Schon erstaunlich. Das Netz feiert ein Sommerinterview. Das Gespräch von Thomas Walde mit dem AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland im ZDF wird als große journalistische Leistung betrachtet, also von denen, die die AfD ohnehin doof finden. Umgekehrt kochen die Anhänger der Rechten und bezichtigen den „Staatsfunk“ der Meinungsmache. Beides ist unangebracht.
Zunächst einmal ist es keine Neuigkeit, dass die AfD inhaltlich kaum etwas anzubieten hat. Nun aber zu behaupten, Thomas Walde hätte das in besonderer Weise sichtbar gemacht, ist übertrieben. Gesprächspartner Gauland hat sich wie andere Politiker in solchen Sommerinterviews auch in Sprechblasen ergeben. Nun wird so getan, als sei das entlarvend. Das ist falsch. Die Hysterie in den sozialen Medien zeigt nur, dass den Gegnern der AfD kaum etwas Konstruktives einfällt, um die Partei zu stellen.
Das Ziel von Thomas Walde war offenbar, den AfD-Vorsitzenden auf andere Positionen hin zu testen, um zu zeigen, dass die Alternative für Deutschland keine Alternativen hat. Das Lieblingsthema Flüchtlinge kam nicht zur Sprache, wie die ZDF-Redaktion via Twitter auch selbst etwas schelmisch mitteilte.
Jetzt hat der @ThomasWalde Alexander Gauland (AfD) im @ZDF Sommerinterview so viel über Klima, Rente und Digitalisierung gefragt, dass für das Thema Flüchtlinge gar keine Zeit war… #berlindirekt um 19:10 Uhr pic.twitter.com/neZZQmg2li
— Berlin direkt (@berlindirekt) 12. August 2018
Das kann man so machen, ja man sollte es auch so machen. Nur einmal versuchte Gauland das Thema Flüchtlinge ins Gespräch zu bringen, in der Hoffnung, Walde würde darauf einsteigen. Tat er aber nicht. Unterm Strich stellte sich der AfD-Vorsitzende aber den Fragen und versuchte Antworten zu geben, die in Ermangelung von nennenswerter Substanz natürlich keine waren. Nur das eigentliche Problem mit der AfD bleibt unterbelichtet. Sie ist bloß ein neoliberaler Abklatsch der anderen Parteien und diesen damit viel ähnlicher.
Klimaschutz
Die falsche Reaktion auf das Interview führt nun aber dazu, dass die anderen Parteien in einem positiveren Licht erscheinen, obwohl deren Politik zu keinerlei Verbesserung der Lage beiträgt. Beim Thema Klimawandel wird beispielsweise Gaulands Aussage skandalisiert: „Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können.“ Man kann also eh nix tun, daher lassen wir es gleich ganz bleiben. Das ist natürlich ein politischer Offenbarungseid, aber auch die konsequente Fortsetzung dessen, was die Bundesregierungen selbst seit Jahren praktizieren.
So wird Deutschland seine selbstgesteckten Klimaschutzziele weiterhin deutlich verfehlen. Der Klimaschutzbericht 2017 schreibt beispielsweise fort, was auch schon in den Jahren davor festgestellt worden war und schließlich auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Klimaschutz ist zwar wünschenswert, aber halt nur schwer machbar. Übrigens haben die Grünen bei ihren Verhandlungen um ein Jamaika-Bündnis den Klimaschutz mit als erstes beerdigt. So verzichteten sie auf ein konkretes Ausstiegsdatum für Verbrennungsmotor und Kohlekraft, woraufhin CSU-Dobrindt sagte: Das Abräumen von „Schwachsinnsterminen“ sei noch kein Kompromiss.
Thomas Walde hätte Alexander Gauland ja mal zu einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen befragen können und ob eine solche Regelung, die ja ohnehin keine Mehrheit fände, genau jene identitätsstiftende Wurzeln gefährde, von denen die AfD dauernd spricht. Das Interview beschäftigte sich aber noch mit anderen Themen. Die Rente zum Beispiel. Die AfD habe keine Antworten, lautete das Ergebnis der Befragung. Das ist natürlich eine grobe Irreführung, da die Partei über genau dieselben neoliberalen Konzepte offen nachdenkt, die in der Bundesregierung und Teilen der übrigen Opposition schon längst vorangetrieben werden.
Rente
So ist Thomas Walde bei seinen Recherchen offenbar entgangen, dass sich Gauland bereits sehr wohl und auch entlarvend zur Rentenpolitik geäußert hatte. Und zwar im Sommerinterview bei den Kollegen der ARD.
Bericht vom Parteitag: Entschuldigung, Herr Gauland, die Regierungsparteien haben wenigstens sogenannte Haltelinien: beim Rentenniveau 48 Prozent und beim Beitragssatz, der bis 2025 die 20 Prozent nicht übersteigen soll.
Gauland: Das ist ja richtig, dass sie die Haltelinien haben. Gegen die sind wir ja auch gar nicht, aber es reicht nicht aus, es ist kein zukunftsfähiges Rentenkonzept und reicht nur allenfalls für die Jahre der Großen Koalition. Wir wollen, wenn es möglich ist, ein Rentenkonzept entwickeln, das demografiefest und langfristig ist.
