auf die Rente und den angeblichen Streit, der deswegen innerhalb der Großen Koalition geherrscht habe. Erst ganz am Schluss wird beiläufig erwähnt, dass sich die Regierungsfraktionen darauf verständigten, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte zu senken. Was wie eine Entlastung für Arbeitnehmer klingt, ist in Wirklichkeit aber eine Belastung der Sozialversicherung wie Jens Berger am Montag auf den NachDenkSeiten gezeigt hat.
Die Reserven der Arbeitslosenversicherung jetzt in einer wirtschaftlich eher unsicheren Zeit anzugreifen, ist grob fahrlässig. Vermutlich liegt das aber daran, dass viele glauben – allen voran die Medien – in der Wirtschaft laufe es super. Der berühmte ifo-Geschäftsklimaindex wird dafür als Beleg angeführt. Dieser Index spiegelt die Erwartungen der Wirtschaft an künftige Geschäfte. Dass seit längerem über sinkende Beiträge zur Arbeitslosenversicherung diskutiert wird, dürfte bei den befragten Unternehmen dann durchaus auch eine Rolle gespielt haben. Übrigens ist das Geschäftsklima seit 2017 ständig gefallen, ohne dass sich die Medien darum sonderlich gekümmert hätten.
Die Anzeichen für eine Konjunkturschwäche sind nach wie vor erkennbar. Der Handelsstreit mit den USA, der offiziell schon als beigelegt galt, flammt gerade wieder auf. Die Diskussion um Zölle ist mitnichten abgehakt. In den einzelnen Wirtschaftssektoren kann von einer tollen Lage jedenfalls keine Rede sein. Zumindest dann nicht, wenn man sich die Kurven des Geschäftsklimaindex anschaut. Nachdem es bereits in 2017 deutlich abwärts ging, hat sich die Stimmung in diesem Monat etwas aufgehellt. Mehr ist aber nicht passiert. Überlagert wird das Ganze natürlich vom gerade erst vermeldeten Haushaltsüberschuss des Bundes, der sich in der Projektion des Finanzministeriums für dieses Jahr abzeichnet.
Alles super eben. Da kann man doch mal kräftig die Steuern und die Beiträge zu den Sozialversicherungen um fast das doppelte senken, als ursprünglich im Koalitionsvertrag vereinbart. Den Bürgern etwas zurückgeben, heißt es dann vollmundig, obwohl sie dafür mit einem Verzicht auf Sicherheit bezahlen. Der Abbau öffentlicher Leistungen steht auch weiterhin ganz oben auf der Agenda der Großen Koalition. Die SPD macht da leider wieder mit, weil sie hoffte, ein wenig soziales Profil gewinnen zu können. Aber nicht mal das gelang, da jeder weiß, dass die Sicherung eines Armutsniveaus kaum als Erfolg verkauft werden kann.
Man könnte ja, wie Jens Berger auf den NachDenkSeiten vorschlägt, die positiven BIP-Zahlen auch mal zum Anlass nehmen, das Gegenteil zu tun. Nämlich öffentliche Leistungen in Form von Investitionen deutlich auszubauen, um den Mangel bei der Infrastruktur zu beseitigen. Eine expansive Finanzpolitik ist aber weit und breit nicht in Sicht. Und das, obwohl die Zinsen historisch niedrig und der Verfall öffentlicher Einrichtungen und damit der Bedarf an Investitionen so hoch wie nie ist.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.