Walde hätte also daran anknüpfen und den AfD-Co-Vorsitzenden fragen können, worin denn nun die Alternative zum Konzept der anderen eigentlich bestehen soll, wenn Gauland doch Grundannahmen wie ein Demografieproblem und Lösungen wie eine Beitragssatzdeckelung teilt. Doch darum ging es ja nicht. Walde wollte zeigen, dass die AfD keine Antworten oder Alternativen anzubieten hat. Schön, das ist nur eben keine Neuigkeit. Aufklärend wäre es dagegen gewesen, wenn man die Verwandtschaft zu den neoliberalen Konzepten der anderen Parteien herausgearbeitet hätte.
Immerhin ist der Vorschlag des Co-Vorsitzenden Meuthen zur Sprache gekommen, der gesagt hatte, Deutschland müsse sich von der gesetzlichen Rente schrittweise verabschieden. Gauland betonte wiederum, dass er selber nicht glaube, dass das Umlagesystem auf Dauer allein tragfähig sei. Das sind eigentlich sehr konkrete und nur zu bekannte Aussagen, die deutlich machen, dass auch die AfD kein Interesse an der Stabilisierung der gesetzlichen Rente hat, sondern wie die anderen Parteien auch, nach Lösungen sucht, die weniger den Rentnern, als den Profiteuren privatisierter Altersvorsorgemodelle nutzt.
Digitalisierung
Bleibt die Digitalisierung. Da muss man Gauland ja wirklich verteidigen. Er hat doch recht, wenn er sagt, dass darüber ständig nur geredet werde. Eine konkrete Vorstellung darüber, was Digitalisierung aber sein soll, existiert tatsächlich nicht. Irgendwas mit Automatisierung, Computer und Internet erfordere ein Handeln. Würde man das Thema ernst nehmen, wäre schnell klar, dass die Digitalisierung überhaupt nichts Neues ist. Die Entwicklung einer Volkswirtschaft passiert ständig. Das nennt man Fortschritt. Nun tat Thomas Walde so, als müsste die Digitalisierung für eine Partei des kleinen Mannes, wie sich die AfD selbst bezeichnet, ein Herzensanliegen sein.
Warum? Weil Kanzlerin Merkel die Digitalisierung als große Herausforderung bezeichnet und der FDP-Parteichef sogar einen Weltmeisterplan gefordert hat sowie SPD und Grüne ebenso bedeutungsschwanger daherreden? Vielmehr drückt sich in der Fragestellung bereits eine neoliberale Geisteshaltung aus. Es geht mal wieder um Reformen, mit der die Arbeitnehmer beglückt werden müssen. So lässt es zumindest Fragensteller Walde aussehen. Ausgeblendet werden dabei die tatsächlichen Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Lohndumping und Niedriglohnsektor sowie sachgrundlose Befristungen und weitere prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Die Digitalisierung ist auch eines der Themen, die laut Umfrage des Deutschlandtrends am wenigsten interessieren. Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums ist beispielsweise wichtiger. Auch dazu befragte Walde seinen Gesprächspartner. Allerdings unter dem Stichwort AirBnB, was möglicherweise für die Zuschauer des ZDF etwas zu kryptisch ist. Eine Erklärung hätte an dieser Stelle vielleicht geholfen. AirBnB bedeutet, aus seiner Wohnung eine Art Ferienwohnung zu machen und diese an Touristen zu vermieten. Das ist ein Ärgernis für die Kommunen, da Wohnraum mehr oder weniger zweckentfremdet wird.
AirBnB ist nur leider nicht die Ursache des Wohnungsproblems, wie Walde suggeriert, sondern eine Folgeerscheinung eines bereits liberalisierten Wohnungsmarktes, der Wohnraum gerade in Ballungszentren immer teurer macht. Wer die Wohngemeinnützigkeit abschafft und stattdessen lieber den massenhaften Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände organisiert, braucht sich allerdings nicht über steigende Mietpreise und über Wohnungsnot zu wundern. Die steigende Mieten waren also zuerst da und sie begünstigen so etwas wie AirBnB. Durch die Untervermietungen beschaffen sich Leute häufig ein zusätzliches Einkommen, um die gestiegene Miete für ihre eigene Wohnung überhaupt noch bezahlen zu können.
Witzig ist, dass Gauland reflexhaft mehr Geld für sozialen Wohnungsbau fordert, was sicherlich richtig ist. Es geht aber auch darum, die Wohngemeinnützigkeit wieder herzustellen, Genossenschaften zu stärken und vor allem damit aufzuhören, öffentliche Wohnungsbestände an Kapitalgesellschaften zu verhökern, denen es um Rendite und nicht um bezahlbaren Wohnraum geht. Vermutlich hat die AfD in diesem Punkt aber auch eine Verwandtschaft zu den anderen neoliberalen Parteien. Die Berlin Direkt Redaktion des ZDF hat das aber leider nicht in Erfahrung bringen können.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.